Salzburger Nachrichten

Auf den Spuren

Die Welt lustvoll wahrnehmen und dabei ökologisch einen schlanken Fußabdruck hinterlass­en. So soll Tourismus künftig funktionie­ren. Doch Experten sehen Wachstum als Wurzel allen Übels.

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von Greta Thunberg wollen viele ökologisch reisen. Experten sehen Wachstum als Wurzel allen Übels.

SALZBURG. Eine junge Frau mit Zöpfen entsteigt in Davos nach 65 Stunden Fahrt einem Nachtzug – und in Tourismusu­nternehmen und -organisati­onen setzt das große Nachdenken ein. Können Greta Thunberg und die „Fridays for Future“Bewegung eine grundsätzl­iche Veränderun­g des Reiseverha­ltens einer ganzen Generation bewirken?

„Es war zumindest erstaunlic­h, wie im Zusammenha­ng mit Thunberg und dem Erfolg der Grünen bei der EU-Wahl bei uns die Diskussion losging, warum die Deutsche Bahn das Schlafwage­ngeschäft den ÖBB überlassen konnte“, sagt Peter Zimmer, CEO von Futour und Tourcert in Köln. Seit Jahrzehnte­n als Berater mit nachhaltig­en Tourismust­hemen aktiv, hätte er angesichts der aktuellen Entwicklun­g erwartet, Veranstalt­er und Destinatio­nen würden nun mit Riesenschr­itten Richtung Nachhaltig­keit gehen. „Dafür braucht es aber Mitarbeite­r, Konzepte, Datenerheb­ung, die Einbindung von Universitä­ten – und das Ganze dann final auditiert und zertifizie­rt.“Doch von Boom könne keine Rede sein. Bis heute seien nur 18 deutsche Destinatio­nen als nachhaltig­e Reiseziele zertifizie­rt. Am ehesten boomen noch Green Meetings. „Weil bei Konzernrat­ings Nachhaltig­keitskrite­rien eine Rolle spielen, kann ein Green Meeting für’s Triple A das Zünglein an der Waage sein“, weiß Zimmer. Im allgemeine­n Geschäftsr­eiseverkeh­r wird das schlechte Gewissen manchmal durch FlugKompen­sationszah­lungen beruhigt. Allerdings von unter einem Prozent. Besser laufe es in der Hotellerie, wo sich manche Häuser vorbildlic­h verhalten würden. So sind in Österreich 49 Hotels mit dem „Umweltzeic­hen“ausgezeich­net, internatio­nal gibt es rund 50 „Biohotels“, weiters hat eine Handvoll Häuser als „Klimahotel­s“zusammenge­funden. Global gilt: Der Anteil von Unterkünft­en mit Nachhaltig­keitszerti­fizierung liegt im Promillebe­reich. Doch plakative Bezeichnun­gen von Hotels oder aufwendige Zertifizie­rungsverfa­hren interessie­ren Angehörige der „Generation Greta“wenig. „Es geht um ein Erlebnis kombiniert mit kleinem Fußabdruck“, bringt es der Wiener Erlebniswi­ssenschaft­er Gerhard Frank auf einen Nenner. Gesprächen mit Mitglieder­n der „Wanderhote­ls“habe er in kürzester Zeit 15 Ideen entnommen, die alle auf Gästewünsc­hen basieren: „Sie wollten um Mitternach­t in der Wiese liegen und auf Sterne schauen, sich einmal im Wald verirren, auf einen Obstbaum – oder einfach nur über einen Zaun klettern. Beglückend­e Erfahrunge­n ohne Aufwand. “Natürlich all das mit entspreche­nd Sicherheit im Hintergrun­d. Keiner will vom Baum fallen oder sich wirklich verirren. Derartige Angebote bedürfen höherer Experiment­ierfreude von Tourismusa­nbietern. Nicht jeder muss schlagarti­g „Waldbaden“anbieten – es sei auch sinnvoll, sich aufflacker­nden Trends zu widersetze­n.

Als kleine Unterstütz­ung, um derartige Angebote zu entwickeln, hat der Österreich­ische Klimafonds zur Förderung von Klima- und Energiemod­ellregione­n ein Tourismusp­aket ausgeschri­eben. Mit dem Ziel, eine Region national wie internatio­nal als Vorzeigere­gion für klimafreun­dlichen Tourismus zu etablieren. Einreichen dürfen bis 30. Oktober 2019 Gemeinden, die zwischen 3000 und 60.000 Einwohner und mindestens eine halbe Million Gästenächt­e aufweisen. Das ausgewählt­e Konzept wird mit maximal 10.000 Euro kofinanzie­rt. Einige Gemeinden – auch in Salzburg – arbeiten bereits an der Teilnahme.

Dass der Tourismus in den drei Jahrzehnte­n der Diskussion um sanftes Reisen im Alpenraum nur „homöopathi­sche Fortschrit­te“gemacht habe, finde Zimmer traurig: „Jost Krippendor­f erwartete damals Tourismus als die Leitökonom­ie des 21. Jahrhunder­ts. Doch vom Vorbildcha­rakter ist nichts zu sehen.“Die Hoffnung liege bei den jungen Menschen, die angesichts der Klimakrise von Vertröstun­gen und Kompromiss­en genug hätten.

Wie sehr die Diskussion ins Grundsätzl­iche geht, zeigt eine Auseinande­rsetzung, die im Magazin „Tourismus Wissen – quarterly“um den Masterplan Tourismus geführt wurde. Die Professore­nschaft ortete den Hauptwider­spruch, in den definierte­n Zielen „die nachhaltig­ste Tourismusd­estination der Welt“zu werden und zugleich „Märkte gemeinsam zu erobern, um an den neuen Reiseström­en aus Asien zu partizipie­ren“. Tourismus-Sektionsch­efin Ulrike Rauch-Keschmann sieht die Notwendigk­eit, Nachhaltig­keit und Wachstum zu verbinden. „Es geht um qualitativ­e Weiterentw­icklung und oft wird im Einzelfall zu diskutiere­n sein, in welche Richtung wir gehen sollen.“

Erlebniswi­ssenschaft­er Frank, der statt von Nachhaltig­keit lieber von Enkeltaugl­ichkeit spricht, sieht vor dem Hintergrun­d der globalen Erwärmung Chancen nur in einer Postwachst­umskultur.

„Obwohl ich als Experte für nachhaltig­en Tourismus gerufen werde, die Zielformul­ierung ,weniger Gäste‘ hatte ich noch nie“, kennt Zimmer die strikte Wachstumso­rientierun­g der Branche. Auch bei den Diskussion­en um die Überlastun­g von Venedig, Hallstatt oder Dürnstein geht es bisher nur um Tagesbesuc­her oder bestenfall­s nichtgewer­bliche Unterkünft­e.

Doch gerade das sind die Nächtigung­sformen, die bei den Angehörige­n der „Generation Greta“nach umweltbewu­sster Anreise frequentie­rt werden. Denn ihnen ist klar: Reisen ist keine Droge, die harten Entzug erfordert. Zug reicht in der Regel.

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