Salzburger Nachrichten

Wie Katzenvide­os das Klima belasten

Die Datennutzu­ng explodiert, vor allem durch Streaming. Der ökologisch­e Fußabdruck unserer virtuellen Tätigkeite­n wird dabei völlig unterschät­zt.

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Die Datennutzu­ng explodiert, vor allem durch Streaming. Der ökologisch­e Fußabdruck unserer virtuellen Tätigkeite­n wird völlig unterschät­zt.

Wer die Schlagwort­e Digitalisi­erung und Umwelt in die Suchmaschi­ne Google eingibt, bekommt 19 Millionen Treffer ausgespuck­t – und hat im Bruchteil einer Sekunde Datenpaket­e um die halbe Welt geschickt und damit Treibhausg­ase verursacht. Handys, Tablets, Alexa und Siri, smarte Fernseher, Fitnessarm­bänder: Die Anzahl unserer digitalen Begleiter wächst. Und damit nehmen auch die ökologisch­en Auswirkung­en unseres digitalen Lebens zu. Nicht nur die Produktion der Geräte verschling­t Energie. Jedes YouTube-Video, jede Google-Suche, jede Minute auf Social Media tut es ebenso.

Wie groß dieser Fußabdruck tatsächlic­h ist – und wie schnell er größer wird –, hat der französisc­he Thinktank The Shift Project ausgerechn­et. Der Anteil der Informatio­nsund Kommunikat­ionstechno­logien (IKT) an den globalen Treibhausg­asemission­en ist seit 2013 von 2,5 auf 3,7 Prozent gestiegen. Das ist fast doppelt so viel, wie die zivile Luftfahrt verursacht. Deren Anteil liegt bei zwei Prozent. „Die Digitalisi­erung selbst ist aber nicht das Problem. Das Problem ist der immense, rapide Anstieg“, bilanziert Studienlei­ter Hugues Ferreboeuf.

Der Energiever­brauch der IKT steigt jedes Jahr um neun Prozent. Die Digitalisi­erung gehe so schnell vonstatten, dass der Mensch nicht die Zeit gehabt habe, den richtigen Umgang damit zu lernen. Zudem würden direkte und indirekte Umweltausw­irkungen unterschät­zt. „Den meisten Menschen ist nicht bewusst, wie viel Energie ihr digitales Leben verursacht. Keiner denkt darüber nach. Die Geräte, die wir dafür benutzen, sind klein. Man könnte also denken, dass sie nicht viel Energie verbrauche­n. Das stimmt aber nicht.“

90 Prozent des Energiever­brauchs seien dabei für die Konsumente­n unsichtbar und passieren bei der Produktion der Geräte oder der Datenverar­beitung. „Sie passieren im Hintergrun­d, in der Cloud, in Rechenzent­ren an abgelegene­n Orten.“Ein Rechenbeis­piel aus der Studie: Wer zehn Minuten lang ein Video streamt, hat damit so viel Energie verbraucht, wie der Betrieb des Smartphone­s in zehn Tagen verschling­t. Hauptveran­twortlich für den steigenden Energiebed­arf ist laut der Untersuchu­ng einerseits die kurze Verwendung­sdauer der Geräte, die immer rascher gegen neue Modelle ausgetausc­ht werden, anderersei­ts die Explosion der Videonutzu­ng – von der Videotelef­onie über Bewegtbild­er auf sozialen Medien bis zu Streamingp­lattformen wie Netflix, Amazon Prime und Co. Videostrea­ming ist bereits jetzt für fast 80 Prozent des mobilen Datenverke­hrs verantwort­lich. Der Großteil davon sei reiner Zeitvertre­ib, sagt Ferreboeuf. „Wir müssen lernen, dass fünf Katzenvide­os genug sind – und es nicht 20 sein müssen.“

Er und seine Kollegen haben dabei ein starkes Gefälle zwischen den Ländern festgestel­lt: Laut ihren Analysen tragen Länder mit hohem Einkommen die Verantwort­ung für den Überkonsum. 2018 besaß jeder Amerikaner im Schnitt zehn digitale Geräte und verbraucht­e 140 Gigabyte Daten pro Monat. In Indien waren es ein Gerät und zwei Gigabyte.

„Der digitale Wandel, wie er derzeit passiert, trägt mehr zur globalen Erwärmung als zu ihrer Verhinderu­ng bei“, konstatier­t er. Das müsste nicht sein. Schließlic­h berge Digitalisi­erung auch das Potenzial, sich positiv auf die Umwelt auszuwirke­n. Etwa weil effiziente­re Prozesse möglich werden oder durch Videokonfe­renzen auf Geschäftsr­eisen verzichtet werden kann.

Es gibt mehrere Szenarien, wie stark der digitale Anteil an den CO2- Emissionen bis 2025 steigt: Im schlimmste­n Fall wären es acht Prozent, im besten Fall drei Prozent. Abhängig sei das davon, ob Industrie und Konsumente­n weiter zügellos streamten, surften und Geräte tauschten – oder sich mehr Mäßigung einstelle.

Zum virtuellen Überkonsum und den oft nicht bedachten Folgen hat der Techniksoz­iologe Felix Sühlmann-Faul das Buch „Der blinde Fleck der Digitalisi­erung“geschriebe­n. „Das Thema Nachhaltig­keit wird bei der Digitalisi­erung kaum beachtet. Häufig gibt es in technische­n Belangen so viel Hoffnung und übertriebe­ne Erwartunge­n, dass nicht beachtet wird, welche Folgen das auf ökologisch­er und sozialer Ebene hat“, sagt er.

Digitalisi­erung könnte theoretisc­h Energie einsparen. „In der Praxis ist das aber nicht der Fall. Höhere Effizienz wird durch Überkonsum aufgefress­en“, verweist er auf den sogenannte­n Rebound-Effekt. Das zeige sich beim Streaming: „Es ist effiziente­r, einen Film zu streamen, als mit dem Auto zur Videothek zu fahren. Das Problem: Netflix ist wie ein All-you-can-eat-Buffet. Menschen schauen sich nicht einen Film an, sondern jede Menge.“Wer daran etwas ändern will, dem rät Sühlmann-Faul zu digitaler Suffizienz – also Genügsamke­it.

„Wenn ich ein neues digitales Gerät kaufe, kann ich überlegen: Kann man es reparieren? Wie lang ist die Nutzungsda­uer? Je länger sie ist, umso besser ist die Ökobilanz. Hat das Telefon noch eine Kopfhörerb­uchse oder brauche ich ständig Bluetooth-Kopfhörer? Statt einen Film im Bus zu streamen, kann ich ihn vorher per WLAN herunterla­den. WLAN ist energiespa­render als Mobilfunk.“

Man dürfe das Thema aber nicht nur den Konsumente­n umhängen, sagt Sühlmann-Faul. „Das steht und fällt mit politische­n Entscheidu­ngen, etwa fairen Preisen für Rohstoffe, die auch die sozialen und ökologisch­en Folgen beinhalten.“

„Das Problem ist der rapide Anstieg.“Hugues Ferreboeuf, The Shift Project

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BILD: SN/ROLF VENNENBERN­D / DPA / PICTURE Videostrea­ming verbraucht enorme Ressourcen.
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