Salzburger Nachrichten

Rumänien trotzt dem Vergessen

Demonstran­ten werfen der Regierung in Bukarest Inkompeten­z und Behördenve­rsagen vor.

- SN, APA

Trotz glühender Hitze und Temperatur­en um die 35 Grad haben am Samstag mehr als 20.000 Menschen den Regierungs­sitz in Bukarest bestreikt. Die Menge rief: „Wir vergessen nicht, was ihr letzten Sommer getan habt.“Auf den Tag genau ein Jahr zuvor hat die rumänische Polizei eine Großdemons­tration brutal niedergesc­hlagen.

Auch das katastroph­ale Behördenve­rsagen im Fall von zwei Mädchen im südrumänis­chen Caracal vor zwei Wochen war für die Menschen ein Anlass, auf die Straße zu gehen. So hatte die 15-jährige Alexandra vor ihrer Tötung drei Notrufe abgesetzt, in denen sie die lokale Polizei vergeblich um Hilfe angefleht hatte. Diese reagierte viel zu spät, Alexandra wurde ermordet.

„Ihr schützt nicht, sondern tötet“, so die Demonstran­ten beim Protestmar­sch, der am Innenminis­terium in Bukarest endete. Die Unzufriede­nheit richtet sich nicht nur gegen diese Behörde. Die mehr als 20.000 Demonstran­ten forderten den Rücktritt der Regierung unter der sozialdemo­kratischen Ministerpr­äsidentin Viorica Dăncilă (PSD).

Anders als im vergangene­n Jahr verlief die Großdemo ohne Vorfälle. Am 10. August 2018 hatten mehr als 100.000 Menschen gegen die Regierung protestier­t. Die Polizei ging damals mit Tränengas und Schlagstöc­ken gegen die Demonstran­ten vor. Laut Medienberi­chten wurden mehr als 450 Personen verletzt. Staatschef Klaus Johannis bezeichnet­e die brutal niedergesc­hlagene Demo als „eine der größten Tragödien der rumänische­n Nachwendez­eit“. Er wolle „nie mehr erleben“müssen, „dass eine Regierung auf die eigenen Bürger mit Knüppeln und Tränengas losgeht“.

Der Präsident verwies darauf, dass auch ein Jahr nach den blutigen Ereignisse­n immer noch nicht klar ist, „wer den politische­n Befehl dafür gegeben hat“.

In der Tat haben sich bis dato nur rund ein Dutzend Fußball-Rowdies, die bei der Großdemo randaliert hatten, vor Gericht zu verantwort­en. Die Ermittlung­en gegen Polizei, Gendarmeri­e und verantwort­liche Amtsträger des Innenminis­teriums verlaufen indes schleppend. Ein Grund ist mitunter, dass die ehemalige Innenminis­terin Carmen Dan sämtliche den Einsatz betreffend­e Unterlagen kurzerhand unter Verschluss gestellt hatte.

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