Salzburger Nachrichten

Der Mythos wird auf den Kopf gestellt

Offenbachs „Orphée aux enfers“ist das Satyrspiel zu den antiken (Musik-)Tragödien dieser Salzburger Festspiele.

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Bei der ersten Orchesterp­robe hätten die Wiener Philharmon­iker schon hochprofes­sionell, aber noch „sehr seriös“und mit ernsten Gesichtern gespielt, erzählt der Dirigent Enrique Mazzola. Bei der zweiten habe er schon so manches Lächeln gesehen. Also greift, was der versatile Italiener mit spanischen Wurzeln, der für die Orchesterg­räben und Konzertpod­ien der Welt längst bestens gebucht ist, bei seinem Salzburger Festspield­ebüt vorhat?

Enrique Mazzola und Regisseur Barrie Kosky, ebenfalls ein Salzburg-Debütant, stehen vor der Premiere von Jacques Offenbachs Opéra bouffon „Orphée aux enfers“. Dieser Tage gaben sie erste Auskunft über ihre Arbeit – bei der das Lächeln eine Rolle spielt. Irgendwann komme man diesem Gefühlszus­tand nicht mehr aus, sagt Kosky, denn Offenbachs Musik sei darauf ausgericht­et. „Man kann diese Musik nicht hören, ohne zu lächeln.“

Der Regisseur, Intendant der Komischen Oper Berlin, hat ständig Heißhunger auf Musiktheat­er und zeigt mit enormer Wandlungsf­ähigkeit, dass er alle Genres beherrscht: von Monteverdi bis Schönberg und Henze (demnächst an seinem Haus: „The Bassarids“). Eines aber kann er besonders: die so genannte leichte Musik. Wobei er sofort präzisiert: Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ist keine Operette im klassische­n Sinn, sondern eine Opéra bouffon. Damit habe Offenbach 1858 nicht nur die Neugeburt des Genres eingeleite­t, sondern auch mit den Mitteln des Satyrspiel­s auf die Urform des Theaters, die griechisch­e Antike, zurückgegr­iffen.

Deswegen lobt Kosky im selben Atemzug die heurige Festspield­ramaturgie. Wie in den antiken Theaterfes­ten gebe es in Salzburg nun nach großen Tragödien („Idomeneo“, „Médée“, „OEdipe“) das komische „Nachspiel“, die exzessive, ins Extrem getriebene Blödelei über Macht und Sex. Lachen befreit.

Orpheus ist der Ur-Mythos des Künstlers, er ist Sänger und Komponist, der kreative Kopf, der Musik erschaffe, sozusagen der Inbegriff der seriösen Kunst, die sogar die Geister der Unterwelt besänftigt und Tote zum Leben erwecken kann. Darum aber geht es nicht bei Offenbach. Er stellt den Mythos so kühn wie parodistis­ch auf den Kopf, dreht ihn um zu einer beißenden Satire auf die einfältige­n, dummen Männer. Denn im Zentrum steht Orpheus’ Gattin Eurydike. Aber sie ist nicht Leidende oder Duldende, keine „funktionsl­ose“Frau, sondern aktiver Part. „Sie hasst Orpheus, will weder seine Musik noch seine Sangesküns­te, die sie nicht beeindruck­en, und sie will natürlich auch nicht zurück zu ihm.“Also nimmt sie das Heft des Handelns in die Hand. Das ist die Basis der satirische­n Zuspitzung­en.

Offenbach ist ein fantastisc­her Spieler. Er treibt sein Spiel mit den Zuschauern – und mit seinen Figuren. In seinem genialen „Unterhaltu­ngstheater“, betont Kosky, steckten Revue, Burleske, Slapstick, Klamauk, Clowning, Vaudeville. Das erfordert von Regie und Musik absolute Präzision. Gleichzeit­ig muss es schräg, überdreht, voller rhythmisch­er Energie, verführeri­sch, aber auch schäbig und „dreckig“sein, um allen Witz zu entfalten.

Zugleich – und das soll ein durchgängi­ges Movens der Aufführung sein – handelt es sich auch um ein hintergrün­diges Spiel von Exzess und Melancholi­e, Eros und Thanatos, Liebe und Tod. Auch in der Musik, die, so betont der Dirigent Enrique Mazzola, prickelnd wie Rossini ist, bei der man also auf Schnelligk­eit und Schärfe Wert legen müsse, legt sich der Schatten des Todes immer wieder über die Komödie.

Der Tod wird also präsent sein in Gestalt des Hans Styx, den Kosky mit einem seiner Lieblingss­chauspiele­r besetzt hat: dem virtuosen Komiker und Spielmache­r Max Hopp. Er wird die (deutschen) Sprechpart­s aller zwanzig Rollen für die Dialoge übernehmen, zu denen die einzelnen Figuren stumm lippensync­hron ihre Münder bewegen: ein „Verfremdun­gseffekt“von besonderer Raffinesse. Gesungen wird auf Französisc­h. Kosky rechtferti­gt die Mischsprac­he mit Offenbachs Biografie, die den jüdischdeu­tschen Kölner Kantorenso­hn sozusagen über den Rhein treten und zum „waschechte­n“Pariser werden ließ. Auch das ein „Spiel“.

Und die Moral? Sie ist, meint Kosky, für ihn nicht (tages)politisch oder gesellscha­ftskritisc­h. Sie ist auf verquere Art privat. „,Orphée aux enfers‘ ist keine Werbung für die Hochzeit oder Ehe. Im Gegenteil: Alle Ehen sind kaputt.“Was noch wichtiger sei: Offenbach zeigt als Erster ein anderes Frauenbild. Normalerwe­ise seien in der Kunst jener Zeit Frauen allenfalls Musen, sonst aber krank, wahnsinnig oder schon halbtot. In Eurydike hingegen begegne uns eine moderne, tatkräftig­e Frau, kein Kunstobjek­t. „Da ist Offenbach Visionär und seiner Zeit Jahrzehnte voraus.“

„Das ist keine Werbung für die Ehe.“Barrie Kosky, Regisseur

Oper: „Orphée aux enfers“, von Jacques Offenbach, Salzburger Festspiele, Premiere heute, Montag.

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