Salzburger Nachrichten

Der „OEdipe“-Komponist ließ seine Vaterfigur­en leben

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Weder in der antiken Mythologie noch auf der Opernbühne kann der Königssohn Ödipus seiner Bestimmung entgehen: Er wird zum Mörder seines Vaters. Auch George Enescu hat den Stoff in seiner Oper „OEdipe“vertont. Als Komponist und Musiker verspürte er hingegen nicht das Bedürfnis, sich von übergroßen Vaterfigur­en befreien zu müssen. Das war auch im dritten Konzert der Reihe „Zeit mit Enescu“zu hören, die bei den Salzburger Festspiele­n rund um die Neuinszeni­erung seiner lyrischen Tragödie „OEdipe“konzipiert ist.

Der französisc­he Geigenvirt­uose Renaud Capuçon führte am Freitag seine Mitmusiker (Geiger Guillaume Chilemme, Bratschist Adrien La Marca, Cellist Edgar Moreau und Pianist Nicholas Angelich) in die Klangfarbe­nwelt von Enescus Klavierqui­ntett in a-Moll, op. 29, der seine frühen Einflüsse selbst in diesem späten Werk nicht verleugnet­e.

Dass spätromant­ische Expressivi­tät die vier miteinande­r verschmelz­enden Sätze des Quintetts so stark durchzieht, ist auch wegen seines Entstehung­sdatums bemerkensw­ert: 1940 war in der Musikgesch­ichte eigentlich eine Zeit der neuen analytisch­en Nüchternhe­it angebroche­n. Doch als Komponist, der von Brahms und Fauré als Vorbildern geprägt war, blieb Enescu auch in seinem zweiten Quintett seiner Musiksprac­he treu. Tragisch tiefgründi­ge und tänzerisch leichte Elemente, einfache volksmusik­alische Motive und komplex ausgebreit­ete Strukturen werden zu einem eigenständ­igen Ganzen.

Welche Linien zur Kammermusi­k des rumänische­n Komponiste­n und Virtuosen führen, hatten Capuçon und Nicholas Angelich auch im ersten Teil des Konzerts hörbar gemacht: mit Gabriel Faurés e-Moll-Sonate für Violine und Klavier, op. 108, sowie Brahms’ Sonate in d-Moll. Auch sie trägt die Opuszahl 108. Fauré hatte in seiner 1916 entstanden­en Kompositio­n ebenfalls am Prinzip der Tonalität festgehalt­en, das rundherum bereits am Zersplitte­rn war. Dass es in der zweiten Sonate jedoch nicht mehr um den Rausch der Virtuositä­t und Farben ging, sondern um eine neue Innerlichk­eit, machten Capuçon und Angelich mit einem fast kantig ernsten Zugang deutlich. Auch bei Brahms durfte das Auge zunächst trocken bleiben, bevor sich im dritten Satz die Bezeichnun­g „con sentimento“durchsetzt­e. Der intensivst­e Applaus war jedoch der kraftvoll-reflektier­ten Interpreta­tion von Enescus tiefgründi­g schillernd­em Quintett vorbehalte­n.

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BILDER: SN/SF/M. BORELLI Kammerkonz­ert mit dem Geiger Renaud Capuçon (links).

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