Die Politik redet über alles, nur nicht über die Zukunft
Auch dieser Wahlkampf beweist: Sachliche Diskussionen haben kaum Platz. Vorwürfe und nicht Lösungen stehen im Zentrum.
Wäre es nach dem Bundespräsidenten gegangen, dann hätten wir in drei Wochen Wahlen. Doch die Parteien konnten und wollten sich Anfang Juni nicht auf diesen frühen Termin einigen. Zu viele Menschen befänden sich im intensiven Wahlkampf auf Urlaub, wurde eingewendet. Schon etwas von Briefwahl gehört? Auch eine Landtagswahl in Vorarlberg wurde als Hinderungsgrund genannt. Wie sich später herausstellte, findet diese erst im Oktober statt. Und außerdem: So eine Wahl müsse gut vorbereitet sein, hieß es. Die Parteien bräuchten eben Zeit, um die Bürgerinnen und Bürger über ihre politischen Absichten zu informieren.
Wie diese „Information“bis zum Wahltag am 29. September aussehen kann, darauf haben wir in den vergangenen zweieinhalb Monaten einen Vorgeschmack bekommen. Die gegenseitigen Vorwürfe reichen vom Besitz zu teurer Uhren über die Einführung einer Schnitzelsteuer und unangemessene Besuche in Nobellokalen bis hin zu öffentlichen Anbetungen.
Dazu kommen die – weit weniger „lustigen“– strafrechtlich relevanten Anschuldigungen, die durch die Luft wirbeln. Polizei und Justiz ermitteln nicht nur auf Ibiza, sondern auch im Glücksspielmilieu und in einer Schredderwerkstatt. Es geht um Postenschacher, Betrug und Korruption bis hin zum noch nicht da gewesenen Verdacht der Staatsfeindlichkeit.
Eine solche besteht laut Gesetz dann, wenn jemand eine „Verbindung gründet“, deren Zweck es ist,
„auf gesetzwidrige Weise die Unabhängigkeit, die in der Verfassung festgelegte Staatsform oder eine verfassungsmäßige Einrichtung der Republik Österreich“zu erschüttern. Das ist eine neue Dimension in der jüngeren politischen Geschichte Österreichs.
Zum grauslichen Drüberstreuen gibt es Gerüchte über Rauschgifthandel und Pornografie.
Politische Inhalte sind hingegen Mangelware oder bleiben nebulos. Was den Österreicherinnen und Österreichern wirklich unter den Nägeln brennt, wird bisher kaum angesprochen. Klimawandel, Bildung, Pensionssicherung, Zinsenfalle, Kinderbetreuung, Gleichberechtigung, Gesundheitsversorgung, Mobilität, Infrastruktur, Armutsbekämpfung, Arbeit, Sicherheit, Migration, Freiheit – man hört über diese Megathemen nicht viel. Wenn, dann handelt es sich um kaum ausgegorene Konzepte einer CO2-Steuer und einer WasserstoffRevolution. Ansonsten werden wir mit Belanglosigkeiten wie Fußball im freien Fernsehen abgespeist. Derzeit reden die Parteien in der politischen Kommunikation über alles, nur nicht über die Zukunft.
Noch ist nicht aller Wahltage Abend. Die Parteien hätten noch Zeit, ihre Karten auf den Tisch zu legen. Auch diejenigen, die sie eigentlich erst nach der Wahl ausspielen wollen. Bisherigen Erfahrungen zufolge kaufen die Bürgerinnen und Bürger die Katze im Sack. Sie wissen bei ihrer Stimmabgabe nicht, wie die nächste Regierung aussehen könnte. „Zunächst sind die Wählerinnen und Wähler am Wort“, bekommen wir auf die Koalitionsfrage von allen politischen Seiten zur Antwort. Wie sollen wir für jemanden das Wort ergreifen, von dem wir nicht wissen, mit wem er sich nach der Wahl ins Bett legt?
Vor allem wäre es interessant zu wissen, wer es nach dem IbizaWahnsinn und seinen Folgen, die nach und nach sichtbar werden, noch für möglich oder sogar erstrebenswert hält, mit dieser FPÖ zu kooperieren. Mit einer FPÖ, die sich mittlerweile in der Geiselhaft ihres früheren Obmanns befindet. ExBundeskanzler Sebastian Kurz hat hier ebenso erhöhten Erklärungsbedarf wie in der Frage, ob er das Salzburger Modell mit Grünen und Neos in der Regierung auch auf Bundesebene für möglich hält. Außerdem: Warum schließen so viele Experten eine Neuauflage der früheren Großen Koalition aus? Ist Besserung tatsächlich unmöglich?
Zu befürchten ist, dass wir in den nächsten Wochen weder auf diese noch auf andere Fragen klare Antworten bekommen. Stattdessen werden wohl weiterhin die negativen Botschaften überwiegen. Untergriffe, Anschuldigungen, Aggressivität bringen in einer Zeit der kollektiven Erregung mehr Aufmerksamkeit als konstruktive, lösungsorientierte Beiträge. Dabei ist nicht erwiesen, dass sie auch mehr Stimmen bringen. Ein Funken Hoffnung bleibt, dass das Gegenteil der Fall sein wird.
Wann legen die Parteien die Karten auf den Tisch?