Salzburger Nachrichten

Die Politik redet über alles, nur nicht über die Zukunft

Auch dieser Wahlkampf beweist: Sachliche Diskussion­en haben kaum Platz. Vorwürfe und nicht Lösungen stehen im Zentrum.

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SN.AT

Wäre es nach dem Bundespräs­identen gegangen, dann hätten wir in drei Wochen Wahlen. Doch die Parteien konnten und wollten sich Anfang Juni nicht auf diesen frühen Termin einigen. Zu viele Menschen befänden sich im intensiven Wahlkampf auf Urlaub, wurde eingewende­t. Schon etwas von Briefwahl gehört? Auch eine Landtagswa­hl in Vorarlberg wurde als Hinderungs­grund genannt. Wie sich später herausstel­lte, findet diese erst im Oktober statt. Und außerdem: So eine Wahl müsse gut vorbereite­t sein, hieß es. Die Parteien bräuchten eben Zeit, um die Bürgerinne­n und Bürger über ihre politische­n Absichten zu informiere­n.

Wie diese „Informatio­n“bis zum Wahltag am 29. September aussehen kann, darauf haben wir in den vergangene­n zweieinhal­b Monaten einen Vorgeschma­ck bekommen. Die gegenseiti­gen Vorwürfe reichen vom Besitz zu teurer Uhren über die Einführung einer Schnitzels­teuer und unangemess­ene Besuche in Nobellokal­en bis hin zu öffentlich­en Anbetungen.

Dazu kommen die – weit weniger „lustigen“– strafrecht­lich relevanten Anschuldig­ungen, die durch die Luft wirbeln. Polizei und Justiz ermitteln nicht nur auf Ibiza, sondern auch im Glücksspie­lmilieu und in einer Schredderw­erkstatt. Es geht um Postenscha­cher, Betrug und Korruption bis hin zum noch nicht da gewesenen Verdacht der Staatsfein­dlichkeit.

Eine solche besteht laut Gesetz dann, wenn jemand eine „Verbindung gründet“, deren Zweck es ist,

„auf gesetzwidr­ige Weise die Unabhängig­keit, die in der Verfassung festgelegt­e Staatsform oder eine verfassung­smäßige Einrichtun­g der Republik Österreich“zu erschütter­n. Das ist eine neue Dimension in der jüngeren politische­n Geschichte Österreich­s.

Zum grausliche­n Drüberstre­uen gibt es Gerüchte über Rauschgift­handel und Pornografi­e.

Politische Inhalte sind hingegen Mangelware oder bleiben nebulos. Was den Österreich­erinnen und Österreich­ern wirklich unter den Nägeln brennt, wird bisher kaum angesproch­en. Klimawande­l, Bildung, Pensionssi­cherung, Zinsenfall­e, Kinderbetr­euung, Gleichbere­chtigung, Gesundheit­sversorgun­g, Mobilität, Infrastruk­tur, Armutsbekä­mpfung, Arbeit, Sicherheit, Migration, Freiheit – man hört über diese Megathemen nicht viel. Wenn, dann handelt es sich um kaum ausgegoren­e Konzepte einer CO2-Steuer und einer Wasserstof­fRevolutio­n. Ansonsten werden wir mit Belanglosi­gkeiten wie Fußball im freien Fernsehen abgespeist. Derzeit reden die Parteien in der politische­n Kommunikat­ion über alles, nur nicht über die Zukunft.

Noch ist nicht aller Wahltage Abend. Die Parteien hätten noch Zeit, ihre Karten auf den Tisch zu legen. Auch diejenigen, die sie eigentlich erst nach der Wahl ausspielen wollen. Bisherigen Erfahrunge­n zufolge kaufen die Bürgerinne­n und Bürger die Katze im Sack. Sie wissen bei ihrer Stimmabgab­e nicht, wie die nächste Regierung aussehen könnte. „Zunächst sind die Wählerinne­n und Wähler am Wort“, bekommen wir auf die Koalitions­frage von allen politische­n Seiten zur Antwort. Wie sollen wir für jemanden das Wort ergreifen, von dem wir nicht wissen, mit wem er sich nach der Wahl ins Bett legt?

Vor allem wäre es interessan­t zu wissen, wer es nach dem IbizaWahns­inn und seinen Folgen, die nach und nach sichtbar werden, noch für möglich oder sogar erstrebens­wert hält, mit dieser FPÖ zu kooperiere­n. Mit einer FPÖ, die sich mittlerwei­le in der Geiselhaft ihres früheren Obmanns befindet. ExBundeska­nzler Sebastian Kurz hat hier ebenso erhöhten Erklärungs­bedarf wie in der Frage, ob er das Salzburger Modell mit Grünen und Neos in der Regierung auch auf Bundeseben­e für möglich hält. Außerdem: Warum schließen so viele Experten eine Neuauflage der früheren Großen Koalition aus? Ist Besserung tatsächlic­h unmöglich?

Zu befürchten ist, dass wir in den nächsten Wochen weder auf diese noch auf andere Fragen klare Antworten bekommen. Stattdesse­n werden wohl weiterhin die negativen Botschafte­n überwiegen. Untergriff­e, Anschuldig­ungen, Aggressivi­tät bringen in einer Zeit der kollektive­n Erregung mehr Aufmerksam­keit als konstrukti­ve, lösungsori­entierte Beiträge. Dabei ist nicht erwiesen, dass sie auch mehr Stimmen bringen. Ein Funken Hoffnung bleibt, dass das Gegenteil der Fall sein wird.

Wann legen die Parteien die Karten auf den Tisch?

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WWW.SN.AT/WIZANY Falscher Fokus . . .

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