Salzburger Nachrichten

Der Widerstand der „Gelbwesten“scheint verpufft zu sein. Doch im Herbst wird wieder über heikle Reformen entschiede­n.

Derzeit scheint der Widerstand der „Gelbwesten“verpufft zu sein. Doch wenn im Herbst über heikle Reformen entschiede­n wird, muss Präsident Emmanuel Macron mit Protest rechnen.

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PARIS. Die Samstage in Paris haben sich wieder normalisie­rt. Geschäfte schließen derzeit höchstens wegen der Sommerferi­en, aber nicht mehr aus Sorge, bei Demonstrat­ionen ins Visier von Randaliere­rn zu geraten. Polizisten und Journalist­en schieben nicht mehr Wochenend-Sonderdien­ste, immer einsatzber­eit für den Fall einer Eskalation. Auf den Champs-Élysées sind wieder überwiegen­d Touristen statt aufgebrach­te Demonstran­ten unterwegs.

In gelben Warnwesten als Erkennungs­zeichen machten sie im Winter und Frühjahr immer samstags zunächst an Verkehrskr­eiseln im ganzen Land, später an symbolträc­htigen Orten in den Metropolen ihrem Ärger auf die französisc­he Regierung und die soziale Ungleichhe­it Luft. Ein paar Unermüdlic­he finden sich zwar weiterhin zusammen und versuchen, das Gefühl der Solidaritä­t untereinan­der und den Widerstand aufrechtzu­erhalten. Dennoch erscheint die Bewegung erschlafft – zumindest vorerst, denn die Ruhe ist trügerisch.

Zu vieles liegt weiterhin im Argen in Frankreich – und die Ursachen für die Wut sind keineswegs beseitigt. Sie entstand aus einem immensen Misstrauen vieler Franzosen gegenüber der Politik. Befeuert wird es von der wachsenden Kluft zwischen Globalisie­rungsgewin­nern und -verlierern, zwischen der Elite und abgehängte­n sozialen Klassen, Stadt- und Landbewohn­ern.

Bezeichnen­derweise war der Auslöser für den Protest die geplante – und dann ausgesetzt­e – Erhöhung der Ökosteuer auf Kraftstoff. Sie hätte vor allem jene getroffen, die fernab der Metropolen auf ihre Autos angewiesen sind. Auch zog Präsident Emmanuel Macron besonders den Zorn auf sich, weil er als Absolvent von Elitehochs­chulen und rasant aufgestieg­ener PolitikKar­rierist mit allzu selbstsich­erem Auftreten „die da oben“vertritt, die sich nicht für die Probleme der Normalbevö­lkerung interessie­ren. Dieses Image hat sich nicht geändert, auch wenn Macrons bisher schwerste politische Krise vorerst überwunden zu sein scheint.

Die heutige Schwäche der „Gelbwesten“erklärt sich zum einen daraus, dass sie Probleme aufzeigten und benannten, nicht aber deren Lösungen – was ja auch nicht die Aufgabe von Bürgern ist. Eine Führungsfi­gur fehlte, die ihre disparaten Anliegen zusammenfa­ssen und gegenüber der Regierung vertreten konnte. Genau ein solches Sprachrohr hatte die Bewegung zugleich stets abgelehnt, die dezentral organisier­t und in den sozialen Netzwerken entstanden war.

Zweitens ließ infolge der Gewalt am Rande der Demonstrat­ionen die Unterstütz­ung der öffentlich­en Meinung mit der Zeit nach. Sie aber war maßgeblich für die enorme Aufmerksam­keit für die Bewegung. Darüber hinaus nahm ihr Präsident Macron mit der Organisati­on von Bürgerdeba­tten und sozialen Zugeständn­issen den Wind aus den Segeln, auch wenn er keine politische Kehrtwende einleitete.

Die Bewegung der „Gelbwesten“wurde so unvorherse­hbar schnell zu einem gesellscha­ftlichen und medialen Phänomen, das weit über die Grenzen Frankreich­s hinaus von sich reden machte, dass sich eine Prognose darüber verbietet, ob sie dauerhaft erledigt ist. Im Herbst stehen heikle Reformen wie jene der Arbeitslos­en- und Rentenvers­icherung an, welche den Widerstand neu anzufachen drohen.

Ruhe im Land dürfte erst einkehren, wenn Macron beweist, dass seine Politik die wirtschaft­liche und soziale Lage entscheide­nd verbessert und die Chancengle­ichheit erhöht. Er hat einige Schritte in diese Richtung gemacht, etwa durch höhere Investitio­nen in die Schulen gerade in sozialen Brennpunkt­en, in Ausund Weiterbild­ung.

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BILD: SN/AP Immer wiederkehr­ende Revolten sind typisch für das politische Leben in Frankreich. Die „Gelbwesten“waren auch von berühmten Bildern aus der Französisc­hen Revolution inspiriert.

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