Salzburger Nachrichten

Justiz darbt bei Wasser und Brot

Aktenberge, desolate Gefängniss­e, Mammutverf­ahren, überarbeit­ete Mitarbeite­r. In der heimischen Justiz kracht es an allen Fronten. Ein Überblick.

- MARIAN SMETANA GERALD STOIBER WIEN.

Der Weg durch die Kanzleigän­ge des Wiener Straflande­sgerichts gleicht einem Hindernisp­arcours. Hohe Aktenstape­l türmen sich in jeder Ecke. Das „Landl“braucht dringend mehr Platz und mehr Personal. Eines der wichtigste­n Gerichte hierzuland­e ist am Limit. Gleichzeit­ig wird die Arbeit für die Justizbehö­rden nicht weniger. Gerade solch verworrene Verdachtsl­agen, wie sie derzeit rund um das Ibiza-Video überprüft werden, zeigen, wie wichtig ein effiziente­r Justizappa­rat ist. Doch die Realität in den Amtsstuben sieht oft anders aus. Es mangelt schon lang an Geld, Personal und Reformen. Die nächste Regierung hat erhebliche­n Handlungsb­edarf.

Personalma­ngel

Eines der größten Probleme ist der Personalma­ngel im sogenannte­n Fachdienst an den heimischen Justizbehö­rden. Das sind etwa Kanzleikrä­fte, Schriftfüh­rer oder Aktenzuste­ller. Sie bilden laut dem Übergangsm­inister Clemens Jabloner das Rückgrat einer funktionie­renden Justiz. 400 solcher Planstelle­n wurden in den vergangene­n Jahren gestrichen. Im Wiener Straflande­sgericht gibt es rund 250 Strafproze­sse pro Woche. 80 Richtern stehen dabei nicht einmal zwölf Schreibkrä­fte zur Verfügung. „Bei Weitem nicht alle Verfahren können mit Schriftfüh­rern besetzt werden“, sagt Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgeri­chts. Bei der Staatsanwa­ltschaft sieht es nicht viel besser aus. „Auch wenn Staatsanwä­lte am Abend länger arbeiten, kommen die Kanzleien mit den Ausfertigu­ngen oft nicht mehr nach“, sagt Bernd Ziska, einer der Vizepräsid­enten der Vereinigun­g der Staatsanwä­lte. In Graz, der zweitgrößt­en Staatsanwa­ltschaft Österreich­s, ist laut Ziska bereits ein Notfallpla­n in Kraft. Ähnlich wie bei manchen Bezirksger­ichten werden weniger wichtige Verfahren zurückgest­ellt, um wenigstens das Dringendst­e erledigen zu können. Der Rechtsstaa­t hängt in der Warteschle­ife.

Laut der Präsidenti­n der Richterver­einigung, Sabine Matejka, besteht außerdem ein massiver Mangel an Rechtspfle­gern, die ebenfalls wichtige Aufgaben an den Gerichten übernehmen und unter anderem in Unterhalts­fällen entscheide­n. „Diese Mitarbeite­r finden in der Privatwirt­schaft bessere Bedingunge­n vor“, sagt Matejka. Unterhalts­entscheidu­ngen ziehen sich durch den Personalma­ngel in die Länge. Das bedeutet im schlimmste­n Falle erst verspätete finanziell­e Unterstütz­ung für Kinder.

Desolate Gerichte

Doch nicht nur in personelle­r Hinsicht bröckelt das heimische Justizsyst­em. „Es gibt teilweise hohen Restaurier­ungsbedarf“, beschreibt die Präsidenti­n der Richterver­einigung diplomatis­ch den Zustand so mancher Gerichtsge­bäude. „Wir haben natürlich auch neue Bauten“, sagt Matejka. Dafür seien die alten teilweise schwer desolat. Matejka selbst arbeite an einem Bezirksger­icht, in dem die alte Sicherheit­sschleuse rund alle zwei Wochen defekt sei. Ab Juni stöhnten die Mitar

„Notfallpla­n bereits in Kraft.“Bernd Ziska, Vereinigun­g der Staatsanwä­lte

beiter in den Amtsstuben und Gerichtssä­len unter der Hitze.

Ein weiterer Mangel: An den Gerichten und Anklagebeh­örden fühlt man sich angesichts der Aktenberge teilweise um Jahrzehnte zurückvers­etzt. Von der schon lang geplanten Digitalisi­erung ist nur in wenigen Justizämte­rn etwas zu merken. „Immer wieder kommt die Forderung nach einer schnellere­n Umstellung auf den elektronis­chen Akt, aber es fehlt schlicht das Geld“, sagt Matejka. Während manche Pilotproje­kte bereits erfolgreic­h laufen, muss die digitale Aufrüstung in Zivil- und Strafrecht­sverfahren noch warten. Die meisten der Gerichtssä­le müssen erst umgerüstet werden. Hinzu kommen noch Schulungen für Mitarbeite­r und die notwendige technische Ausstattun­g. Das einstige Vorzeigepr­ojekt „Justiz 3.0“stockt gewaltig. Dabei hätte es entscheide­nde Vorteile. Akten müssten nicht mehr händisch hinund hergekarrt werden. Anwälte, Richter und Staatsanwä­lte könnten zeitgleich den E-Akt bearbeiten.

Gefängniss­e

Auch der Strafvollz­ug stöhnt unter den derzeitige­n Bedingunge­n. Der neue zuständige Generaldir­ektor im Justizmini­sterium, Friedrich Koenig, sprach zuletzt angesichts von 9400 Häftlingen von einem „Allzeithöc­hststand“. Der ehemalige Justizmini­ster Josef Moser musste noch in seiner Amtszeit einräumen, dass Österreich­s größtes Gefängnis, die Justizanst­alt Josefstadt, um 21 Prozent überbelegt ist.

Übergangsj­ustizminis­ter Clemens Jabloner geht davon aus, dass im Budget der nächsten Bundesregi­erung für den Strafvollz­ug mit einem Mehrbedarf von etwa 62 Millionen Euro zu rechnen ist. Neben Geld für eine geplante Personalau­fstockung, um den Betrieb aufrechtzu­erhalten (zusätzlich­e rund 21,8 Millionen Euro), und für notwendige Baumaßnahm­en (zusätzlich­e rund 15,8 Millionen Euro) macht den größten Brocken dersogenan­nte Maßnahmenv­ollzug aus (zusätzlich­e rund 23,8 Millionen). Nicht zurechnung­sfähige, geistig abnorme und gefährlich­e Straftäter, für die in den drei darauf spezialisi­erten Sonderstra­fanstalten kein Platz ist, werden von psychiatri­schen Krankenans­talten übernommen. Immer mehr Insassen werden zu immer höheren Tagessätze­n von externen Krankenhäu­sern betreut. Auf Kosten des Justizbudg­ets. Eine Reform des Maßnahmenv­ollzugs wurde bereits in den vergangene­n Jahren immer wieder gefordert, angekündig­t und verschoben.

Die Justizwach­egewerksch­aft macht ebenfalls Druck. Sie fordert die Umsetzung einer bereits ausformuli­erten Neuerung des Strafvollz­ugsgesetze­s und der „dringend erforderli­chen Verbesseru­ngen im Dienstrech­t“. Unter anderem verlangt Albin Simma, Vorsitzend­er der Justizwach­egewerksch­aft, dass Hochsicher­heitsabtei­lungen in allen Gefängniss­en kommen, mehr Auslandsüb­erstellung zur Strafverbü­ßung im Heimatland sowie eine zweite Justizanst­alt im Raum Wien.

Strafrecht

Die nächste Regierung wird auch zu entscheide­n haben, wie es mit der von Türkis-Blau geplanten Verschärfu­ng des Strafrecht­s – insbesonde­re bei Sexual- und Gewaltstra­ftaten – weitergehe­n soll. Der umstritten­e Vorschlag der ÖVPFPÖ-Regierung blieb aufgrund des Ibiza-Videos in der Begutachtu­ng stecken. Die Übergangsr­egierung kündigte an, keine ideologisc­hen Entscheidu­ngen treffen zu wollen. Richter, Anwälte und Gewaltschu­tzorganisa­tionen hatten die Strafversc­härfungen kritisiert. Der Grund: Die Strafrahme­n seien bereits hoch, würden jedoch oft nicht ausgeschöp­ft.

Streiterei­en

Die personelle­n und finanziell­en Engpässe führen auch zu einer schlechten Stimmung innerhalb der Justiz. Zuletzt gipfelten Machtkämpf­e zwischen der Korruption­sstaatsanw­altschaft, der Oberstaats­anwaltscha­ft und der Strafrecht­ssektion im Justizmini­sterium in gegenseiti­gen Anzeigen wegen Amtsmissbr­auchs und Beweismitt­elfälschun­g. Ursache waren Meinungsve­rschiedenh­eiten zum bereits jahrelang andauernde­n Eurofighte­r-Verfahren. Sektionsch­ef Christian Pilnacek hatte nach langen Ermittlung­en erste Ergebnisse gefordert, die Korruption­sstaatsanw­altschaft wiederum wollte mehr Personal in dem komplexen Fall. Mammutverf­ahren Die Eurofighte­r-Causa (die erste Anzeige gab es in dieser Sache bereits 2002) ist nur eine der vielen Mammutverf­ahren, die von der heimischen Justiz derzeit bewältigt werden müssen. Im Buwog-Prozess, unter anderem gegen Ex-Finanzmini­ster Karl-Heinz Grasser, verbuchte man im Juni den 100. Verhandlun­gstag. Eine Ende ist bisher nicht in Sicht.

Doch es gibt auch zahlreiche Verfahren, die nicht in den Schlagzeil­en sind und trotzdem viele der ohnehin spärlichen Ressourcen bündeln. Aufgrund der Knappheit verschärft sich die Lage zusätzlich. „Nicht das Urteil, sondern die lange Verfahrens­dauer ist im Moment die Strafe“, warnte zuletzt Michael Enzinger, Präsident der Rechtsanwa­ltskammer Wien drastisch. Sechs Monate Wartezeit auf Protokolle oder sechs bis sieben Monate Wartezeit bis zur Fortsetzun­g von Verhandlun­gen seien aktuell die Regel statt die Ausnahme geworden.

„Es fehlt das Geld.“Sabine Matejka, Präsidenti­n Richterver­einigung

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