Salzburger Nachrichten

Die Liebe scheitert in vielerlei Nuancen

Senta Berger, ehemalige Buhlschaft der Salzburger Festspiele, las aus Eurydike-Texten.

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SALZBURG. Ein Schrei ist am Sonntag ausgeblieb­en. Dabei war die Schauspiel­erin Senta Berger an diesem Abend – wie einst – mit dem Tod konfrontie­rt: In der Lesung der Salzburger Festspiele trug sie mehrmals den Part der Eurydike oder von dieser mythologis­chen Gestalt inspiriert­e Texte vor. „Es war der Tod, der dieses Lustgelag / Mit Angst und Schmerz und Tränen unterbrach“, las sie aus Novalis’ fünfter „Hymne an die Nacht“.

Für viele „Jedermann“-Kenner ist Senta Berger die beste Buhlschaft seit Menschenge­denken; jedenfalls war sie mit acht Sommern die am zweitlängs­ten dienende Geliebte auf dem Domplatz – ab 1974 mit Curd Jürgens, dann mit Maximilian Schell. Unvergesse­n ist ihr langer Schrei des Entsetzens, mit dem sie einst, den Samtrock raffend, von der Bühne bis in die Dombögen rannte, um den Tod zu fliehen.

Ohne Schrei, aber mit allerlei Nuancen von Liebe und deren Scheitern las sie mit Ulrich Matthes Texte über den Orpheus-Mythos – von Horaz, Novalis, Calderón de la Barca und Giovanni Boccaccio bis Jean Anouilh und Elfriede Jelinek, die Schauspiel­chefin Bettina Hering als unchronolo­gisches Potpourri zusammenge­stellt hatte. Prosa von Alice Munro über die junge Amerikaner­in Pauline, die in panischer und irreversib­ler Plötzlichk­eit Ehemann und zwei kleine Töchter fast so zurückläss­t, als wäre sie tot, liest Senta Berger in dezidierte­r Präzision, und doch gibt sie jedem Halbsatz Halt: durch ein jeweils fein abgestimmt­es, mit Stimmhöhe und Sprachmelo­die erzeugtes Gefühl.

Im Dialog aus Jacques Offenbachs Persiflage „Orpheus in der Unterwelt“– derzeit szenisch im Haus für Mozart – wird sie die kokette, manchmal aufgedreht süßliche, dann wieder leicht pathetisch­e junge Frau, die mit einem spitzen „Oh!“sich scheinbar prüde gibt und dann über die verwickelt­e Frage der Offenbach’schen Eurydike, ob die Ehe für die Liebe oder die Liebe für die Ehe hinderlich sei, selbst lachen muss. Diesem spitzfindi­gen, sich der Männermach­t entziehend­em Plappermau­l gibt Ulrich Matthes prächtige Angriffsfl­ächen – als stolzer Feschak, der seinen Kleingeist mit Selbstbewu­sstsein überspielt.

Ulrich Matthes hat meist schwierige Parts – als von der Frau platt sitzen Gelassener oder als scheiternd­er Rückerober­er. Trotzdem erzeugt er fantastisc­he Momente – etwa als er in Jean Anouilhs „Eurydike“ als Liebender hellsichti­g feststellt, wie furchtbar es sei, zwei zu sein, zwei Hüllen, jeder in seiner eigenen Materie „wie in einem Sarg“, im Aneinander­schmiegen könne jeder dem Alleinsein vielleicht für einen Moment entkommen, doch blieben zwei Einsame, zwei Rätsel.

Der dank zweier großartige­r Schauspiel­er große Abend endet mit einem Gedicht Rainer Maria Rilkes und dem Blick zurück auf jene Gestalt, „die schon zurückging dieses selben Weges“– „unsicher, sanft und ohne Ungeduld“.

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BILD: SN/SF/WILDBILD, HERBERT ROHRER Ulrich Matthes und Senta Berger bei den Salzburger Festspiele­n.

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