Befangenheit ist keine Zier
Endlich ist sie vorbei, die Durststrecke ohne neue „Tatort“-Folgen. Nach dem Abschied von „Wetten, dass ..?“ist diese Reihe das letzte Ritual, das noch als familiäres Lagerfeuer funktioniert. Nach der Aufwärmrunde mit einem neuen „Polizeiruf 110“in der Vorwoche kommt nun das Original in die Wohnzimmer. Allerdings gibt es keine Schonfrist. Der neue Fall aus Dresden ist zugleich der zweite Film mit Cornelia Gröschel als Partnerin von Karin Hanczewski (Karin Gorniak). Und Gröschels Kommissarin Leonie Winkler schlägt sich wesentlich besser als zum Einstand, das sei vorab verraten.
Ihrem Chef Martin Brambach ist das völlig egal. Er kennt die Frau des soeben gemeldeten Mordopfers, eines Restaurantleiters, der von sechs Schüssen getroffen in seinem Bürosessel zusammengesackt ist.
Handelt es sich um Schutzgelderpressung, um organisierte Kriminalität, einen Raub? Die Überwachungskameras entpuppen sich als Attrappen. Echt ist aber das Entsetzen der Ehefrau und ihrer beiden minderjährigen Kinder. Das glaubt jedenfalls Brambach, der sich wieder einmal in seiner Empörung schauspielerisch ausleben kann und beide Kolleginnen in die Schranken weist.
Gorniak und Winkler wollen trotzdem in der Familie des Ermordeten nachforschen, zumal ein Überfall stattgefunden hat, der mit dem Verbrechen zu tun haben könnte.
Es werden viele Spuren ausgelegt. Der Zuschauer ahnt, dass nichts so ist, wie es scheint. Und Winkler sagt folgerichtig: „Irgendetwas stimmt nicht an dieser Geschichte.“
Je länger die Kamera bei den Buben bleibt, die ein Geheimnis wälzen, desto mehr verschiebt sich der Schwerpunkt des Verdachts. Winkler, Tochter eines pensionierten Polizisten mit erstklassigem Ruf, macht Entdeckungen, die weder ihr noch ihm recht sind. Auch Brambach gerät in die Defensive: Hat er sich gar vom Mordopfer abhängig gemacht?
Selbstverständlich lassen Überraschungen nicht auf sich warten. Es zeichnet sich ein Sittenbild ab, das womöglich dem 21. Jahrhundert entspricht. Cornelia Gröschel hat am Ende des Films ihre Figur vollends rehabilitiert und sogar bei ihrem Vater, der Polizeilegende, ordentlich Kante gezeigt.
Dieser solide Kriminalfilm lässt auf einen dynamischen „Tatort“-Herbst hoffen. „Tatort: Nemesis“, Sonntag, 20.15, ORF 2/ARD.
Hat sich die Polizei vom Ermordeten abhängig gemacht?