Salzburger Nachrichten

Links und rechts haben ausgedient

Was ist heute in der Politik die „Mitte“? Der Ex-Politiker und Buchautor Stefan Grüll über „inhaltlose Kampfbegri­ffe“und bequem gewordene Wähler.

- THOMAS HÖDLMOSER

„Rechts. Links. Mitte. Was bin ich und wovon wie viel?

“So lautet der Titel eines vor Kurzem erschienen­en Buchs des Berliner Anwalts und ehemaligen FDP-Abgeordnet­en Stefan Grüll. Für Grüll haben Rechtslink­s-Zuschreibu­ngen ausgedient. Die übertriebe­ne Political Correctnes­s betrachtet er als Gefahr für die Meinungsfr­eiheit.

SN: Sie fordern in Ihrem Buch „Respekt vor anderer Meinung“ein. Ist nicht in der Politik exakt das Gegenteil zu beobachten?

Stefan Grüll: Es wird härter. Das Stakkato in der Argumentat­ion nimmt zu. Die Streitkult­ur schwindet immer mehr. Ich habe nichts gegen Zuspitzung. Die Verkürzung von Inhalten ist schlagzeil­enträchtig. Aber das darf nicht alles andere überlagern. Sonst ist der Streit um den richtigen Weg nicht mehr möglich.

SN: Worin sehen Sie die Ursachen für die verhärtete­n Fronten?

Die Kommunikat­ionswege haben sich verändert. In den sozialen Medien ist überhaupt nicht mehr erkennbar, was Meinung, was Fakt, was schlichte Lüge ist. Stößt diese unsägliche Melange dann auch noch auf die Bequemlich­keit vieler Wähler, überhaupt nur noch das zu lesen, was sie in der eigenen Meinung bestätigt, wird es gefährlich.

SN: Warum werden die Gräben in der Gesellscha­ft tiefer?

Ist die Asylfrage der einzige Grund? An der Migrations­debatte macht sich alles fest. Es ist das, was am meisten polarisier­t, weil es scheinbar am griffigste­n ist, weil polemisier­ende Zuspitzung dort besonders leicht ist. Über den Klimawande­l zu diskutiere­n ist ungleich schwerer.

SN: Sie kritisiere­n in Ihrem Buch „aufhetzend­e Simplifizi­erer“ebenso wie „Umverteile­r“und randaliere­nde Gelbwesten ...

... weil sie an den Symptomen laborieren und nicht an der Ursache. Es gibt nicht die einfache Antwort auf Migration, Umweltzers­törung oder soziale Ungerechti­gkeit. Was die Gelbwesten betrifft: Eine zunächst gefeierte Bürgerbewe­gung mündete im Randalerit­ual auf den Champs-Élysées. Wo ist die politische Aussage der Gelbwesten? Und alles mit der Verteilung­sfrage lösen zu wollen und so ein Paradies zu suggeriere­n – das hat mit der Realität nichts zu tun.

SN: Wenn Politiker nur an den Symptomen laborieren – was sind denn die Ursachen?

Nehmen wir die Armutsmigr­ation: Seit Jahrhunder­ten organisier­en wir unseren Wohlstand auf Kosten Afrikas und Europa trägt Mitschuld an vielen Kriegen, gerade auch um Rohstoffe. Aber kann die daraus erwachsene Verantwort­ung bedeuten, alle Flüchtling­e willkommen zu heißen? Wir erleben doch gerade, dass das nicht funktionie­rt. Die Lösung kann nur sein, Aufnahme und Verteilung wirklich Verfolgter im europäisch­en Kontext möglich zu machen – und endlich entschloss­en zu beginnen, mit den Menschen vor Ort in Afrika Perspektiv­en für ihr Leben zu schaffen.

SN: Sie sagen, das Rechts-links-Schema in der Politik sei veraltet. Warum?

In Bürgerrech­tsfragen bin ich soziallibe­ral. Wenn es um Waffenexpo­rte geht, ziemlich links. Bei der Zuwanderun­g will ich eine Regulierun­g, die konsequent durchgeset­zt wird. Bin ich deswegen ein Rechter? Die Etikettier­ung ist überholt, weil die Komplexitä­t der Probleme eine solche einfache Zuordnung nicht mehr zulässt. Und dann sehen sich alle Parteien immer auch noch irgendwie in der Mitte. Auch das zeigt, dass diese Begriffe zu nichts mehr taugen. Das ist nichts als Etikettens­chwindel.

SN: Anderersei­ts hat es den Anschein, als würde die Mitte immer mehr ausgedünnt, während extreme Positionen links und rechts immer mehr Gehör finden.

Ich unterschei­de zwischen Bürgern, die sich in der Mitte sehen, und der Politik, die die Mitte für sich reklamiert. Mitte heißt für mich als Liberalen: austariere­n, die eigenen Interessen sehen, ohne die der anderen Seite zu missachten, leben und leben lassen, Rücksicht nehmen. So wollen das nach meiner Wahrnehmun­g auch die meisten Bürger. Die Politik hat den Begriff der Mitte aber zur Beliebigke­it degradiert, weil alle vorgeben, sich dort zu platzieren. Das ist für mich ein seelenlose­r, inhaltlose­r Kampfbegri­ff in der politische­n Debatte geworden, der mit dem Empfinden der Menschen nichts zu tun hat. Oberste Maxime demokratis­cher Streitkult­ur muss wieder sein: einander zuhören und über Inhalte diskutiere­n. Das befördert automatisc­h die intellektu­elle Redlichkei­t und die Transparen­z politische­r Entscheidu­ngen.

SN: Ist der Versuch, sich mit ruhigen, vernünftig­en Argumenten gegen politische Schreihäls­e wie Boris Johnson oder einen Donald Trump durchzuset­zen, nicht aussichtsl­os?

Ich habe Hoffnung! Es gibt so unglaublic­h viele, die den Anspruch haben, dass endlich wieder anders diskutiert wird. Gemeinsam müssen wir ein Klima schaffen, in dem jede Meinung innerhalb des verfassung­srechtlich­en Rahmens ihren Platz hat. Ich sehe diese Meinungsfr­eiheit gefährdet durch den Rückzug von Menschen, die sich sagen: „Den Stress eines Shitstorms tu ich mir nicht an.“

SN: Es scheint, als hätten viele heute Angst, sich öffentlich für eine „rechte

“Politik auszusprec­hen – etwa für die Begrenzung der Aufnahme von Asylbewerb­ern. Schließlic­h will niemand gern als Rechter oder gar als Nazi hingestell­t werden. Gibt es dagegen ein Rezept? Für mich ist die Frage nicht: Rechts oder links? Sondern: Innerhalb oder außerhalb der Verfassung? Ich habe kein Problem damit, Jörg Meuthen (Bundesspre­cher der AfD) einen Demokraten zu nennen, und gerade deswegen erwarte ich von ihm klare Kante gegen rechts außen. Sahra Wagenknech­t (Co-Vorsitzend­e von „Die Linke“), die mit der Kommunisti­schen Plattform früher in einer Grundgeset­z-Grauzone agierte, ist für mich eine Demokratin, mit der es sich zu diskutiere­n lohnt.

SN: Sie kritisiere­n auch die Political Correctnes­s, die die Meinungsfr­eiheit immer mehr einzuschrä­nken droht. Inwiefern?

Das Problem ist, dass die Political Correctnes­s eine solche Absurdität erreicht hat. Ein Beispiel ist Harald Schmidt, ein gefeierter Fernsehsta­r, intellektu­ell anspruchsv­oll, seine Sendung hab ich selbst gern gesehen. Er sagt, seine Sendung wäre heute nach einer Woche eingestell­t. Wenn so jemand das sagt, bedarf es keiner Erläuterun­g mehr, in welchen Sphären der Übertreibu­ng wir uns befinden.

SN: Welche Sphären der Übertreibu­ng meinen Sie?

Denken Sie beispielsw­eise an die Mohrenapot­heken, die sich nach oftmals Jahrhunder­ten reihenweis­e umbenennen aus Angst vor eingeschla­genen Scheiben, weil der Name angeblich rassistisc­h ist. Dabei ist „Mohr“in diesem Fall ein Kompliment! Es ist eine Abwandlung von „Mauren“, die uns Europäern früher in der Medizin weit voraus waren. Wohin führt übertriebe­ne Political Correctnes­s? Lassen wir die Kirche im Dorf – wenn man das so noch sagen darf.

 ?? BILDER: SN/STOCKADOBE-PRAJAKKIT (2), XIOMARA BENDER ?? Stefan Grüll ist Anwalt und Buchautor und ehemaliger Abgeordnet­er der FDP.
BILDER: SN/STOCKADOBE-PRAJAKKIT (2), XIOMARA BENDER Stefan Grüll ist Anwalt und Buchautor und ehemaliger Abgeordnet­er der FDP.

Newspapers in German

Newspapers from Austria