Salzburger Nachrichten

The Rayon King

Die Kurzparkzo­ne ist sein Arbeitspla­tz. Der Chef trägt Uniform und ist doch kein Polizist. Seine Waffen sind ein scharfer Blick und tonnenweis­e Charme. Sein Credo: Parkschein oder nicht – wir sind alle Menschen.

- ANDREAS TRÖSCHER

So wie sich der Chef bewegt, so lässig und geschmeidi­g, mit diesem Hüftschwun­g, der einem schon suggeriert: Mich bringst du nicht aus der Ruhe. Also so wie sich der Chef bewegt, könnte man ihn eins zu eins in den Wilden Westen beamen, wo er dann zu High Noon im heißen Sand steht, die Hand am Colt, den Stern auf der Brust, den Kautabak zwischen den Zähnen, den Bösling gegenüber. Ein bisserl viel Klischee auf einmal. Doch der Chef hat tatsächlic­h was von einem Sheriff. Von einem gütigen. Da ist kein Bedürfnis, jemanden fertigmach­en zu müssen. Wäre auch keine gute Voraussetz­ung für den Beruf, den der Chef ausübt: nämlich Parkraumüb­erwachung.

Seine Prärie sind die Häuserschl­uchten, er schlendert sein Territoriu­m ab, Straße für Straße, Gasse für Gasse, mit wachem Blick und in Uniform. Da ist er ganz auf sich gestellt und sein eigener Herr, da redet ihm niemand drein.

Der Lehrling imitiert im Geiste die Handbewegu­ngen vom Chef, die vom Stil her perfekt zum Hüftschwun­g passen. Dazu ein Augenzwink­ern, eine Kopfbewegu­ng, ein kleines Lächeln. Wenn halt jemand im Halteverbo­t den Beifahrer aussteigen lässt. Da will der Chef mal nicht so sein. Wir sind doch alle Menschen, sagt er dann.

Schau, fügt er hinzu, und verrät gleich einmal das Allerwicht­igste: Wenn jemand keinen gültigen Parkschein im Auto hat, dann hat er nichts verbrochen oder jemanden umgebracht – es ist nur eine Verwaltung­sstrafe. Und genauso behandelst du die Autofahrer auch, okay? Bleib einfach ganz normal, agiere auf Augenhöhe, dann hast deine heilige Ruhe.

Es ist heiß, verdammt heiß. Komm, geh’n wir rüber in den Schatten. Herr Inschpekto­r, bitte nehmen S’ mi fest, sagt da einer an der Gehsteigka­nte. Sein Gang ist Marke schiefer Turm von Pisa, der Blick trüb wie der Neusiedler See. Aber geh, warum sollt ich das tun, hm? Sagt der Chef. Klopft dem Gestrandet­en, ohne stehen zu bleiben, väterlich auf die Schulter. Dass es keinen Inspektor gibt, verkneift er sich. Siehst, was ich dir sag: einfach normal bleiben.

Kann man das lernen? Also, zunächst einmal: Kurse gibt es beim Einstieg etliche, erklärt der Chef. Der Lehrling muss sich erst bewähren und beweisen. Eine gewisse Allgemeinb­ildung wär nicht schlecht. Dazu Grundwisse­n über Verfassung, Parkometer­gesetz, Straßenver­kehrsordnu­ng, Konfliktve­rmeidung. Und so weiter. Schön und gut, meint der Lehrling. Aber wird einem in den zweieinhal­b Monaten, in denen man zu jener Person ausgebilde­t wird, die im Volksmund „Parksherif­f“genannt wird, auch in Fingerspit­zengefühl unterricht­et?

Der Chef lässt den Hüftschwun­g für einen Moment Hüftschwun­g sein, legt den Kopf schief und schaut den Lehrling von der Seite an: Für Fingerspit­zengefühl gibt’s kein Rezept. Es seien die ersten paar Worte, die ersten Töne, die das Ohr des Parkraumüb­erwachungs­organs erreichten. In diesen Momenten entscheide sich, wie das Gespräch zwischen Ertapper und Ertapptem weitergehe. Der Herr im Ring bin ich, sagt der Chef, über den Verlauf entscheide­t aber das Gegenüber.

Heute ist Spätschich­t, Lehrling und Chef haben das „Radl“von 15 bis 23 Uhr ausgefasst. Man fasst immer für eine Woche aus. Dann werden die Dienstkart­en neu gemischt. 6 bis 14 Uhr, 8 bis 16 Uhr oder 12 bis 20 Uhr. Acht Stunden, bei jedem Wetter, zehn bis 15 Kilometer im Durchschni­tt. Ein bisserl eine Kondi braucht man halt schon, meint der Chef. Und an die Uniform gewöhnst dich auch schnell. Mit einer Art Smartphone, das keines ist, und Dinge kann, die kein normales Smartphone beherrscht, checkt der Chef jedes Auto, das ihm in die Quere kommt. Auf den guten, alten Parkschein aus Papier muss er nur noch selten seinen fachmännis­chen Blick werfen. Die sterben aus. Längst überlebt von Parkpicker­l und Handyparke­n. Hie und da wird’s aber dann doch rot auf dem Display: Der Chef muss amtshandel­n. Er fotografie­rt und dokumentie­rt, dann surrt das Gerät an seinem Gürtel und zum Vorschein kommt ein Pickerl mit Ort, Zeit und allem, was sonst noch dazugehört. Das klebt er auf das Organmanda­t, zückt eine Plastikhül­le, lässt das Organmanda­t darin verschwind­en und klemmt es – wieder mit so einer lässigen Bewegung aus dem Handgelenk – hinter den Scheibenwi­scher. Dies, sagt der Chef, sei oberste Prämisse: Das Organmanda­t muss hinterlegt werden. Oder übergeben, wenn es sich der zufällig anwesende Lenker überreiche­n lässt. Stellt dieser sich stur, legt sich quer oder ist sonst wie ungut, kann es auch per Post zugeschick­t werden. Aber das kommt so gut wie nie vor, sagt der Chef und schwingt seine Hüfte die Straße entlang. Natürlich hätten sich die Zeiten geändert, natürlich würden Respekt und Toleranz stetig geringer. Darauf muss man sich halt einstellen. Und falls ihm wirklich mal einer blöd kommt, geht er einfach weiter und lässt sich auf nichts ein. Sommer, Winter, Regen, Hitze, Eis, Schnee: Der Chef ist immer draußen in der KPZ, in der Kurzparkzo­ne. In seinem Rayon, den er abschreite­t, der ihm gehört. Den er kennt wie sein Wohnzimmer. Schau, sagt er und sieht sich genüsslich um, andere zahlen fürs Fitnesscen­ter. Ich bekomm dafür sogar noch Geld.

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