Wer weiß, wo die Kandidaten sind?
In Nah und Fern beobachtet man mit Spannung den Verlauf des österreichischen Wahlkampfs. Das mit dem Fern klingt jetzt vielleicht protziger, als es gemeint ist. Denn Fern ist bekanntlich ein Ortsteil der Lungauer Gemeinde Göriach, also doch eher nah.
Ferner ist es naheliegend zu betonen, dass es genauso protzig klänge, würde man sagen, dass sich sogar Übersee für den Wahlkampf in Österreich interessiert. Aber es ist halt so, dass Übersee am Chiemsee und damit kaum fünfzig Kilometer von Salzburg entfernt liegt. Oder eigentlich entnaht.
Egal. Der nahende Wahltag macht sich vor allem in den sich häufenden Fernsehinterviews der Spitzenkandidaten bemerkbar. Bis zum Wahltag wird man die Herrschaften noch geschätzte 250 Mal im Fernsehen sehen, wofür die stattliche Anzahl an Sendern ebenso verantwortlich ist wie das enorme Zuschauerinteresse. Und zwar in Nah und Fern, wir erwähnten es bereits.
Offenbar ist es den Zuschauern ein Anliegen, die ansonsten eher unnahbaren Politiker im Fernseher einmal ganz aus der Nähe zu begutachten. Ein semantischer Widerspruch, gewiss, aber technisch durchaus möglich.
Was die Politiker dabei sagen, ist nebensächlich. Am nächsten Tag wird viel mehr über ihre Frisur, ihre (im Kandidatinnenfall) Ohrringe und ihre Kleidung gesprochen als über ihre Aussagen. Wobei puncto Kleidung seit Langem auffällt, dass die Kandidaten eigentlich gar keine richtigen Kandidaten sind.
Denn der Ausdruck leitet sich ab vom lateinischen Wort „candidus“– „weiß“. Das kommt daher, dass im antiken Rom die Bewerber um ein Amt eine strahlend weiße Toga, die „toga candida“, trugen. Warum das so war, ist nicht wirklich überliefert. Vielleicht wollten die Kandidaten einfach auffallen. Welcher Kandidat will das nicht?
Möglicherweise handelte es sich aber auch um ein Service für die Bürger. Die römischen Politiker hielten sich damals ja nicht mit Wahlversprechen auf, dass sie nach der Wahl dieses oder jenes tun würden. Nein, sie taten schon vor der Wahl: Bei den Wahlkämpfen in Rom flossen enorme Summen an Bestechungen, Geschenken und zinslosen Darlehen. Vielleicht hatte die weiße Toga also den gleichen Sinn, den heute das grünblaue B bei den Bankomaten hat: Als Signal „Hier gibt’s Geld!“
Unsere modernen Zeiten sind über diese plumpe Form der Wählerbestechung längst hinaus. So weit sie bar aufs Handerl durchgeführt wird, gilt sie heute als Verbrechen. Per Gesetz ist sie, wie der Name schon sagt, legal.
Jedenfalls ist auffällig, dass man seit ewigen Zeiten keinen Spitzenkandidaten mehr gesehen hat, der seine Fernsehinterviews in einem weißen Udo-Jürgens-Anzug bzw. -Bademantel absolviert hätte. Schade. Im Grunde sind das also alles keine Kandidaten. Am ehesten noch Pamela Rendi-Wagner, die als gelernte Ärztin sicherlich einen weißen Mantel daheim hängen hat.
Dafür ermangelt es der SPÖ-Vorstehenden (zum Sitzen kommt man im Wahlkampf ja kaum) an einem anderen, in Österreich absolut unverzichtbaren Kandidaten-Attribut: Sie urlaubt nicht hübsch bescheiden in einem kleinen Alpendorf und nährt sich von den Früchten des Waldes und den Pflanzen des Feldes. Nein, wie dieser Tage ausführlich besprochen wurde, reiste sie nach St. Tropez, wo – wie jedes Kind weiß – Louis de Funès Gendarm ist und die Leute sich zur „Fête blanche“treffen, zum weißen Fest, bei dem alle wie die Kandidaten gekleidet sind und Austern samt Champagner schlürfen.
Niveauvoll, wie dieser Wahlkampf nun einmal ist, wurde Rendi-Wagner diese Fernreise politisch sofort übel ausgelegt. Bei einer Reise nach Fern wäre ihr das nicht passiert.