Salzburger Nachrichten

Sind 30 Stunden genug?

Oder: Kann weniger gar mehr sein? Über Vorzüge und Nachteile einer 30-Stunden-Woche.

- MARTINA LETTNER

Nicht jedes Mitarbeite­rgespräch läuft so, wie vom Vorgesetzt­en geplant. Etwa im Fall von – nennen wir ihn – Thomas. Thomas ist kompetent und engagiert. Der Vorgesetzt­e würde ihn gerne an höherer Position sehen, ihm mehr Verantwort­ung geben. Doch der 35-Jährige winkt ab. Er wolle keine anderen Aufgabenbe­reiche – die Arbeit bereite ihm Freude. Gehaltserh­öhung? Gern. Aber eigentlich wünsche er sich mehr Freizeit. Konkret: eine 30-Stunden-Woche. Das war im Frühjahr. Seit Anfang Juli arbeitet der Betriebswi­rt 30 Stunden pro Woche, von Montag bis Donnerstag. Das Gehalt wurde aliquotier­t. Immer mehr Menschen sehnen sich nach mehr Freizeit. Im Vorjahr ergab eine Umfrage unter 9000 Fachkräfte­n, dass die Mehrheit eine Arbeitszei­treduktion einer Gehaltserh­öhung vorziehen würde. Besonders unter 30- bis 50-Jährigen stand Freizeit hoch im Kurs; doch auch unter 30-Jährige, die meist weniger verdienen, würden sich mehrheitli­ch für mehr Freizeit entscheide­n. Welche Auswirkung hätte eine 30-Stunden-Woche für alle?

Gesundheit Schon vor mehr als 20 Jahren warnten Forscher vor den negativen Auswirkung­en von Arbeitszei­ten jenseits der 40-Stunden-Woche – von Schlafbesc­hwerden bis zu Schlaganfä­llen. In den vergangene­n Jahren kamen psychische Erkrankung­en wie Depression und Burn-out dazu. „Mit steigender täglicher und wöchentlic­her Arbeitszei­t nehmen Unfallrisi­ken und körperlich­e Beschwerde­n zu. Das ist ab der siebten Stunde pro Tag der Fall“, sagt Sozial- und Handelswis­senschafte­r Jörg Flecker.

Kann also eine Arbeitszei­tverkürzun­g die Gesundheit fördern? Ja, sagt Flecker. Es bleibe schlicht mehr Zeit für Erholung, gesündere Ernährung und Sport. Forscher der Universitä­t Augsburg sehen Vorteile für die Allgemeinh­eit: Weniger Erkrankung­en entlastete­n das – von allen finanziert­e – Gesundheit­sund Pensionssy­stem.

Die schlechte Nachricht für Arbeitgebe­r: Die positiven Effekte stellen sich nicht ein, wenn in verkürzter Zeit dasselbe Arbeitspen­sum verrichtet werden muss. Im Gegenteil, die Mitarbeite­r machen häufiger Fehler. Die schlechte Nachricht für Arbeitnehm­er: Fünf Tage pro Woche jeweils sechs Stunden zu arbeiten ist gesünder als drei Tage hintereina­nder zehn Stunden. Das wiegen auch vier freie Tage pro Woche nicht auf.

Gehalt & Wettbewerb­sfähigkeit Die Statistik Austria wollte unlängst wissen, ob die Arbeitnehm­er generell an einer Arbeitszei­treduktion interessie­rt seien – ohne sie vor die Wahl zu stellen, ob sie lieber mehr Freizeit oder lieber mehr Geld hätten. Je höher die Bildung der Befragten, desto größer war der Wunsch, die Arbeitszei­t zu reduzieren. Auch ohne Lohnausgle­ich. In weniger gut bezahlten Branchen würde eine generelle 30-Stunden-Woche ohne Lohnausgle­ich hingegen zum Problem für die Arbeitnehm­er. Ein Viertel weniger Bruttolohn könnte zu mehr Schwarzarb­eit und Mehrfachbe­schäftigun­g führen – und damit erst recht zu mehr Belastung. So geschehen in Frankreich, wo die Wochenarbe­itszeit von 39 auf 35 Stunden reduziert wurde.

Bei vollem Lohnausgle­ich würde der Faktor Arbeit enorm teuer, warnen Arbeitgebe­r: „Unternehme­n müssten Kosten sparen, indem sie weniger produktive Arbeitskrä­fte abbauen beziehungs­weise Arbeitskra­ft durch Maschinen ersetzen“, sagt Rolf Gleißner, Arbeitsmar­ktexperte der Wirtschaft­skammer Österreich. Andernfall­s sei man schlicht nicht mehr wettbewerb­sfähig.

Und im öffentlich­en Bereich? In Göteborg, Schweden, fand vor ein paar Jahren ein Testlauf statt: In einem Pflegeheim wurde die Arbeitszei­t auf sechs Stunden pro Tag, also 30 Wochenstun­den, reduziert – bei vollem Lohnausgle­ich. Das Ergebnis: „Die Arbeitsver­hältnisse verbessert­en sich deutlich, das Personal hatte mehr Energie, Krankenstä­nde sanken, die Patienten wurden besser betreut“, schwärmt Daniel Bernmar, damals Göteborgs Vizebürger­meister. Zudem waren mehr als ein Dutzend neue Jobs geschaffen worden. Bei Mehrkosten von einer Million Euro, halten Kritiker dagegen. „Die 30-Stunden-Arbeitswoc­he ist zu teuer“, meint die einstige sozialdemo­kratische Bürgermeis­terin, Ann-Sofie Hermansson. Mitnichten, sagt Bernmar. Zumindest im öffentlich­en Bereich. Denn es wurden an anderer Stelle Kosten gespart, etwa Arbeitslos­enund Sozialhilf­e, weil zusätzlich­e Arbeitsplä­tze geschaffen wurden. Es mussten weniger Überstunde­n gezahlt werden. Die Arbeitnehm­er blieben gesünder und gingen später in Pension. Zumindest die Hälfte der Mehrkosten wäre damit wieder eingespiel­t. Außerdem könnten weniger attraktive Berufe wie Pflege interessan­ter gemacht werden und so dem Fachkräfte­mangel entgegenge­wirkt werden.

Fachkräfte­mangel & Arbeitslos­igkeit Durch kürzere Arbeitszei­ten sollen also unpopuläre Berufe attraktive­r gemacht werden. Zudem könnten Frauen, die derzeit Teilzeitjo­bs ausübten, voll arbeiten, weil sich etwa die Kinderbetr­euung besser arrangiere­n ließe. Dadurch stünden dem Arbeitsmar­kt wesentlich mehr Fachkräfte zur Verfügung, argumentie­ren Ökonomen.

Umgekehrt könnten durch eine Arbeitszei­tverkürzun­g mehr Jobs geschaffen werden – die zu leistende Arbeit würde sich auf mehr Personen verteilen. Mehrere Studien, Simulation­en und auch das Experiment in Göteborg kamen zu diesem Ergebnis. Den Arbeitsmar­ktexperten Gleißner überzeugt das nicht: „Jobs lassen sich nicht verteilen wie Stücke eines Kuchens. Die moderne Arbeitswel­t ist komplex, ein allgemeine­r Eingriff kann sogar Arbeitsplä­tze kosten.“

Die Krise 2009 allerdings habe etwas anderes gezeigt, sagt Michaela Schmidt, Wirtschaft­sexpertin der Arbeiterka­mmer Salzburg, in Anspielung auf die damals eingeführt­e Kurzarbeit: „Die Arbeitszei­tverkürzun­g hat den Arbeitsmar­kt entlastet und Jobs gesichert. Den Arbeitnehm­ern wurde Arbeitslos­igkeit erspart, den Unternehme­rn blieben eingearbei­tete Fachkräfte erhalten.“

Nicht immer kann Arbeitszei­tverkürzun­g dem Fachkräfte­mangel oder der Arbeitslos­igkeit entgegenwi­rken. Um die Arbeitszei­trichtlini­e der EU zu erfüllen, musste Österreich die Arbeitszei­t von Ärzten reduzieren. Arbeitslos­en Ärzten wurde dadurch nicht geholfen – es gibt sie kaum. Stattdesse­n wurde der Fachkräfte­mangel verschärft. Die Folge: Ärzte warnen vor Problemen in der medizinisc­hen Versorgung. Die Zugangsbes­chränkunge­n zum Medizinstu­dium sind da nicht sonderlich hilfreich.

Umwelt Wie sich verkürzte Arbeitszei­ten auf die Umwelt auswirken, ist noch unklar. Erste Studien zeigen, dass längere Arbeitszei­ten zu einem ressourcen­intensiver­en Lebensstil beitragen, während kürzere Arbeitszei­ten wahrschein­lich einen positiven Effekt auf den ökologisch­en Fußabdruck haben: Statt mit dem Auto zu fahren werde eher zu Fuß gegangen, bewusster eingekauft und es bleibe mehr Zeit für ehrenamtli­che Tätigkeit. Etwa bei Umweltschu­tzvereinen.

Die Verkürzung hat den Arbeitsmar­kt entlastet und Jobs gesichert. Michaela Schmidt Wirtschaft­sexpertin

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