Der moderne Schnuller wird 70
Die Erfindung des „kiefergerechten Beruhigungssaugers“. Immer schon litten Kleinkinder unter Kiefer- und Gebissfehlstellungen – oft verursacht durchs Daumenlutschen. Vor 70 Jahren lösten zwei deutsche Zahnmediziner das Problem.
Umgangssprachlich hat er viele Namen, je nach Region wird der Schnuller auch Duttel, Fopper, Luller, Nosi oder Zuzzi genannt.
Aber ist der Schnuller gut für das Kind? Da gehen die Meinungen unter Experten wie auch unter Vätern und Müttern auseinander. Sicher ist: Die meisten Eltern und Babys wollen den Schnuller heute nicht mehr missen. Das Saugbedürfnis eines Babys ist extrem ausgeprägt und beginnt bereits im Mutterleib. Einige kommen sogar schon mit kleinen Schwielen an ihren Däumchen zur Welt. Der Reflex ist (über)lebensnotwendig, denn ohne Nabelschnur muss sich der Säugling nach der Geburt „allein“mit Nahrung versorgen. Das Nuckeln hat daneben aber noch eine weitere Funktion – es wirkt entspannend. Außerdem gaukelt der Schnuller auch zwischen den Mahlzeiten mütterliche Nähe vor.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte der Zahnarzt Adolf Müller in seiner Praxis häufig Kinder mit deformierten Gebissen behandelt. Zwar gab es schon damals dem Schnuller ähnliche Hilfsmittel, nur waren sie in ihrer Wirkung umstritten. Um die Deformationen besser in den Griff zu bekommen, entwickelte er zusammen mit dem Kieferorthopäden Wilhelm Balters, der auch Humanmediziner war, eine „Gummi-Prothese“. Sie sollte der Mutterbrust während des Stillens möglichst ähnlich sein. Das äußere Mundstück formten die Ärzte konvex, das Lutschteil im Mundinneren verlief flach und asymmetrisch nach oben und passte sich so perfekt der Mundhöhle an. Balters begleitete die Neuentwicklung durch ständige wissenschaftliche Studien.
Die Mediziner ließen den Sauger aus weichem Latex produzieren, 1949 meldeten sie ihn unter der Bezeichnung „Nuk“(natürlich und kiefergerecht) zum Patent an.
Zunächst blieb der neue Duttel jedoch ein Ladenhüter, damals beäugten ihn viele Mütter eher misstrauisch.
Die Geschichte des Schnullers hatte allerdings schon viel früher begonnen. Bereits im alten Ägypten wurden Säuglingen mit Honig gefüllte Tonfigürchen in den Mund gedrückt.
In Europa waren seit dem Mittelalter „Lutschbeutel“verbreitet, in die meist ein mit Honig gesüßter Brei aus Wasser und Mehl, Brot, Zwieback oder Äpfeln gefüllt wurde. Zur Sedierung der kleinen Racker mischten manche Eltern gar Mohnsamen, Whisky oder Gin unter. Doch die Beutelchen bargen auch Gefahren: Sie konnten tief in den Hals rutschen und zum Ersticken führen. Der Görlitzer Arzt und Apotheker Christian August Struve warnte schon Ende des 18. Jahrhunderts vor dem Gebrauch von Stoffschnullern: „Es ist eine der ekelhaftesten Gewohnheiten, womit man das Kind nähren und beruhigen will.“1845 tauchten erste „Wonnesauger“aus schwarzem Kautschuk auf.
Außer mit Schnullern versuchen einige Eltern ihren Nachwuchs auch mit gesüßten Tees und Fruchtsäften zu beruhigen. Dadurch wird die zahnschützende Speichelproduktion jedoch eingeschränkt und es kann „Nuckelflaschenkaries“entstehen. „Milchzähne sind für die bleibenden Zähne wichtige Platzhalter. Gehen sie frühzeitig verloren, drohen später Zahnfehlstellungen und langwierige kieferorthopädische Behandlungen“, sagt Zahnarzt Dr. Volker Köhler.
In den ersten Lebensmonaten können Schnuller das Risiko des frühen Kindstodes um bis zu 90 Prozent reduzieren. Das jedenfalls stellten amerikanische Forscher im Jahr 2005 in einer Studie fest. Auch Frühgeborene profitieren vom Schnuller, denn sie lernen früher das Trinken aus Babyflaschen.
Seit Oktober 2011 ist in Österreich die Produktion von Schnullern mit Bisphenol A verboten. Die Chemikalie kann bereits in kleinsten Mengen zur Entstehung von Krankheiten und Entwicklungsstörungen führen.
Modisch weit vorn liegen immer noch Namensschnuller, in die der Vorname des Babys eingraviert ist. Mittlerweile werden Modelle angeboten, die mit Sensoren via Bluetooth Daten des Säuglings wie Temperatur, Puls und Herzfrequenz auf Mamas Smartphone übertragen – einige verfügen sogar über eine Tracking-Funktion. So lässt sich der kleine Sonnenschein überall orten.
Nach seinem Studium an der Wiener Universität für angewandte Kunst arbeitete Ernst Beranek ab 1963 als freischaffender Designer. 1976 war die Firma MAM-Babyartikel von Peter Röhrig in Wien gegründet worden, noch im selben Jahr kam auch der erste MAM-Schnuller in Österreich auf den Markt. Das Besondere daran: Er ist symmetrisch geformt – so steckt er im Mund immer richtig. An der Entwicklung der MAMSchnuller beteiligte sich auch Beranek, seine Ideen wurden weltweit prägend. „Wir suchten nach einem Design, das den damaligen Schnullermarkt revolutionierte. Ernst Beranek hat uns durch seine innovativen Entwürfe von Anfang an überzeugt, sagt Röhrig. Seit vielen Jahren ist MAM global vertreten, es gibt Niederlassungen in Deutschland, Brasilien und den USA.
Wenn ab dem sechsten Monat die ersten Milchzähne durchbrechen, löst der Kaureflex den Saugreflex ab. Dann sollten die Kleinen langsam vom Schnuller entwöhnt werden. Das ist allerdings nur die Theorie. Viele Eltern können ein Lied davon singen, wie schwierig diese Phase sein kann. Zwar gibt es unterschiedliche Entwöhnungsmethoden wie ein Abschiedsfest zu veranstalten, den Sauger an einen „Schnullerbaum“zu hängen oder ihn von einer „Schnullerfee“abholen zu lassen.
Vor durchweinten Nächten schützt das jedoch nicht zwingend.