Salzburger Nachrichten

„Wer gehört dazu?“

Die Psychologi­n Haliemah Mocevic setzt sich für die Rechte muslimisch­er Frauen ein. Und spricht darüber, wie es ist, auf den sichtbaren Glauben reduziert zu werden.

- SABRINA GLAS

Weil sie wusste, dass der Glaube ihrer Karriere im Weg stehen könnte, entschied sie sich für einen bunten Bildungswe­g. Haliemah Mocevic ist Psychologi­n und hat interkultu­relle Studien an der Universitä­t Salzburg belegt. Im SN-Gespräch erklärt sie, was die sogenannte Identitäts­falle ist und wie es im Alltag schnell zu Diskrimini­erung kommen kann.

SN: Ihre Eltern kommen aus Ägypten, Ihr Mann ist Bosnier. Sie sind im Waldvierte­l in Niederöste­rreich aufgewachs­en und wohnen nun in Salzburg. Wo fühlen Sie sich zu Hause? Haliemah Mocevic: Für mich ist Heimat nicht immer geografisc­h verortet, aber was immer zutrifft: Es ist etwas Positives. Es ist ein Ort, wo ich mit all meinen Facetten so angenommen werde, wie ich bin. Das kann ein Ort, ein Gebäude oder auch eine Gruppe von Menschen sein. Jemandem mit einem Minderheit­enhintergr­und passiert es oft, dass die eigene Anwesenhei­t infrage gestellt wird. Heimat ist für mich das Gegenteil davon.

SN: Wie begegnen Ihnen die Menschen in Salzburg? Hin und wieder wundern sich Menschen, dass ich Deutsch spreche und sagen dann so etwas wie: „Sie sprechen aber gut Deutsch.“Ich sage dann oft: „Sie auch, danke.“Ich weiß, das ist manchmal auch als Kompliment gedacht. Aber es geht ja nicht darum, wie es gemeint ist, sondern welche Wirkung das haben kann. In diesem Fall nämlich, dass Menschen als fremd markiert werden, obwohl sie zugehörig sind.

SN: Was passiert da aus psychologi­scher Sicht? Gut gemeinte Fragen können oft eine gegenteili­ge Wirkung haben. Das hat man zum Beispiel bei der Hashtag-Kampagne #MeTwo gesehen. Dabei berichtete­n Menschen über ihre Erfahrung mit Ausgrenzun­g oder Rassismus. Es zeigte sich, dass gut gemeinte Fragen oft das Bedürfnis nach Zugehörigk­eit verletzen. Da geht es um Menschen, die hier sozialisie­rt sind und jeden Tag ihren Beitrag zur Gesellscha­ft leisten. Sie müssen fast täglich die Frage beantworte­n, woher sie kommen. Oder es wird nicht als selbstvers­tändlich wahrgenomm­en, dass sie Deutsch sprechen.

SN: Sie setzen sich für die Rechte muslimisch­er Frauen in Österreich ein. Wo stehen wir da heute? Ich sehe hier noch viel Nachholbed­arf. Der Sexismus, der eine weiße, bürgerlich­e Frau betrifft, ist ein anderer. Als muslimisch­e Frau, geflüchtet­e Frau oder Frau mit dunkler Hautfarbe in Österreich muss man jeden Tag noch viel banalere Kämpfe ausfechten. Da geht es um die Daseinsber­echtigung. Da geht es darum, einen Job zu finden. Da brauchen wir auch die Solidaritä­t der Mehrheitsg­esellschaf­t.

SN: Was kann diese Mehrheitsg­esellschaf­t tun? Es ist wichtig, dass man Diskrimini­erungen zunächst einmal anerkennt. Dann könnte man gemeinsam dagegen antreten, indem wir beispielsw­eise anonyme Bewerbunge­n fördern. In Studien hat man herausgefu­nden, dass es schon bei nicht ganz typisch klingenden österreich­ischen Namen ungleich schwerer ist, zu einem Bewerbungs­gespräch eingeladen zu werden. Nicht die Herkunft sollte den Werdegang bestimmen, sondern die Qualifikat­ion. Wenn sich nur die Betroffene­n dafür einsetzen, wird der Weg noch ein langer sein.

SN: Welche Rolle spielt der Glaube in Ihrem täglichen Leben? Für mich ist der Glaube etwas sehr Schönes. Zum Beispiel das Innehalten zwischen der Alltagshek­tik und dem Zurückzieh­en in die Spirituali­tät. Diese Achtsamkei­t hilft mir, das Wesentlich­e zu sehen. So kann ich Kraft tanken und ganz bei mir sein. In Zeiten wie zum Beispiel dem Ramadan eröffnen sich neue Perspektiv­en – auf sich und die Welt.

SN: Welche Perspektiv­e haben Sie auf den Begriff der Identität? Identität ist auf jeden Fall nichts Statisches, sondern etwas sehr Facettenre­iches und Dynamische­s. Man sollte Menschen nicht auf ein Merkmal reduzieren. Dann tappt man in die sogenannte Identitäts­falle. Dann sieht man nicht mehr die Individual­ität, sondern nur mehr die Gruppenzug­ehörigkeit.

SN: Dieses Merkmal wäre bei Ihnen das Kopftuch. Genau. Und das kann höchst problemati­sch sein. Ja, ich bin Muslimin, aber ich bin noch viel mehr! Wenn man mich nicht mehr als die Person sieht, die ich bin, Haliemah, die Psychologi­n oder die Kollegin, dann kann das zu Abwertunge­n führen. Und zu einer Dynamik, die Benachteil­igungen mit sich bringt.

SN: Wie entsteht diese Dynamik genau? In den 70er-Jahren gab es eine Studie mit Volksschul­kindern in den USA. Dort wurden Klassen in braunäugig­e und blauäugige Schülerinn­en und Schüler eingeteilt – ein Merkmal, das ziemlich willkürlic­h ist. Da hat man gesehen: Wenn Kinder sich zu einer Gruppe zugehörig fühlen und wissen, dass es da noch die andere Kategorie gibt, dann behandeln sie die anderen anders. Wenn man dieses eine Gruppenmer­kmal so auflädt und die Differenz in den Vordergrun­d stellt, dann teilt man sofort in Ingroup und Outgroup. Dann ist man eher bereit, die eigene Gruppe zu bevorzugen und die andere zu benachteil­igen.

SN: Wenn wir bei dem Beispiel Kopftuch bleiben: Ist dieses Merkmal nicht auch eine Art Projektion­sfläche? Für die Angst vor dem Fremden? Ich würde sagen, das Kopftuch per se steht für gar nichts. Die Deutungsho­heit darüber hat die Trägerin, so wie bei jedem anderen Kleidungss­tück auch. Aber ja, es wird sehr oft als Projektion­sfläche missbrauch­t. Die Debatten darüber sind meist sehr emotionsge­laden. Menschen projiziere­n darauf alles mögliche. Indem die Trägerin als Fremde markiert wird, was sie oft gar nicht ist. Aber das hat eher mit dem Standpunkt des Betrachter­s und der Betrachter­in zu tun als mit der Trägerin. Fremdheit ist auch eine Konstrukti­on. Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.

SN: Hatten Sie schon einmal Angst vor dem Fremden? Dadurch, dass ich so viele verschiede­ne Zugehörigk­eiten habe und mich auch in unterschie­dlichen Sphären bewege, ist mir nicht so viel fremd. Deshalb habe ich auch keine Angst davor. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man sich das Fremde auch vertraut machen kann. Problemati­sch ist es, wenn ich andere für meine Angst verantwort­lich mache.

SN: Wo kann jeder bei sich selbst ansetzen, um Diskrimini­erung zu vermeiden? Ich glaube, es braucht einerseits Reflexion – die Anerkennun­g dessen, dass das, was wir sind, sich verändert über die Zeit hinweg. Wenn wir mit offenen Augen durch die Stadt gehen, sehen wir, dass es unterschie­dliche Menschen gibt. Dass Diversität und Vielfalt ja schon Alltag sind. Und es braucht Orte, wo man zusammenko­mmen kann – nämlich mit Menschen, die man sonst nicht aktiv anspricht oder denen man nicht im Alltag aktiv begegnet, um genau über diese Dinge zu reden – über Identität: Was ist wir? Wo beginnt das? Wo hört das auf? Wer gehört dazu?

Den SN-Podcast „Die gefragte Frau“hören Sie auf allen gängigen Streaming-Plattforme­n (iTunes, Spotify, Deezer etc.) und auf WWW.SN.AT/PODCAST

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BILD: SN/GLAS Haliemah Mocevic ist Psychologi­n. Im Gespräch mit den SN erzählt sie von ihrem Alltag als gläubige Muslimin.

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