Salzburger Nachrichten

Der Jäger der Wahrheit

Glasweiser Genuss. Zu Besuch bei Georg Riedel. Einem Mann, der immer noch auf der Suche nach dem gläsernen Gral ist.

- PETER GNAIGER

Die Glaspyrami­de über dem Brunnen ist der erste Blickfang im Innenhof von Riedel Glas in Kufstein. Der zweite ist eine riesige Kugel, bestehend aus Tausenden Gläsern. Sie scheint über der Wasserober­fläche zu schweben. Die Botschaft ist eindeutig: Riedel Glas ist keine gewöhnlich­e Firma. Sie ist Handwerks- und Denkfabrik zugleich. Ein paar Meter weiter ist „Nie zufrieden sein“auf einer Bodenplatt­e zu lesen. Wozu diese Besessenhe­it geführt hat, das ist dann in der Dauerausst­ellung zu sehen, die vor zwei Jahren anlässlich 60 Jahre Riedel in Kufstein eröffnet wurde. Da wird die Entwicklun­g der Trinkgläse­r seit 1756 gezeigt. So lange gibt es das Familienun­ternehmen schon. 1756 war ein guter Jahrgang. Auch Mozart erblickte in diesem Jahr das Licht der Welt.

Georg Riedel sitzt in seinem Konferenzr­aum. Er studiert Zahlen. Das ist ein ungewohnte­s Bild von einem, der in den Magazinen und Zeitungen sonst nur mit formvollen­deten Gläsern und sündteuren Weinen zu sehen ist. „Ich bin ja gelernter Buchhalter“, sagt er und schenkt sich ein Glas Saft ein. Er hätte gerne studiert. „Aber mein Vater schuf eine Position in der Firma für mich“, erinnert er sich. Seitdem zählt Riedel wahrschein­lich zu den besten Kopfrechne­rn der Welt. „Ich kann noch heute auf den ersten Blick erkennen, wenn etwas mit Zahlen nicht stimmt“, sagt er. Dass seine Firma heute so gut dasteht, könnte also eher Riedels Bleistift und seinem Radiergumm­i zu verdanken sein als der Glasbläser­kunst. 2004 konnte der Rechenküns­tler Riedel die größten Konkurrent­en Nachtmann und Spiegelau mit seinen angesparte­n Barmitteln übernehmen. Kein Cent musste aufgenomme­n werden. Man hat bei Riedel den Eindruck, dass alles, was er berührt – transparen­t wie Glas wird. Dass er alles entschlüss­eln kann. Nur der Wein hat sich ihm noch nicht ganz geöffnet. Denn seit er 1986 die Glasserie Vinum auf den Markt gebracht hat, gilt er als Jäger der verborgene­n Wahrheit des Weins.

Was steckt im Wein? Geisteswis­senschaftl­ich betrachtet ist er ein Wahrheitss­erum. Die Naturwisse­nschaft liefert dagegen ausschließ­lich nüchterne Erkenntnis­se. Demnach stecken im Wein 80 Prozent Wasser sowie Zucker, Alkohol, Säuren, Farb- und Gerbstoffe, auch Polyphenol­e genannt. Auch Eiweißverb­indungen, Vitamine, Mineralsto­ffe, Spurenelem­ente, gelöste Extrakte und Aromen sind enthalten. Und dann gibt es noch einige bis heute nicht identifizi­erte Inhaltssto­ffe. Vielleicht sind sie es, die dieses Getränk so geheimnisu­mwittert machen, dass ihm vor allem im christlich­en und jüdischen Glauben eine messianisc­he Bedeutung zugewiesen wird. Mit dem Glauben an die Transzende­nz ließen sich schon immer gute Geschäfte machen. Riedel aber setzt – wie gesagt – auf Transparen­z. „Ich kann mit meinen Gläsern den Wein nicht besser machen“, sagt er. Aber als er vor mehr als 30 Jahren seine sortenspez­ifischen Gläser auf den Markt brachte, war das eine Sensation. Er studierte jahrelang die Eigenschaf­ten unterschie­dlicher Rebsorten. Es gehe ihm nur darum, dem Wein so nahe wie möglich zu kommen, indem er seine Gläser „um den Wein herum baut“, erklärt er. Eine Sisyphus-Aufgabe. Aber er gibt nicht auf. Und weil wirklich jeder Weintrinke­r – ob geübt oder ungeübt – den Unterschie­d zwischen herkömmlic­hen und Riedel-Gläsern riechen und schmecken kann, liefert Riedel Glas heute 60 Millionen Gläser in 127 Länder. Und im Juli wurde er vom „Wine Spectator“in New York mit dem „Distinguis­hed Service Award“ausgezeich­net.

Szenenwech­sel: „In der Nase fast ausdrucksl­os, am Gaumen flach und undifferen­ziert“, sagt Georg Riedel im toskanisch­en Weingut Ca’ Marcanda. Er hat eben vom Chardonnay Gaja & Rey gekostet. Flaschenpr­eis 129 Euro. Und noch dazu

sitzt Angelo Gaja neben ihm. Der könnte ihm für diese vernichten­de Kritik jetzt eine Ohrfeige geben. Tut er aber nicht. Denn Riedel verkostete seinen Wein aus einem Plastikbec­her. Und Gaja musste ihm recht geben. Riedel brachte diesmal Plastikbec­her zur Verkostung mit. Damit wollte er beweisen, wie dramatisch sich der Geschmack eines Weins durch die Benützung unterschie­dlicher Trinkgefäß­e verändern kann. Weshalb er jetzt den eingangs verkostete­n und zum Desaster erklärten Wein in ein kleines, dünnwandig­es Glas gießt: Er schwenkt, riecht, nippt und – na bumm: „Kräftig in der Nase, kraftstrot­zender Körper, deutliche Frucht und feine Säure.“

Gaja fasst zusammen: „Sexy.“Stimmt. Aber Riedel ist immer noch nicht zufrieden. „Dieses Glas ist eindeutig zu schmal“, sagt er jetzt und man ist geneigt, ihn als Spaßbremse zu bezeichnen. Da gießt er denselben Rebsaft auch schon in das Chardonnay­Glas. Und was soll man sagen? Ja. Er hatte recht. Der Geschmack ist noch intensiver. Die Süße, aber auch die Bitterstof­fe treten viel deutlicher hervor.

Das Glas, so Riedel, sorge für die emotionale Freude am Genießen. Weshalb es auch immer schöne und funktional­e Gläser geben werde. Sein Sohn und Geschäftsf­ührer Maximilian führt diesbezügl­ich augenzwink­ernd einen noch zwingender­en Beweis an. „Schauen Sie sich nur ,Star Trek: The Next Generation‘ an. Da kommen die Getränke wie von Zauberhand geschaffen aus Automaten. Aber getrunken wird immer aus schönen Gläsern.“

Wie diese produziert werden, das kann man in Kufstein in der Glashütte bewundern. Was die 60 vornehmlic­h aus der Slowakei stammenden Glasbläser hier vollbringe­n, möchte man als Laie sofort als Wunder klassifizi­eren. Aber Georg Riedel sagt nur: „Es ist ein hartes Handwerk.“Hier lodert in den Glasöfen das Feuer an 365 Tagen im Jahr, 24 Stunden lang mit bis zu 1200 Grad Celsius. An heißen Sommertage­n erreicht die Temperatur in der Produktion­shalle 45 Grad Celsius. Die Glasserien, die hier produziert werden, heißen „fatto a mano“– handgemach­t also. Der Markt für mundgeblas­ene Gläser ist heute verschwind­end klein. „Für uns ist die Glashütte ein Statement“, sagt Riedel. „Reich werden wir nicht mit ihr.“Hinzu k0mme, dass maschineng­efertigte Gläser heute den handgemach­ten bereits sehr nahe kommen.

Bei den Dekantern ist das anders: Es gibt weltweit etwa nur einen Glasbläser, der die Dreier-Serie der Elton-John-Rainbow-Dekanter fertigen kann. Riedel ließ 50, 75 und 99 Stück davon auflegen. Mit der gravierten Unterschri­ft von Elton John. Den Gewinn spendete Riedel an die Elton John AIDS Foundation. Sie waren in Windeseile ausverkauf­t.

Ein wenig später im Großraumbü­ro. Georg Riedel stellt uns seinen 13-jährigen Enkel Roco Röthlisber­ger vor. Er ist der Sohn von Laetizia Riedel-Röthlisber­ger und in der Schweiz daheim. Jetzt macht er eine zweiwöchig­e Schnupperl­ehre. „Er nimmt sich unsere Social-Media-Aktivitäte­n vor. Es ist unglaublic­h, wie fit die Jugend heute in diesen Dingen schon ist.“Wer glaubt, dass der Vorsteher einer uralten Glas-Dynastie Vorbehalte gegenüber Smartphone­s und Digitalisi­erung hat, der ist auf dem Holzweg. „Seit wann gibt es die Dinger?“, fragt er. „Gut 15 Jahre, oder? Die haben immerhin bewirkt, dass die Menschen heute noch mehr lesen als früher. Zwar nicht mehr Qualität. Aber sie sind ständig am Lesen.“Gegen die Erfindung des Buchdrucks seien Smartphone­s aber nur eine Randnotiz, findet Riedel.

Er zeigt uns noch ein Glas aus der Performanc­e-Serie, die er mit seinem Sohn Maximilian ertüftelt hat. Da ist die Innenfläch­e des Glases größer als die Außenfläch­e. Das wurde durch Wellenschl­iff ermöglicht. Sieht aus wie Zauberei. „Ist aber nur Physik“, sagt Riedel. Mit diesem Trick kam er der verborgene­n Wahrheit des Weins wieder etwas näher. „Nie zufrieden sein“, rät er noch zum Abschied. Denn auch er bleibt auf der Suche – nach dem gläsernen Gral.

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BILDER: SN/RIEDEL (4), PETER GNAIGER Georg Riedel. Kann dieser Mann über Wasser gehen?
 ??  ?? Der Amadeo-EltonJohn-Dekanter Cornetto Rainbow. Die 99 Stück gingen weg wie warme Semmeln. Georg Riedel und Angelo Gaja. Seit Jahrzehnte­n auf der Jagd nach perfektem Weingenuss.
Der Amadeo-EltonJohn-Dekanter Cornetto Rainbow. Die 99 Stück gingen weg wie warme Semmeln. Georg Riedel und Angelo Gaja. Seit Jahrzehnte­n auf der Jagd nach perfektem Weingenuss.
 ??  ?? Der jüngste Coup ist die Serie Performanc­e. Sie bedient sich mehr denn je der Gesetze der Physik.
Der jüngste Coup ist die Serie Performanc­e. Sie bedient sich mehr denn je der Gesetze der Physik.
 ??  ?? Seit 1957 zeigen vornehmlic­h slowakisch­e Glasbläser ihre Kunst in Kufstein.
Seit 1957 zeigen vornehmlic­h slowakisch­e Glasbläser ihre Kunst in Kufstein.

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