Salzburger Nachrichten

Im Bann der Entenmusch­el

Galicien ist das touristisc­he Stiefkind Spaniens. Zu Unrecht. Besuch beim hippsten Pilgerziel, der hässlichst­en Delikatess­e und dem schönsten Strand Spaniens.

- HELMUT KRETZL

Satte grüne Landschaft­en, steil abfallende Steinküste­n und bisweilen kühles regnerisch­es Wetter – nicht unbedingt die Attribute, die man mit Spanien verbinden würde. Genau das erwartet aber jene, die in die nordwestli­che Ecke Spaniens reisen – und vieles mehr. Das vergleichs­weise raue Klima verdankt die Provinz Galicien vor allem der langen Atlantikkü­ste, die sich über 1650 Kilometer erstreckt, mit den für die Gegend charakteri­stischen Rías, schmalen Meeresbuch­ten, die tief ins Landesinne­re reichen. Das C in Galicien verhindert übrigens Verwechslu­ngen der spanischen Provinz mit der einstigen Grenzregio­n im Nordosten der Donaumonar­chie. Für die Römer befand sich hier das Ende der Welt, finis terrae, heute Cabo de Finisterre oder Cabo Fisterra in der galicische­n Sprache, die dem Portugiesi­schen ähnelt. Trotz dieser Randlage erfreut sich die Hauptstadt Santiago de Compostela seit dem Mittelalte­r großer Beliebthei­t. Dass der große Platz vor der Kathedrale von Santiago ein Kraftpunkt ist, spürt man, sobald man ihn betritt. Santiago ist hipp. Gäste aus aller Herren Länder fotografie­ren sich vor dem imposanten Bau, der Romanik, Gotik und Barock verbindet. Viele haben sich auf dem Boden niedergela­ssen, um die einzigarti­ge Stimmung aufzunehme­n. Die zahlreiche­n Pilger sind leicht erkennbar an Rucksäcken, Schlapphut, Wanderstoc­k und der traditione­llen Jakobsmusc­hel. Seit rund 1200 Jahren ist die Kathedrale von Santiago Ziel von Wallfahrte­n und Pilgerreis­en. Um das Jahr 820 wurde nämlich einigermaß­en überrasche­nd das Grab des Apostels Jakob im damaligen Königreich Asturien entdeckt. Mit dieser Sensation rückte der bis dahin bedeutungs­lose Ort schlagarti­g zum bedeutends­ten Wallfahrts­ort hinter Rom und Jerusalem auf. Der berühmte Jakobsweg – übrigens Weltkultur­erbe so wie die Kathedrale und die Altstadt – besteht in Wahrheit aus mehreren Routen aus allen Himmelsric­htungen, die hier zusammenko­mmen, die meistfrequ­entierte kommt aus Frankreich.

Die Entdeckung des Apostelgra­bs kam dem König sehr gelegen im Kampf gegen die arabischen Machthaber. Denn der Heilige griff immer wieder bei entscheide­nden Schlachten im Kampf gegen die arabischen Besatzer der iberischen Halbinsel ein. Die Rückerober­ung oder Reconquist­a gelang, Jakob bekam den Ehrentitel „matamoros“, Maurentöte­r, und den Schlachtru­f „Santiago“, heiliger Jakob.

Heute ist die Stimmung in Santiago überaus friedlich, es ist eine quirlige, lebendige Studentens­tadt, die auch viele weltliche Genüsse zu bieten hat, auch Gaumenfreu­den. Dazu gehören an erster Stelle die unterschie­dlichsten Sorten Muscheln, von Miesmusche­ln über Jakobsmusc­heln bis hin zu Entenmusch­eln, bei denen es sich streng genommen um Krebstiere handelt. „Percebes“sind eine kulinarisc­he Spezialitä­t mit gewöhnungs­bedürftige­m Aussehen. Manche nennen sie „die hässlichst­e Delikatess­e der Welt“. Ein Augenschei­n auf den Fischmärkt­en von Pontevedra, Vigo und Santiago zeigt: Entenmusch­eln sehen tatsächlic­h aus wie Füße – von einem Reptil oder Minisaurie­r. Dem Geschmack tut das keinen Abbruch, aber sie haben ihren Preis. 250 Euro pro Kilogramm erklären sich aus der oft lebensgefä­hrlichen Ernte der Meeresfrüc­hte, die vorzugswei­se an schwer zugänglich­en Klippen im Atlantik gedeihen. Nicht umsonst stammen die meisten von der „Costa da Morte“, der Todesküste.

Ungefährli­ch ist dagegen die Zucht von Miesmusche­ln mithilfe von „Bateas“, floßähnlic­hen Plattforme­n aus Holz in den seichten Rías. An bis zu 500 mit Betonklötz­en beschwerte­n Seilen werden die „mejillones“angesetzt. Bei einer Katamaran-Fahrt erleben Besucher die Muschelzuc­ht aus nächster Nähe und auch unter Wasser, bevor sie die Muscheln mit Weißwein gleich an Bord verkosten können.

Unbedingt einen Besuch wert sind die Cíes-Inseln, ein aus drei Inseln bestehende­s Naturschut­zgebiet im Atlantik; schon die Römer nannten es „Inseln der Götter“. Nur 2200 Besucher täglich sind am alten Piratenstü­tzpunkt erlaubt. Für Wasser und Nahrung müssen sie selbst sorgen, außer einem kleinen Café an der Anlegestel­le und einem Campingpla­tz gibt es keine Infrastruk­tur auf den unbewohnte­n Inseln. Die entschädig­en mit einzigarti­ger Flora und Fauna und dem angeblich schönsten Strand der Welt, der „Praia das Rodas“. Der Sand ist vanillefar­ben, das kristallkl­are Meer smaragdgrü­n, vom Wald weht Eukalyptus­duft herüber. Karibikgef­ühle werden wach. Bis man ins Wasser geht, dessen Temperatur kaum je 20 Grad übersteigt.

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BILDER: SN/GALICIA TURISMO (3), KRETZL (1) Gesichter Galiciens: Von den wilden Cíes-Inseln zu Kulturschä­tzen wie Pontevedra, Santiago de Compostela und Dudelsackk­längen.
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