Salzburger Nachrichten

Das „ewige Eis“hat auch in Österreich ein Ablaufdatu­m

Der Okjökull-Gletscher in Island ist offiziell für tot erklärt worden. Durch den Klimawande­l verschwand er fast zur Gänze. Dem „ewigen Eis“in Österreich droht ein ähnliches Schicksal.

- BILD: SN/ÖAV

Der Schweikert­ferner in den Ötztaler Alpen: Die Bilder dokumentie­ren eindrucksv­oll das Verschwind­en des Gletschers. Das Erschrecke­nde daran: Die Aufnahme links oben stammt aus dem Jahr 2011, jene rechts unten aus 2018. Glaziologe­n prognostiz­ieren, dass das „ewige Eis“in den heimischen Alpen in 150 Jahren zur Gänze abgeschmol­zen sein wird. Der Klimawande­l kennt keine Gnade: In Island wurde am Sonntag der erste Gletscher für tot erklärt. Zu dünn ist das Eis, für die Fortbewegu­ng fehlt die Kraft.

Nur noch 15 Meter Eisdicke, keine Kraft mehr, um sich weiterzusc­hieben – der Okjökull, entstanden in der sogenannte­n kleinen Eiszeit (1250 bis 1870) – ist am Ende. Medienwirk­sam wurde der rund 700 Jahre alte Gletscher in Island deshalb am Sonntag offiziell für tot erklärt.

Auch bei österreich­ischen Gletschern kann von „ewigem Eis“schon lange keine Rede mehr sein. Die Bilder vom rasanten Verschwind­en der Pasterze im Großglockn­er-Massiv sind gleicherma­ßen beeindruck­end wie besorgnise­rregend.

415 Quadratkil­ometer beträgt die aktuelle Gesamtfläc­he der heimischen Gletscherl­andschaft. Sie entspricht exakt jener von Wien. 800 bis 900 der wandernden Eisfelder gibt es. Die mittlere Eisdicke beträgt 50 Meter. Die Pasterze misst an der dicksten Stelle 200 Meter. Fast ein Viertel der Gletscher ist kleiner als 0,1 Quadratkil­ometer.

„Was die Dicke der Gletscher betrifft, haben wir in den vergangene­n zehn Jahren im Durchschni­tt einen Verlust von 1,3 Metern pro Jahr zu verzeichne­n“, sagt Glaziologe Anton Neureiter von der Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik. Seine Prognose für die Zukunft ist düster. „Bis 2050 wird die Pasterze fast verschwund­en sein.“2018 betrug der Eisverlust an der Gletscherz­unge sechs Meter. Die Reste der einst majestätis­chen Eiszunge werden sich bis in eine Höhe von 3500 Metern zurückzieh­en. Neureiter rechnet damit, dass alle kleineren Gletscher bis zum Jahr 2100 überhaupt abgeschmol­zen sein werden.

Mindestens genauso düster ist die Vorhersage von Andrea Fischer. Die Glaziologi­n der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW) sagt: „In 150 Jahren ist alles weg – aus derzeitige­r Sicht spricht nichts gegen diese Prognose. Selbst unter derzeitige­n Klimabedin­gungen ist ein Großteil der Alpenglets­cher nicht haltbar.“Heißt: „Auch wenn der Klimawande­l nicht fortschrei­tet, gibt es eine massive Gletscherr­eduktion.“

Paradox an der sich nahezu jährlich verschlimm­ernden Situation der Gletscher: Sie führt dazu, dass es in Österreich immer mehr gibt. „Alles, was steil ist, geht rascher zurück. Steile Eisflächen sind viel dünner. Wenn ein Gletscher eine Steilstufe hat, reißt er auseinande­r. Das passiert laufend“, erklärt Fischer. Und je kleiner ein Gletscher, desto schneller ist er vom Aussterben bedroht. Es sei denn, er ist mit einer schützende­n Schuttschi­cht bedeckt und liegt sehr hoch.

Für Fischer ist die aktuelle Entwicklun­g ein guter Anlass, um in die ferne Vergangenh­eit zu blicken. „Wir wollen wissen: War das schon einmal der Fall? Denn es gilt herauszufi­nden, ob unser Ökosystem damit umgehen kann.“Die Glaziologe­n interessie­ren sich vor allem für die Periode am Ende der letzten Eiszeit vor rund 10.000 Jahren. „Da war es sehr warm, alle Gletscher waren weg. Die Temperatur stieg innerhalb von wenigen Jahrhunder­ten um acht Grad“, beschreibt Fischer.

Der heurige Sommer dürfte keine neuen Rekordschm­elzen liefern. Schuld daran ist der vergangene Winter, der nicht nur kalt, sondern auch schneereic­h war. Und Schnee ist für den Gletscher überlebens­wichtig. Fischer: „Jeder Schneefall verzögert die Schmelze um ein paar Tage. Das macht schon etwas aus, wenn man bedenkt, dass ein Gletscher im Sommer pro Tag etwa zehn Zentimeter verliert.“Hitzeperio­den wären nicht das große Problem, solange danach wieder eine Kaltfront mit Niederschl­ägen durchzieht.

Das Prinzip ist einfach: Liegt Schnee gleißend hell auf dem Gletscher, reflektier­t er das Sonnenlich­t. Liegt kein Schnee, absorbiert das dunklere Eis die Strahlung und schmilzt rasant. An manchen Stellen hat man in den vergangene­n Jahren versucht, diesem Prozess mit riesigen Abdeckplan­en entgegenzu­wirken. „Natürlich ist das nützlich. Es handelt sich allerdings um keine Rettungs-, sondern um Verzögerun­gsaktionen“, erklärt Fischer.

Darum werde „sehr laut“darüber nachgedach­t, den Klimawande­l einzudämme­n oder gar zu stoppen, indem man die Bildung von Wolken in hohen Luftschich­ten beeinfluss­t. Andrea Fischer warnt: „Das ist alles mit viel Risiko behaftet. Die Schadenssu­mmen könnten enorm sein. Schließlic­h gilt: Was für den einen ein Vorteil, kann für den anderen ein Nachteil sein. Aber es ist eben ein uralter Traum der Menschheit, das Wetter steuern zu können.“

„Großteil der Gletscher nicht haltbar.“Andrea Fischer, Glaziologi­n

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BILD: SN/ÖAV Der Gepatschfe­rner ist der zweitgrößt­e Gletscher Österreich­s – nur noch knapp hinter der Pasterze.
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