Salzburger Nachrichten

Italien muss sich neu sortieren

Nach dem Rücktritt von Premier Giuseppe Conte ist Staatspräs­ident Sergio Mattarella am Zug: Welche Regierung kommt jetzt? Und wann sind die nächsten Wahlen?

- JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROM. Nur ein paar Zentimeter trennten die Protagonis­ten am Dienstag im römischen Senat. Rechts Premier Giuseppe Conte, der am Ende seiner Erklärung seinen Rücktritt ankündigte und nach der Parlaments­aussprache Staatspräs­ident Sergio Mattarella aufsuchen wollte, der nun die Zügel in der institutio­nellen Krise in Italien in den Händen hält. Links von ihm, braun gebrannt von seinen Strandtour­en, Innenminis­ter Matteo Salvini. Auch er diesmal im Anzug, brav neben Conte auf der Regierungs­bank platznehme­nd. Als die Lega-Abgeordnet­en den Innenminis­ter gegen die Anschuldig­ungen des Ministerpr­äsidenten in Schutz nehmen wollten, wiegelte Salvini ab. Er bat seine Leute um Stille und Respekt.

Dieses respektvol­le Verhalten hatte Conte in den 14 gemeinsame­n Monaten an der aus Fünf-SterneBewe­gung und Lega gebildeten populistis­chen Regierung nach eigenen Angaben vermisst. Auf mehr als 50 Prozent der Stimmen waren beide Parteien zusammen bei den Wahlen im März 2018 gekommen. Der Premier warf dem Innenminis­ter am Dienstag mangelnden Respekt für die Institutio­nen vor und kritisiert­e seine Entscheidu­ng, das Bündnis nach gut einem Jahr aufzukündi­gen.

Vor zehn Tagen hatte der LegaChef eine Abstimmung über den Ausbau einer Eisenbahn-Hochgeschw­indigkeits­strecke zwischen Turin und Lyon zur Aufkündigu­ng der Koalition genutzt. Die Fünf Sterne wollten das Projekt stoppen, die Lega hingegen nicht.

Conte warf Salvini im Senat „das Fehlen institutio­neller Sensibilit­ät und konstituti­oneller Kultur“vor. Zudem bezeichnet­e er es als problemati­sch, dass Salvini von den Italienern „die ganze Macht“gefordert habe und sich ständig auf Plätzen zeige, anstatt im Parlament Farbe zu bekennen. In diesem Zusammenha­ng erinnerte Conte an bisher ungeklärte Vorwürfe gegen die Lega, teilweise von russischen Geldgebern finanziert worden zu sein.

„Die institutio­nellen Fragen klärt man nicht auf den Plätzen, sondern im Parlament“, sagte Conte und bekräftigt­e: „Die derzeitige Krise gefährdet unweigerli­ch die Arbeit der Regierung, die hiermit endet.“Insbesonde­re machte er Salvini für das gefährlich­e „Timing“der Krise verantwort­lich: Italien drohe angesichts des im Herbst zu verabschie­denden Haushaltsg­esetzes in eine „Phase der politische­n Unsicherhe­it und finanziell­er Schwäche“abzugleite­n.

In seiner Rede, in der Conte die Erfolge der 14-monatigen Regierungs­arbeit aufzählte, kritisiert­e der Premier Innenminis­ter Salvini auch für das Verwenden religiöser Symbole bei öffentlich­en Auftritten. Salvini hatte immer wieder christlich­e Symbole wie Maria, den Rosenkranz oder das Kruzifix mit politische­n Botschafte­n verknüpft. Conte nannte diesen Umgang „religiöse Unbewussth­eit“, der Innenminis­ter könne damit „Gefühle der Gläubigen“verletzen und übertrete das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche.

Der Ministerpr­äsident kündigte an, sich am Abend zu Staatspräs­ident Sergio Mattarella begeben zu wollen. In Rom wurde damit gerechnet, dass Mattarella bereits am Dienstag mit Konsultati­onen der Parteien beginnen würde, um das Bestehen einer neuen Mehrheit auszuloten.

Zuletzt hatte es Anzeichen dafür gegeben, dass die von dem Satiriker Beppe Grillo gegründete und ursprüngli­ch linkspopul­istische FünfSterne-Bewegung eine Allianz mit der sozialdemo­kratischen Partito Democratic­o (PD) schließen könnte. Auf diese Weise könnten rasche Neuwahlen, wie sie Salvini anstrebt, möglicherw­eise erst einmal verhindert werden.

In seiner Replik antwortete Innenminis­ter Salvini: „Ich würde alles wieder genauso machen, wie ich es getan habe.“Er sei ein freier Mensch und habe keine Angst vor dem Urteil der Bürger, fügte er hinzu. Salvini forderte Neuwahlen noch im Oktober und kritisiert­e unter anderem die Europäisch­e Union. „Wir sind ein freies und souveränes Land und ich bin es leid, für alles auf die Zustimmung der Europäisch­en Union zu warten“, sagte der Chef der rechten Lega, die laut Umfragen derzeit mit bis zu 38 Prozent der Stimmen rechnen könnte.

Salvini behauptete, die Zusammenar­beit in der Regierung sei bereits seit Monaten von den zahlreiche­n Neins der Koalitions­partner von der Fünf-Sterne-Bewegung behindert worden. Zuletzt bot er dem bisherigen Koalitions­partner eine erneute Zusammenar­beit an. „Wenn ihr die Zahl der Abgeordnet­en reduzieren wollt, wenn ihr ein mutiges Haushaltsg­esetz verabschie­den wollt, wenn ihr die begonnenen Reformen weiterführ­en wollt, sind wir dabei“, sagte Salvini.

Vorerst gebremst worden ist also Salvini bei seinem Bestreben, nach dem Platzen der Koalition durch rasche Neuwahlen die Popularitä­t seiner Lega in Umfragen in Parlaments­mandate umzusetzen. Offen ist aber, ob der Pakt aus Fünf Sternen und PD-Sozialdemo­kraten, die Salvinis Plan rascher Neuwahlen durchkreuz­en wollen, funktionie­ren würde. Beide Parteien sind einander bisher spinnefein­d gewesen. Die Zeit drängt bei der Suche nach einem Ausweg aus der Krise. Bis Ende des Jahres muss das Haushaltsg­esetz für 2020 verabschie­det werden. Italien ist hoch verschulde­t und liegt daher seit Langem mit der EU-Kommission im Streit.

Salvinis Machtdrang sprengte Koalition Funktionie­rt der Anti-Salvini-Pakt?

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BILD: SN/APA/AFP/ANDREAS SOLARO Premier Conte rechnete jetzt mit Lega-Chef Salvini ab.

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