Familienbanden trainieren ihre Kinder zum Betteln und Stehlen
In der Urlaubszeit werden wieder viele Unmündige zu Straftaten gezwungen. Die Behörden müssen zumeist tatenlos zuschauen. Jetzt sitzen zwei Verdächtige, Vater und Sohn, in U-Haft.
WIEN. Sie begehen Taschendiebstähle, brechen Wohnungen auf, verkaufen ihren Körper und versuchen, von Touristen möglichst viel Geld zu erbetteln. Die Rede ist von strafunmündigen Jugendlichen, die zumeist mit Familienclans in ganz Europa unterwegs sind und von ihren Eltern beziehungsweise Bandenchefs schon als Kinder für kriminelle Taten missbraucht werden.
In der Sommersaison mit entsprechend vielen Städtetouristen und kurz vor Weihnachten sind vor allem Wien, Graz und Linz von diesen international bestens vernetzten Bettlerbanden betroffen. Derzeit sitzen zwei Bulgaren, Vater und Sohn, im Wiener Straflandesgericht wegen Tatbegehungsgefahr, Flucht- und Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft.
Ihnen werden Menschenhandel, Prostitution und Ausbeutung durch Bettelei vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft geht von mindestens vier Opfern aus, bestätigte Behördensprecherin Nina Bussek. Die Polizei, die in der Causa seit Langem ermittelt, geht von insgesamt 172 Tatverdächtigen und insgesamt 144 Opfern, darunter zahlreiche strafunmündige Kinder, aus.
Wie viele letztlich angeklagt oder gar vor Gericht verurteilt werden, ist mehr als fraglich. „Verurteilungen sind sehr selten. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Die Kinder sind zwar Opfer einer Straftat, erzählen aber vor den Behörden die Unwahrheit. Es gibt keine Kooperation und sie lassen sich auch nicht helfen“, sagt Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle gegen Menschenhandel und Schlepperei beim Bundeskriminalamt. „Die Betroffenen haben Angst und fürchten Repressalien im Clan.“Wegen der Beziehungsnähe schützten die Opfer häufig die Täter und machten selten klare Angaben. „Es ist ganz schwierig, die Kinder müssten gegen die eigenen Eltern aussagen. Menschenhandel ist daher in den meisten Fällen sehr schwer nachweisbar“, betont Tatzgern. Als einzige Möglichkeit für die Kriminalisten sieht er, „Präsenz zu zeigen“. „Wir versuchen proaktiv durch Kontrollen mit den Opfern in Kontakt zu treten. Wir wollen so vermeiden, dass ganz Junge in diesen Teufelskreis hineingeraten.“
Sozialpädagogen und Psychologen sind im Einsatz, aber die Hilfe wird kaum angenommen. „Wir können sie nicht zwangsbeglücken“, sagt Tatzgern. Spätestens nach 48 Stunden werden Betroffene aus dem Polizeigewahrsam an Kinderhilfestellen übergeben, von wo sie kurz danach verschwinden.
Exemplarisch dafür stehe eine bulgarische Familie: Der Vater habe seinen Kindern den Auftrag erteilt, täglich 80 bis 100 Euro abzuliefern, egal mit welchen Mitteln. „Vier Buben im Alter zwischen zwölf und 14 Jahren haben sich in der Pädophilenszene prostituiert. Sie haben damit viel mehr verdient als mit Betteln“, erklärt Tatzgern. Drei Kunden seien schließlich verhaftet worden, den Vater habe die Justiz mangels Beweisen nicht wegen Menschenhandels verurteilen können.
Tatzgern schätzt die organisierte Bettler- und Taschendiebstahlszene allein in Wien auf 600 Personen. Oft seien sie rumänischer, bulgarischer oder bosnischer Abstammung. Der Kriminalist berichtet von Bettlerquartieren mit bis zu 60 Personen in einer Wohnung in
„Es ist ein Kampf gegen Windmühlen.“Gerald Tatzgern, Bundeskriminalamt
Wien, wofür die Betroffenen an die 100 Euro pro Matratze im Monat bezahlen müssten. Da die Unterkünfte legal vermietet würden, sei es rechtlich schwierig, sie zu räumen.
Ein bosnischer Taschendiebstahlsclan, bei dem die meisten Kinder in Italien geboren wurden, beschäftigt Ermittler grenzüberschreitend in vier Ländern Europas. Es seien einige Hundert Reisende, die ihre Kinder für kriminelle Taten missbrauchten. „Die Kinder wurden niemals registriert, sie haben keine Dokumente und verändern regelmäßig ihr Aussehen“, sagt Tatzgern. „Die Kinder werden innerhalb der Clans als eine Art Mitgift weitergegeben. Kinder, die sich durch besondere Fingerfertigkeit auszeichnen, sind besonders viel wert.“