Touristen aus China ticken anders
Er hetzt im Pulk durch die Getreidegasse und lässt kaum Geld da? Das Reiseverhalten chinesischer Gäste ändert sich langsam, die Vorurteile nicht.
Gerade ist viel los an der Hotelbar – und er steht schon wieder da: Der Gast aus China will kein Glas Wein und keinen Cocktail, sondern schlichtweg eine Tasse heißes Wasser. Weil diese Wünsche Zeit der Barkeeper binden und ihre Nerven strapazieren, haben manche Salzburger Hotels schon eine Ein-Euro-Pauschale für heißes Wasser eingeführt, berichtet Sin Wei Tan. Das führt bei den Touristen wiederum zu Unverständnis. „In China glaubt man, dass abgekochtes heißes Wasser gut für den Körper ist. Sie trinken es morgens, mittags und abends gerne“, erklärt Tan. Die interkulturelle Beraterin schult mit ihrem Unternehmen Tan Consulting Touristiker im Umgang mit chinesischen Gästen. „Wenn ich sie willkommen heißen möchte, wäre es gut, mir als Gastgeber zu überlegen, wie ich mich bestens vorbereiten kann, damit sie sich bei uns wohlfühlen und ich nicht auf ungewohnte Wünsche gereizt reagiere“, rät sie. Etwa einen Heißwassertank in der Lobby aufstellen, wie er in China üblich ist. Oder die Zimmer mit Wasserkochern ausstatten.
Die gebürtige Linzerin hat malaysische Eltern mit chinesischen Wurzeln. Ihre Muttersprachen sind Deutsch und Chinesisch. Mit ihren Erfahrungen will sie vermitteln – und ein anderes Bild zeichnen als nur jenes von großen Busgruppen, die den Weg blockieren. Dass es die gibt und sie sich tagtäglich durch die Getreidegasse schieben, ist unbestritten. Mittlerweile sind aber ein Drittel der chinesischen Gäste, die Österreich besuchen, Individualtouristen, zeigen Zahlen der Österreich Werbung. „Ihnen geht es nicht mehr nur darum, Selfies vor Sehenswürdigkeiten zu machen. Sie wollen etwas erleben“, sagt Tan. Gerade die junge Generation suche Abenteuer. „Die buchen dann auch schon einmal einen Skikurs mit Skilehrer oder gehen paragleiten.“
Die Wahrnehmung, dass immer mehr Chinesen unterwegs sind, täuscht aber nicht. Seit 2010 hat sich ihre Anzahl in Österreich mehr als verfünffacht, auf zuletzt 973.000 Ankünfte und 1,4 Millionen Nächtigungen, wie Zahlen der Statistik Austria zeigen. Sie stellen damit 3,2 Prozent der ausländischen Touristen. Chinesen zieht es vor allem nach Wien, Tirol und Salzburg. „Gruppenreisen finden natürlich nach wie vor statt, aber das Wachstum kommt von den Individualreisenden. Sie wollen öfter auf eigene Faust durch Österreich reisen“, sagt Emanuel Lehner-Telic, der den Asien-Bereich der Österreich Werbung von Peking aus koordiniert. „Junge Leute suchen Geheimtipps und wollen dahin, wo noch nicht so viele Chinesen sind.“
Der Großteil der Touristen – insgesamt zwei Drittel – besucht Österreich im Sommer. Der Winter wird aber interessanter: Olympia 2022 in Peking steigert die Nachfrage. „Es gibt in ganz Asien die Sehnsucht nach dem Winterzauber. Wie stark aber bei uns das Skifahren in Anspruch genommen wird, das ist die große Gretchenfrage“, sagt der Experte. Touristiker müssten auch passende Angebote schaffen. „Chinesen werden nicht von Samstag bis Samstag kommen wie die Holländer. Aber dass drei Tage in einem Skiresort ein Teil einer Europareise sein können, glaube ich schon.“
Dadurch, dass nun mehr Touristen auf eigene Faust reisen, ändert sich auch die Strategie der Österreich Werbung: Sie spricht die Endkunden nun gezielt an, vor allem in sozialen Medien. Umworben werden etwa junge Chinesen, die bereits in Europa waren und outdoor- und kulturaffin sind. Die Kommunikations-App WeChat wird von mehr als einer Milliarde Chinesen genutzt. Und der Betreiber Tencent bietet Unternehmen die Möglichkeit, ihre Zielgruppe genau einzugrenzen. An Daten über die Bürger mangelt es nicht. „Das ist zumindest ein Vorteil des großen Datensammelns: Wir können die Leute sehr gut erreichen“, sagt Lehner.
Was sich derzeit mit den Touristenmassen in der Altstadt abspiele und den Einheimischen damit zugemutet werde, sei ein Wahnsinn, sagt Claudia Kaml. Sie betreut mit ihrer Salzburger Agentur Nihao Austria chinesische Gäste in Österreich. „Es sind generell zu viele Menschen. Aber alle schimpfen auf die Chinesen, obwohl ein Salzburger sie nicht von Koreanern unterscheiden kann. Da werden alle in einen Topf geworfen.“Sie organisiert keine Standardprogramme. Mit Gästen aus China besucht sie auch gern einen Bauernhof oder fährt nach Altaussee statt nach Hallstatt. „Alternativen gibt es genug, man muss es eben besser koordinieren.“
Kaml hat drei Jahre lang in China gelebt und spricht Mandarin. „Chinesische Touristen sind mit europäischen nicht vergleichbar“, sagt sie. Der Chinese sei anspruchsvoll. „Eine Europareise ist nach wie vor etwas Großes, deshalb wird viel erwartet. Wir Österreicher wollen diesen Service aber oft nicht mehr erbringen. Das Lächeln eines Kellners bekommen auch Einheimische immer seltener zu sehen.“Oft entstünden Missverständnisse auch durch Verständigungsprobleme.
Für Chinesen sei Sicherheit viel wichtiger, deshalb habe ein Reisegruppenleiter einen höheren Stellenwert. „Erwartet wird ein Rund-um-die-Uhr-Service.“Sie sei auch schon wegen einer kaputten Klimaanlage im Zimmer kurz vor Mitternacht ins Hotel gerufen worden.
Laut Zahlen der Österreich-Werbung gibt ein chinesischer Gast im Durchschnitt 400 Euro täglich aus. Das oft gehörte Vorurteil, dass Chinesen außer ein paar Euro für Mozartkugeln und Ramsch kein Geld in Salzburg ließen, hält auch Kaml für falsch. „Das wird unterschätzt. Sie kaufen im Urlaub für die ganze Familie ein.“Auch Sin Wei Tan bestätigt das. „Es gibt viele Luxusshopper. Sie kommen mit zwei leeren Koffern, haben daheim eine Einkaufsliste erstellt und wissen genau, wo welches Geschäft in der Getreidegasse zu finden ist.“Auf Luxusartikel sind in China hohe Steuern fällig. Die Luxusabgaben können bis zu sechzig Prozent betragen – etwa auf Uhren. Deshalb lohnt sich der Kauf im Ausland. Und für Chinesen muss es das Original sein. Zwar werden Kopien zuhauf in China produziert. „Aber kein Chinese würde ein gefälschtes Polo-Leiberl kaufen. Wenn ein Gegenüber das bemerken würde, wäre das ein Gesichtsverlust – in China ein großes Thema“, erklärt Tan. Sie rät zu mehr gegenseitigem Verständnis. „Es gibt eben Kulturunterschiede. Dass Chinesen beim Essen schmatzen und in der Gruppe lauter sprechen, ist für sie ganz normal. Dass wir gerne Stinkekäse essen, finden sie im Gegenzug merkwürdig.“