Über Bargeld entscheidet der Markt
Im Abschiedsinterview spricht Notenbankchef Nowotny über die Rückkehr der Zinsen, den Einfluss der Politik und US-Präsident Trump.
SN: Der Chef der US-Notenbank sagt, die Geldpolitik habe auf die aktuellen wirtschaftlichen Probleme keine adäquate Antwort. Man müsse den Werkzeugkasten erweitern. Was kann da auf Private und Unternehmen noch zukommen? Ewald Nowotny: Es ist nachvollziehbar, dass der Präsident der Fed von einer gewissen Verzweiflung geprägt ist, weil die Politik des US-Präsidenten extrem dysfunktional ist und die Möglichkeiten einer Notenbank, diese zu korrigieren, gering sind. Ich glaube nicht, dass unter diesem Aspekt neue Instrumente eingesetzt werden müssen. Interessant an der Debatte ist, dass die Beziehung zwischen Geld- und Finanzpolitik wieder enger wird. Das gilt auch für Europa, wo Mario Draghi stets darauf verweist, dass die Möglichkeiten der Geldpolitik begrenzt sind. Für eine expansive Politik muss die Finanzpolitik eine Rolle spielen.
SN: Auch in Europa ist die Lage der Konjunktur angespannt. Was kann die EZB noch tun, um Wachstum zu unterstützen? Die Möglichkeiten einer Notenbank, restriktiv zu wirken, sind viel stärker als auf der expansiven Seite. Eine zu hohe Inflation kann sie rasch und wirkungsvoll bekämpfen. Eine Deflation ist sehr viel schwerer in den Griff zu bekommen. Der EZB ist durch den Einsatz massiver Maßnahmen gelungen, ein Absinken in die Deflation zu verhindern. Aber sie allein kann keinen Konjunkturaufschwung ermöglichen.
SN: Ist die EZB aus der unkonventionellen Geldpolitik zu spät ausgestiegen? Ich habe immer vertreten, dass wir die Chance auf eine Normalisierung – vor allem im vorigen Jahr – stärker hätten nutzen sollen. Eine gewisse Normalisierung ist durch die Beendigung des Ankaufprogramms erfolgt. Ich glaube, dass wir im Gegensatz zur Fed geringere Möglichkeiten haben, weil wir die Normalisierung langsamer angegangen sind.
SN: Der EZB fällt es also schwerer, sich gegen einen weiteren Abschwung zu stemmen? Die EZB hat sicher nicht ihr Pulver verschossen, sie hat weitere Möglichkeiten. Aber sie sind begrenzt, wenn man schon sehr viel Überliquidität geschaffen und negative Einlagenzinsen für Banken hat.
SN: Hat sich die Politik im Gefolge der Finanzkrise zu sehr auf die Notenbanker verlassen? Man muss fairerweise sagen, auch die Politik hat deutliche Maßnahmen gesetzt. Entgegen der Phase der Deregulierung gab es nach Ausbruch der Finanzkrise eine Politik der verstärkten Regulierung. Wir haben stärkere Vorschriften zur Bildung von Eigenkapital, damit ist der Bankensektor krisenfester als vorher. Zweitens hat die Politik mitgeholfen, zu verhindern, dass Banken zusammenbrechen, was ganz gefährliche Kettenreaktionen ausgelöst hätte. Der Nationalrat hat 2008 ein 100-Mrd.-Euro-Paket beschlossen, das fälschlicherweise als Bankenrettung tituliert wurde, es diente aber der Rettung der Wirtschaft.
SN: Bei der Bestellung des neuen Direktoriums hat die Politik ihren Spielraum genutzt. War das aus Ihrer Sicht ein normaler politischer Vorgang? Es steht mir als Gouverneur nicht zu, diesen Prozess zu kritisieren oder zu kommentieren. Dass die Besetzung der Spitzenpositionen in einer Notenbank immer einen politischen Aspekt hat, ist verständlich, es ist ja eine wirtschaftspolitische Schlüsselposition. Wichtig ist, dass auf die entsprechende Qualifikation geachtet wird und die Unabhängigkeit der Notenbank außer Streit steht. Ich hoffe, dass das auch in Zukunft so sein wird.
SN: Bei Jobs in der Notenbank redet die Politik nicht mit? Man muss ehrlich sagen, dass in der Notenbank über sehr viele Jahre ein sehr intensives Proporzsystem geherrscht hat. Ich selbst habe den Anfang gemacht und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Vorgängers übernommen. Ich glaube, wir haben bei der Objektivierung Fortschritte gemacht. Aber das ist ein kontinuierlicher Prozess.
SN: Die geplante Verlagerung der Bankenaufsicht zur FMA haben Sie als Angriff auf die Unabhängigkeit der Nationalbank kritisiert. Sind Sie erleichtert, dass das vorerst vom Tisch ist? Das Finanzministerium hat erfreulicherweise
auf meine Kritik reagiert und respektiert im Umgang mit der Notenbank die Unabhängigkeit jetzt klarer. Zweitens ist die Atempause eine Chance, zu Lösungen zu kommen, die effizienter und gesamtwirtschaftlich sinnvoller wären. Inzwischen hat ja auch der Rechnungshof auf viele ungelöste Überschneidungen im ersten Konzept verwiesen. Ich hoffe, dass man daraus die richtigen Schlüsse zieht.
SN: Hat die jüngst entfachte Debatte über Bargeld in der Verfassung, um eine mögliche Abschaffung zu verhindern, reale Substanz oder ist das nur Wahlkampfgetöse? Es hat überhaupt keine reale Substanz. Es ist eine rein psychologische Frage. Es bringt nichts, aber es hat auch keine Nachteile. Verfassungsjuristen sehen das anders, die warnen vor einer Überfrachtung der Verfassung. Aus der Sicht eines Notenbankers ist es völlig egal.
SN: Niemand muss also um das Bargeld fürchten? Die OeNB wird immer für eine adäquate Versorgung mit Bargeld sorgen, es wird auch weiter eine Rolle spielen. Welche konkret, hängt von Zahlungsgewohnheiten der Bürger ab. Aber diese Frage soll der Markt entscheiden und nicht die Politik.
SN: Aber dass Sparer wieder Zinsen für ihre Einlagen erhalten, wird nicht so bald eintreten? Da muss man realistisch sein. Es gibt weltweit eine Tendenz zu niedrigen Zinsen. Im Euroraum sind derzeit 70 Prozent des Volumens aller ausstehenden Anleihen negativ verzinst. Daher sind die Möglichkeiten für Sparer limitiert. Allerdings ist in Österreich rechtlich geregelt, dass für Spareinlagen keine Negativzinsen verrechnet werden dürfen. Im Zeitablauf gab es immer wieder Phasen mit negativen Realzinsen, sie waren auch schon sehr viel höher negativ. Trotzdem ist Sparen immer sinnvoll, um Mittel für Notfälle oder künftige Wünsche zu schaffen. Für den normalen Sparer spielt das Zinseinkommen eine geringere Rolle, er ist von hohen Inflationsraten viel stärker betroffen.
SN: Wo kann das Zinsniveau dauerhaft zu liegen kommen? Langfristig erwarte ich etwa ein Prozent Realverzinsung, bei ein bis zwei Prozent Inflation wären wir bei Nominalzinsen von zwei bis drei Prozent. Das scheint mir eine Gleichgewichtsposition zu sein, aber wann wir dieses Gleichgewicht erreichen, ist nicht seriös zu sagen.
SN: Sie haben Ihren Job in der Nationalbank auf dem Höhepunkt der Finanzkrise übernommen. Gab es Momente, in denen Sie zweifelten, ob das alles gut gehen wird? Wenn man ehrlich ist, ja. Es ist etwas passiert, was wir weder in der Theorie noch in der Praxis je erwartet hatten, ein totaler Zusammenbruch der Geldmärkte, des Geldflusses zwischen Banken. Es war zu befürchten, dass dieser Blutkreislauf des Finanzsystems zusammenbricht. Die Notenbanken haben durch ihr massives Eingreifen de facto die Rolle des Geldmarktes übernommen. Nur so konnte das Wirtschaftssystem gerettet werden.
SN: Damals haben Notenbanken und Politik an einem Strang gezogen. Das wäre jetzt anders? Die größte Sorge bereitet mir, dass wir derzeit weltwirtschaftlich keinen starken Zusammenhalt haben. Das ist vor allem auf die Politik des US-Präsidenten zurückzuführen, der nicht in gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen denkt, sondern Wirtschaft wie eine Serie von Immobiliendeals betrachtet. Zudem haben wir in den vergangenen zehn Jahren einen raschen Aufschwung Asiens, vor allem in China, erlebt. Die Gewichte in der Weltwirtschaft haben sich verschoben, das muss man auch zur Kenntnis nehmen. Es ist aber ein massiver Irrtum zu glauben, dass ein Staat ärmer wird, wenn ein anderer reicher wird. Im Gegenteil, eine Grundaussage der Volkswirtschaft ist, dass alle davon profitieren, wenn einer reicher wird und die Wirtschaftsbeziehungen damit intensiviert werden. Das ist das Dilemma, das wir derzeit zwischen den USA und China haben.
Ewald Nowotny (*1944) studierte Rechts- und Staatswissenschaften, habilitierte sich in Volkswirtschaftslehre und lehrte bis 2008 an der WU Wien. Von 1979 bis 1999 saß er für die SPÖ im Nationalrat und war dann im Vorstand der Europäischen Investitionsbank. 2006 wurde er für zwei Jahre Chef der Gewerkschaftsbank Bawag, im September 2008 rückte er an die Spitze der Oesterreichischen Nationalbank. Am 1. September folgt ihm der Ökonom Robert Holzmann, der von der FPÖ nominiert wurde. Langversion des Interviews auf www.sn.at