Die AfD stiehlt die Wende-Slogans für ihren Wahlkampf
Ehemalige Bürgerrechtler der DDR sind entsetzt. Die SPD wirft den Rechtspopulisten Geschichtsklitterung vor.
BERLIN. Bürgerrechtler der Wendezeit von 1989/1990 sind entsetzt. Sie haben in einem offenen Brief gegen Wahlkampfslogans der Alternative für Deutschland (AfD) protestiert, mit denen die Rechtspopulisten versuchen, die friedliche Revolution in der DDR für sich zu reklamieren. Auf Plakaten wirbt die AfD mit Sprüchen wie „Vollende die Wende“oder „Die friedliche Revolution mit dem Stimmzettel“. Sie behauptet gar: „Wir sind das Volk.“
Damit betreibe die Partei eine „Geschichtslüge“, wird in einem Brief der ehemaligen DDR-Oppositionellen, zu denen der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) und „Tatort“-Kommissar Jan Josef Liefers gehören, betont. „Die DDR war eine kommunistische Diktatur, die Bundesrepublik ist eine freiheitliche Demokratie“, heißt es im Schreiben. Wer diese Unterschiede nicht anerkenne, verharmlose die SED-Diktatur.
Doch nicht nur auf Plakaten, sondern auch in Wahlkampfauftritten sucht die AfD vor den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen die Wende für sich zu vereinnahmen. So sagt etwa Thüringens Landeschef Björn Höcke, es fühle sich schon wieder an wie 1989, und fügte hinzu: „Dafür haben wir nicht die friedliche Revolution gemacht.“Auch sein brandenburgischer Kollege Andreas Kalbitz spielt auf dieser Klaviatur und erklärt, wer heute anders denke, werde genauso unterdrückt, wie es einst die Stasi getan habe.
Für den früheren Bürgerrechtler Uwe Schwalbe ist das Unsinn: „Wenn man zu DDR-Zeiten auf die Straße gegangen und ,Lügenpresse‘ geschrien hätte, wäre man im StasiKnast oder in Bautzen (berüchtigtes DDR-Gefängnis, Anm.) gelandet.“Zudem wundert sich Schwalbe, dass die AfD-Wähler gar nicht hinterfragen, woher Höcke und Kalbitz stammen. Denn beide sind Wessis und haben weder DDR noch Wende aktiv miterlebt. Höcke kommt aus Nordrhein-Westfalen, Kalbitz aus München.
Schwalbe wirft der AfD vor, mit dieser Methode ihre Wähler hinters Licht zu führen. Die AfD wolle damit die Protestwähler dort abholen, wo sie Anfang der 1990er-Jahre gestanden seien. Die Menschen würden „damit in dem Glauben bestärkt: Der Staat muss meine Probleme lösen“. Diese Taktik habe früher die PDS (Nachfolgepartei der DDR-Staatspartei SED, heute Die Linke) angewendet.
Nicht minder verärgert ist man bei der SPD: Die AfD hat es gewagt, den bekanntesten Spruch der SPDIkone Willy Brandt zu usurpieren. Auch die AfD wirbt nun mit dem Slogan „Mehr Demokratie wagen“ aus dem Jahr 1969, als erstmals ein SPD-Politiker Bundeskanzler geworden war. Die kommissarische Parteichefin Malu Dreyer sprach von einem Missbrauch, der an Verlogenheit nicht zu überbieten sei.
Juso-Chef Kevin Kühnert warf der AfD Geschichtsklitterung vor. Sie wolle die Geschichte umdeuten, indem sie die Bundesrepublik zum diktatorischen Unrechtsstaat erkläre, wo Demokratie nur eine leere Worthülse sei. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke sagte, es sei bekannt, dass die AfD „an allen Stellen klaut“. Aber dass sie sich an jemandem vergreife, der sich zeitlebens für den Frieden zwischen den Völkern eingesetzt habe, sei „der Gipfel“.
Als Reaktion hat die SPD in Brandenburg Gegenplakate aufgestellt mit der Aufschrift „Wir wollten die Freiheit. Wir haben sie erkämpft. Sorge dafür, dass sie bleibt“.
Ob die Strategie der AfD aufgeht, wird sich am 1. September zeigen. In Brandenburg liefert sich die AfD mit der SPD derzeit ein Kopf-anKopf-Rennen, während die CDU in Sachsen ihren Vorsprung auf die Rechtspopulisten auf sechs Punkte ausgebaut hat.