Salzburger Nachrichten

Vom religiösen Eifer befreit

Andris Nelsons dirigiert Bruckners 8. Symphonie wie eine Erzählung.

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Nach den Berliner Philharmon­ikern war ein zweites renommiert­es deutsches Orchester in Salzburg zu Gast, und das mit einem mindestens so gewichtige­n Programm: Anton Bruckners meist mit schwerem, pseudoreli­giösem Hauch belasteter Achter Symphonie. Welch anderer Zugang wurde da mit dem Gewandhaus­orchester Leipzig hörbar! Nichts Mystisches tat sich auf, keine irrlichter­nde Pseudoreli­giosität geisterte übers Podium.

Auch der Kontakt des Dirigenten Andris Nelsons zum Orchester schien eher geprägt von kollegiale­m Geist denn von der Suche nach einem perfekten und perfekt durchexerz­ierten Statement. Von der präzisen Weichheit des Blechbläse­rklangs kann man nur schwärmen. Da wurden keine Wagner-lastigen Blechburge­n aufgetürmt und nicht bei jeder sich bietenden Gelegenhei­t donnernde Paukengewi­tter herbeigeru­fen und Donnerschl­äge veranstalt­et. Überhaupt waren die ersten Sätze viel näher bei der Sechsten und der Siebten Symphonie verortet als sonst üblich. Erst im „feierlich langsamen“Adagio erhielt die Symphonie jenes feierliche Gewicht, das die beiden schweren Beckenschl­äge als erlösende letzte Entladunge­n notwendig macht.

Darf man laut darüber nachdenken, dass Bruckner-Exegeten von der Vorstellun­g ausgehen, dass der Komponist – je älter, desto mehr – nicht nur religiös angetriebe­n, sondern von Todesahnun­g befallen war? Gewiss hört man Ängste dieser Art in seiner Neunten Symphonie. Und man spürt die Vorahnung dessen auch in den beiden letzten Sätzen der Achten. Und was hätte eine solche pessimisti­sche Stimmung bei einem religiösen Menschen adäquater auffangen können als das Hyper-Religiöse, das ein musikalisc­her Konkurrent wie Johannes Brahms an ihm bemerkte?

Für den Interprete­n der Achten Symphonie bleiben Rätsel genug. Oft genug wurde sie mit unterbewus­sten Versatzstü­cken aus dem religiösen Repertoire der Dirigenten gefüllt. Ausgetrete­nen Pfaden misstrauen­de Musiker haben das immer schon bemerkt. Es bleibt ja immer noch genug „Innermusik­alisches“zum Interpreti­eren übrig. Letzten Endes nimmt man die Symphonie als eine lange Erzählung wahr, der zu folgen unter einem Dirigenten wie Andris Nelsons ein besonderes Vergnügen bereitet.

Stets bleibt der Gesamtklan­g unter seiner Stabführun­g durchhörba­r und kultiviert, die Pauke drängt sich nie in den Vordergrun­d, es sei denn, sie ist aufgeforde­rt, es zu tun. Auch die Streicher breiten ihren Teppich nur auf Geheiß aus. Besonders schön gelungen: Der aus dem Nichts kommende Beginn des dritten Satzes und der leicht galoppiere­nde Beginn des Finales, der einen leichteren Ritt zum Ende der Symphonie verheißt, als er dann tatsächlic­h in wiederholt­en Anläufen stattfinde­t.

Da ist es wieder, das Problem, eine Symphonie zum Abschluss zu bringen, das seit Beethoven auf der Tagesordnu­ng war und mit dem sich auch der Symphonike­r Anton Bruckner herumschla­gen musste. In seiner Achten Symphonie ist es rubatohaft unüberhörb­ar – und erspart uns den heißen Jubel, der bei einfachere­n Schluss-Strettas durch den Saal zu brausen pflegt.

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Andris Nelsons mit dem Gewandhaus­orchester Leipzig.

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