Die Klimakrise ist auf dem Weg in den Gerichtssaal
Umweltschützer fordern die Aufhebung oder Reparatur klimaschädlicher Gesetze und klagen vor dem Verfassungsgerichtshof. Experten sind gespannt: „Wir betreten juristisches Neuland.“
WIEN. Die Klimakrise bedroht die Grundrechte auf Gesundheit, Leben und unversehrtes Eigentum – davon ausgehend wird die Umweltschutzorganisation Greenpeace in Kürze eine Klage beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) einbringen. „Ziel ist es, klimaschädliche Gesetze aufzuheben oder zu reparieren“, betonte Greenpeace-Geschäftsführer Alexander Egit am Donnerstag.
Eingeklagt werden vorerst Tempo 140 (auf der Westautobahn zwischen Melk und Oed, Haid und Sattledt) sowie die steuerliche Ungleichbehandlung von Bahn- und Flugverkehr. Denn während Kerosin bei Inlandsflügen steuerfrei ist, ist es Strom für Bahnbetreiber nicht. Dies schlage sich im Ticketpreis nieder und steuere das Verhalten der Konsumenten, argumentiert Greenpeace.
Umweltanwältin Michaela Krömer findet deutliche Worte: „Es ist Zeit, dass die Klimakrise den Weg in den Gerichtssaal findet. Unser Vorteil: Wir wollen niemanden anpatzen und stellen keine Schadenersatzforderungen. Wir wollen nur aufräumen, wo es dreckig ist.“Und Egit ergänzt: „56 Hitzetage im Sommer in Österreich, nur halb so viel Regen. Dazu die Brände im Amazonas-Regenwald, in Russland – die Klimakrise ist überall.“
Verfassungsexperte Daniel Ennöckl vom Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien sieht der Klage mit Spannung entgegen: „Wir betreten Neuland, das hatten wir bisher nicht. Aber der Rechtsstaat lebt davon, dass Juristen etwas ausprobieren.“Der VfGH sei „gezwungen, sich darüber Gedanken zu machen“, erwartet sich Ennöckl einen interessanten Verlauf. „Der VfGH ist ja nicht gerade als besonders umweltfreundlich und ökologisch verschrien, aber schauen wir mal. Den Diskurs bereichert diese Klage allemal. Klimaklagen sind ein internationaler Trend, der zu begrüßen ist.“
Gute Chancen habe für Ennöckl die Nichtbesteuerung von Kerosin: „Das ist eigentlich ein klassischer Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.“Der Verfassungsexperte verweist auf „weltweit über 80 Verfahren dieser Art, die gerade laufen“. Sehr erfolgreich verlief eine Verfassungsklage in den Niederlanden. Eine NGO gewann in zwei Instanzen gegen die Regierung mit dem Antrag auf mehr Klimaschutzmaßnahmen. Auch in Kolumbien, Südafrika und Australien wurden erfolgreich Klimaklagen geführt. In Pakistan stellte das Höchstgericht kürzlich fest, dass durch mangelnden Klimaschutz Menschenrechte verletzt werden.
Verfassungsjurist Heinz Mayer ist ähnlicher Ansicht wie sein Kollege Daniel Ennöckl: „Die Klimakrise ist ein dringender Grund zu hinterfragen, ob die Rechtslage in Österreich ausreichend Schutz vor den Folgen der Erderhitzung bietet. Ein Antrag an den VfGH ist der sinnvollste Weg, um die Grund- und Menschenrechte zu schützen.“Auch für Mayer werde damit „juristisches Neuland betreten“.
Nebst Greenpeace haben sich Menschenrechtsaktivistin Chris Lohner, Adamah-Biohof-Gründer Gerhard Zoubek sowie Veronika Winter von der Fridays-for-FutureBewegung der Klage angeschlossen. Weitere Kläger sollen im Laufe des Herbstes präsentiert werden.