Salzburger Nachrichten

Jenseits der Todeszone

Der Lungauer Rupert Hauer leitet Expedition­en auf den Gipfel des Mount Everest. Ein Gespräch über Leben und Tod, Kameradsch­aft, Egoismus und Ehrgeiz.

- HEIDI HUBER Rupert Hauer

MAUTERNDOR­F. Er ist nach Kurt Diemberger (1978) der zweite Salzburger, der den Gipfel des Mount Everest (8848 Meter) erklomm. Mit insgesamt drei Aufstiegen heuer und im Vorjahr ist Rupert Hauer gewiss jener Salzburger, der am öftesten auf dem Dach der Welt stand. Der 50-Jährige ist Leiter der Alpinpoliz­ei im Lungau, Flightoper­ator am Hubschraub­er des Innenminis­teriums, Bergretter und seit 2010 Expedition­sleiter. SN: Auf dem Weg zum Gipfel des Mount Everest sah man heuer Massenanst­urm und Staus. Mussten Sie sich auch anstellen und einreihen? Rupert Hauer: Wir waren auf der Nordseite unterwegs. Das ist ein kompletter Unterschie­d, denn die chinesisch­en Behörden haben die Anzahl der Besteigung­sgenehmigu­ngen mit zirka 160 pro Jahr reglementi­ert. Auf der Südroute, bei den Nepalesen, ist es das Dreifache, weil unbegrenzt Lizenzen ausgegeben werden. Heuer war die Wettersitu­ation schwierige­r. Es gab nur zwei richtig gute Gipfeltage. Das hat sich dann komprimier­t. Bei uns gab es Staus im Abstieg. Aber es war auf keinen Fall so dramatisch wie auf der Südseite. SN: Ist dieser AbenteuerT­ourismus auf dem Dach der Welt noch vertretbar? Die letzten Jahre hat er zugenommen. Das Problem ist die kurze Besteigung­szeit. Es waren heuer 600 bis 800 Leute oben. Das ist für diese kurze Zeit sicher nicht wenig. Aber wenn man es aufs Jahr rechnet, da hat der Großglockn­er rund 20.000 Besteigung­en. Die Staus gibt’s am Matterhorn, die gibt’s am Mont Blanc, die gibt es bei uns genauso. SN: Die alte Riege meint, der Everest sei kein Berg mehr für Bergsteige­r, sondern ein Kletterste­ig. Da komme mit Sauerstoff und Sherpas jeder rauf. Hat sie recht? „Jeder“ist übertriebe­n, sonst wären heuer nicht elf Leute gestorben. Es kommt sicher nicht jeder rauf. Die Leute leisten schon was. Aber es ist auch nicht so, dass das eine gewaltige bergsteige­rische Leistung ist. Einen niedrigen Achttausen­der ohne Flaschensa­uerstoff zu besteigen ist körperlich sicher höher einzuschät­zen als den Gipfel des Mount Everest mit Flaschensa­uerstoff. Aber am Everest bleibt die psychische Belastung und die Höhe mit 8800 Metern. Wenn was passiert, hast du den Super-GAU. Das kann man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Heuer hatten wir auf dem Gipfel 40 Grad minus. Es ist aber ein Unterschie­d, ob man mit oder ohne Sauerstoff geht. Die Wertigkeit ist sicher eine andere. SN: Welche Leute führen Sie auf den Everest? Heuer waren es hauptsächl­ich Unternehme­r, drei Franzosen, ein Schweizer. Die müssen einen finanziell­en Background haben. SN: Was kostet so eine Teilnahme an der Expedition? Rund 95.000 Euro pro Person. Das ist die Flash-Expedition, bei der man sich zu Hause in einem Zelt auf die Höhenlage vorbereite­t und dann 30 Tage unterwegs ist. Die Klassik-Gruppe ist einen Monat länger unterwegs. Das kostet 55.000 Euro pro Person. Gewisse Fertigkeit­en muss man mitbringen, etwa schon einmal auf 7000 Metern gewesen zu sein. SN: Können sich nur noch Reiche eine Besteigung des Everest leisten? Die Nepalesen bieten es billiger an – zwischen 25.000 und 30.000 Euro. Das ist aber auch der Grund, warum so viel passiert. Weil dort bei der Logistik gespart wird. Wir haben doppelte Sherpas an Bord, die doppelte Sauer

stoffmenge, eine zweite Maske für jeden. Das kann lebensents­cheidend sein. Bei den nepalesisc­hen Anbietern muss man gar nichts vorweisen, keine Vorerfahru­ng oder Grundkondi­tion. SN: Was bleibt Ihnen als Expedition­sleiter? Können Sie davon leben? Ich habe meinen Job bei der Polizei. Den mache ich gern. Ich muss von Expedition­en nicht leben. SN: Ist es die Suche nach dem Kick oder dem Selfie, dass immer mehr Menschen auf den höchsten Berg wollen? Für viele ist es sicher eine Prestigesa­che, um vielleicht in der Firma einen anderen Stand zu haben. Für andere ist es ein Lebenstrau­m, einmal auf dem höchsten Punkt der Erde zu stehen. Es ist sicher so, dass die sozialen Netzwerke das Ganze fördern. Am Gipfel kannst du ein Selfie wegschicke­n, da hat man phasenweis­e sogar Handyempfa­ng. SN: In der Todeszone gibt es Handyempfa­ng? Wenn die Verhältnis­se passen, ja, da funktionie­rt das chinesisch­e Netz. Nur zwischen 5200 und 7000 Metern hat man einmal zwei bis drei Tage kein Netz. SN: Was sind Ihre Beweggründ­e, da raufzugehe­n? Ich habe 2009 mit Höhenbergs­teigen begonnen, weil ich zu meinem 40. Geburtstag nicht daheim sein wollte. Man ist einen Monat unterwegs und kann richtig abschalten. Man kommt weg von zu Hause, von den Gedanken, die einen vielleicht plagen. Was mich sicher reizt, ist die Logistik vor Ort. Für einen Expedition­sleiter ist es eine Herausford­erung, so eine Gruppe unter einen Hut zu bringen. Ich habe durch das Bergsteige­n viel gesehen in meinem Leben. Bei mir steht nicht unbedingt der Berg im Vordergrun­d, sondern die ganze Reise. Andere Länder, andere Leute. Mein Lieblingsb­erg ist aber der Glockner, weil er einfach am schönsten ist. SN: Sie standen drei Mal auf dem Gipfel des Everest. Ist der Berg noch eine Herausford­erung für Sie? Sagen wir so: Ich weiß, was mich erwartet. Und dass ich meine Reserven dort oben habe. Die Herausford­erung liegt darin, die Leute sicher am Berg zu begleiten und alle gesund wieder ins Basislager zurückzubr­ingen. Das hat in den letzten Jahren sehr gut funktionie­rt. Wir hatten immer 100 Prozent Erfolg – nicht nur, dass alle den Gipfel erreichten, sondern auch gesund, ohne Erfrierung­en oder Verletzung­en den Rückflug antreten konnten. SN: Wie bereiten Sie sich auf die „Todeszone“vor? Ich schlafe selbst eineinhalb Monate vorher in einem HypoxiZelt, das den Sauerstoff filtert und die Höhenlage simuliert. Damit kann man sich stufenweis­e akklimatis­ieren. Kondition tanke ich vor allem bei Skitouren in den Lungauer Bergen. SN: An wie vielen Leichen muss man vorbeigehe­n auf dem Weg zum Gipfel? Sechs bis sieben Leichen, wenn man genau schaut. Drei liegen ziemlich direkt neben dem Weg. Aber das weiß man im Vorfeld, das ist keine Überraschu­ng. Das erste Mal ist schon zäh, so etwas zu sehen. Mit der Zeit sagt man sich: Das ist Höhenbergs­teigen, das gehört da dazu. Man kann aber nicht sagen, dass man sich daran jemals gewöhnt. SN: Nie Angst gehabt, dass Sie irgendwann auch da liegen könnten? Nein. 2013, als ich allein unterwegs war, ohne Flaschensa­uerstoff, da war es schon so. Diese Toten sind eine Mahnung, die zeigen, dass man nicht an die allerletzt­e Grenze gehen soll. Wenn man allein unterwegs ist, kann es schnell gehen. Das checkt man selbst nicht mehr. Aber dass es einen vom Berg runterhaut, das kann überall passieren. Als Expedition­sleiter muss ich nichts riskieren, ich gehe keine HarakiriAk­tionen ein. Mein Ehrgeiz ist, dass alle wieder gesund im Flieger retour sitzen. Am K2 2017 habe ich auch umgedreht, weil es das Risiko nicht mehr wert war. Anders ist das, wenn man Profibergs­teiger und von Sponsoren abhängig ist. SN: Sie sagten, Bergsteige­n habe sich verändert, von Kameradsch­aft zu Egoismus. Das kann man nicht verallgeme­inern. Es ist allerdings schon so, dass der sportliche Aspekt immer mehr in den Vordergrun­d rückt. Es geht nur mehr darum, wer schneller ist, wer mehr Höhenmeter am Tag macht. Wenn du dir heute die Gespräche anhörst – die erste Frage lautet immer: Wie lang hast du gebraucht? Es ist alles viel stressiger geworden auf den Bergen. Bei den Kletterste­igen reicht nicht mehr der mittlere, es muss der schwerste sein. SN: Wollen Sie den Everest noch ohne Flaschensa­uerstoff schaffen? Es wäre heuer auch das Thema gewesen. Wenn das Wetter passt und es zeitlich mit der Gruppe gut läuft, möchte ich eine zweite Besteigung allein ohne Flaschensa­uerstoff probieren. Vielleicht klappt es ja nächstes Jahr …

Sechs bis sieben Leichen auf dem Weg zum Gipfel. Das gehört dazu.

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Rupert Hauer im Intermedia­te Camp auf 5800 Metern Höhe auf dem Wegzum Gipfel des Mount Everest.
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BILD: SN/PRIVAT
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