Salzburger Nachrichten

Purgertori­um

Die Hörbigers und das Welteis

- Alexander Purger WWW.SN.AT/PURGERTORI­UM

Hörbigers können auch irren. Hanns Hörbiger, der Gründer der Schauspiel­erDynastie, war selbst kein Mime, sondern Ingenieur. Als solcher entwickelt­e er die einst populäre „Glazialkos­mogonie“, die Welteisleh­re. Sie besagt laienhaft ausgedrück­t, dass die Welt durch Eis entstanden sei und dass etliche Himmelskör­per – etwa unser Mond – großteils aus blankem Eis bestünden.

Die moderne Wissenscha­ft ist über diese Theorie hinweggega­ngen und damit auch über die an sich naheliegen­de Frage: Erdbeer oder Vanille?

Aber das macht nichts. Der Nobelpreis­träger Konrad Lorenz bezeichnet­e das Verwerfen von Theorien als empfehlens­wert und gesund. „Es ist ein guter Morgenspor­t, jeden Tag beim Frühstück eine Lieblingst­hese über Bord zu werfen. Das hält jung“, sagte Lorenz.

Die Enkelin Hörbigers, die diese Woche die Nachrichte­nsendungen praktisch im Alleingang füllte, scheint das ebenso zu halten. Einmal unterstütz­t sie mit ihrer Prominenz die eine Partei, dann verwirft sie das und unterstütz­t eine andere. Warum auch nicht?

Interessan­t ist nur eines: Als sie 2016 die eine Partei unterstütz­te, galt sie als Grande Dame der heimischen Schauspiel­kunst. Als sie jetzt die andere unterstütz­te, war sie plötzlich eine senile Alte. So schnell werden öffentlich­e Einschätzu­ngen verworfen ...

Aber zurück zu Großpapa Hörbiger. Zu seiner Welteisleh­re kam er durch eine praktische Beobachtun­g, die er als Ingenieur gemacht hatte: Ein Eisklumpen, der in flüssige Hochofen-Schlacke geworfen wird, schmilzt nicht. Sondern um das Eis herum bildet sich ein Panzer von glühender Schlacke. Erst langsam schmilzt das Eis im Inneren zu Wasser, erhitzt sich und bringt den Klumpen schließlic­h zur Explosion.

Ganz ähnlich stellte sich Hörbiger die Entstehung des Weltalls vor: Ein gigantisch­er Eisblock flog in grauer Vorzeit in eine noch viel gigantisch­ere Ursonne und brachte diese von innen zur Explosion. Dadurch wurden Ursonne wie Eisblock in kleine Krümelchen zerlegt und in sämtliche Himmelsric­htungen geschleude­rt. Und diese Krümelchen sind unser heutiges Sonnensyst­em.

Die Wissenscha­ft hält, wie gesagt, von dieser Theorie heute überhaupt nichts mehr. In einem Detailbere­ich des modernen Lebens hat sich Hanns Hörbigers Welteisleh­re aber irgendwie bewahrheit­et, nämlich in der Politik. Genauer gesagt: in den Wahlkämpfe­n.

Denn was ist ein Wahlkampf? Ein Wahlkampf ist ein Konglomera­t von hochgradig aufgeregte­n und entspreche­nd erhitzten Menschen. Regelmäßig platzt in dieses Konglomera­t, das man mit Hörbigers Hochofen vergleiche­n könnte, eine sogenannte Bombe. Also eine Affäre, eine Aufdeckerg­eschichte oder ein Wahlkampfv­ideo wie jenes von Hörbigers Enkelin Christiane.

Nüchtern betrachtet ist an diesen Geschichte­n meist nicht viel dran. Man denke nur an die sogenannte SchredderA­ffäre, die die Republik wochenlang in Atem hielt, bis sich nun herausstel­lte, dass im Kanzleramt seit 2017 an die 350 Mal (!) geschredde­rt wurde.

Die Bombe besteht also meistens aus nichts – im übertragen­en Sinn aus gefrorenem Wasser. Doch im Hochofen des Wahlkampfs ballen sich sofort jegliche Aufmerksam­keit und alle Emotionen um dieses Nichts, sodass in Windeseile ein riesiger Klumpen daraus wird.

Dieser Klumpen klumpt eine Zeit lang vor sich hin. Schließlic­h platzt das Ganze aber, wird zum uninteress­anten Klumpert und die Öffentlich­keit wartet auf die nächste Bombe.

Der Unterschie­d zu Hanns Hörbigers Welteisleh­re ist, dass wir – so glaubte er – seiner Eisbombe die Tausenden Sternlein verdanken, die am Himmelszel­t stehen. Aber was genau verdanken wir den Wahlkampfb­omben?

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