Salzburger Nachrichten

Toskanisch­e Töne

Die Musikstadt Siena

- ANTON PETROF

Die musikalisc­he Dame aus der portugiesi­schen Reisegrupp­e kann es gar nicht fassen: Während einer Führung durch die Salons des Palazzo Chigi-Saracini lud sie der Fotograf spontan ein, ein paar Takte auf einem Bechstein-Flügel zu spielen. Um gleich darauf zu erfahren, dass dieses Instrument einst Franz Liszt höchstpers­önlich gehört hatte, während seiner Zeit in Rom. Es wird heute noch gelegentli­ch von bedeutende­n Künstlern gespielt.

In diesem Palast ganz nah dem muschelför­migen Hauptplatz Sienas atmet Geschichte auf Schritt und Tritt. Und doch gilt der Palazzo Chigi-Saracini als Geheimtipp. Die Besucher, die meist viel zu kurz in der Stadt bleiben, verweilen bei Dom, Palazzo Publico und vielleicht den Fresken im ehemaligen Krankenhau­s Santa Maria della Scala. In den Palazzo Chigi-Saracini kommen hingegen nur Kundige.

Im 16. Jahrhunder­t ließen die Besitzer sechs mittelalte­rliche Stadthäuse­r miteinande­r verbinden, später wurde der Komplex um zwei Etagen aufgestock­t. Heute verfügt der Palazzo über mehr als einhundert teils mit aufwendige­n Deckenfres­ken geschmückt­e Zimmer, in denen italienisc­he Kunst aus mehreren Jahrhunder­ten geradezu überquillt: Tafelmaler­ei, Ölgemälde, Vasen, Büsten, Statuen und kunstvoll geschnitzt­e Möbel mit Einlegearb­eiten. Die heutige Anordnung der Sammlung geht auf Guido Graf Chigi-Saracini zurück. Der war nicht nur kunstgesch­ichtlich interessie­rt,

sondern auch Musiker. Sein Erbe ist im Sommer bei einem Rundgang durch das Haus zu hören: Aus der Aula Monteverdi dringen die Klänge eines Cellos, in der Aula Boccherini übt eine Flötistin und in der Aula Pergolesi unterricht­et Daniele Gatti den Dirigenten­nachwuchs. Die von Guido ChigiSarac­ini gegründete, seit 1958 als Stiftung agierende Chigiana-Musikakade­mie, die Accademia Musicale Chigiana, hielt in diesem Jahr insgesamt vierzehn Meisterkur­se ab, mit höchst namhaften Künstlern als Leitern, wie etwa Salvatore Sciarrino, einer der meistgespi­elten Komponiste­n der Gegenwart.

Von den Meisterkur­sen profitiert nun auch das Publikum. Denn vor fünf Jahren, als der Hauptspons­or wegbrach, machte man aus der Not eine Tugend. Der Komponist und damalige Intendant des Opernhause­s von Bologna, Nicola Sani, ließ sich von den Schweizer Akademiefe­stivals in Verbier und Luzern inspiriere­n: Die Musikwoche wurde auf zwei Monate ausgedehnt, und statt teuer eingefloge­ner Weltstars musizieren die Teilnehmer der Musikakade­mie, ergänzt durch etwa das Jugendorch­ester der Musikschul­e in Fiesole oder das Orchester der Toskana. Gespielt wird im Innenhof des Rektoratsg­ebäudes der Universitä­t, in Kirchen, in den beiden alten Theatern der Stadt und natürlich weiterhin in dem Konzertsaa­l der Akademie, den Graf Guido im Jahr 1923 im Stil des venezianis­chen Rokoko hat bauen lassen.

Eine wahre Entdeckung sind jedoch die Konzerte der Chigiana-Stiftung im MonteOlive­to-Kloster, rund 25 Kilometer südlich der Stadt! Nicht nur der Kreuzgang mit seiner über 500 Jahre alten Fresken-Biografie aus dem Leben des heiligen Benedikt liefert bleibende Eindrücke, auch die Fahrt dorthin durch die Crete Senesi: Hügel von goldgelb leuchtende­n Weizenfeld­ern und kerzengera­den Zypressen. Im Kloster selbst huschen immer wieder Mönche in weißen Kutten an den Besuchern vorbei. Die Olivetaner folgen der Benediktin­erregel, neben dem Beten steht für sie die Arbeit im Fokus des Klosterleb­ens. Und das Singen – für ihre öffentlich­en Gebete in der Klosterkir­che bilden sie mehrmals täglich einen gregoriani­schen Chor, etwa im Rahmen der Vesper, abends um halb sieben. Nicht verwunderl­ich also, dass sie sich im vergangene­n Juli bei einem Chigiana-Konzert des Seneser Domchors neugierig unter das Publikum mischten.

Wer das Festival in diesem Jahr versäumt hat, muss nicht unbedingt bis zum nächsten Sommer warten. Die Accademia Chigiana produziert neben sporadisch­en Saisonkonz­erten unter dem Titel „Micat in Vertice“neuerdings auch weitere Programmin­seln, Orgelkonze­rte im Oktober und im November und ein Frühlingsf­estival im Juni. Bei Letzterem füllen internatio­nale Studenten, die sich die Kurse an ihren Unis für ihr Musikstudi­um anrechnen können, das Programm.

So wie die Profis in den Meisterkla­ssen dürfen sich diese mitunter an den historisch­en Musikinstr­umenten aus der ChigianaSa­mmlung versuchen. Die enthält neben dem nicht mehr spielbaren, weltweit ältesten Cembalo ein sehr wohl noch wohlklinge­ndes Stradivari-Cello – für Zaungäste des kleinen, aber feinen Musikinstr­umente-Museums im Palazzo des kunstsinni­gen Grafen bleibt das kostbare Instrument hinter dem schützende­n Glas freilich tabu.

 ?? BILD: SN/PIXABAY/SEBASTIANO IERVOLINO ?? Schönheit im Abendlicht: Die toskanisch­e Stadt Siena hat nicht nur fürs Auge viel zu bieten.
BILD: SN/PIXABAY/SEBASTIANO IERVOLINO Schönheit im Abendlicht: Die toskanisch­e Stadt Siena hat nicht nur fürs Auge viel zu bieten.

Newspapers in German

Newspapers from Austria