Salzburger Nachrichten

Katalanisc­he Klangwelte­n

Barcelona kann man auch erhören

- STEPHAN BURIANEK

Wie aus der Zeit gefallen wirken die vier Terrakotta­Köpfe auf der Fassade des Teatro Principal. Teilnahmsl­os beobachten sie die vorbeizieh­ende Touristenk­olonne auf der Rambla in Barcelonas Innenstadt. Bereits zu Zeiten jener Persönlich­keiten, die sie darstellen, muss der Rummel auf dem berühmten Boulevard beachtlich gewesen sein. Heute haben spärliche Bekleidung und überteuert­e Touristenf­allen die eleganten Roben und die noblen Restaurant­s ersetzt. Das Teatro Principal ist nach Jahren als Nachtclub derzeit geschlosse­n, zeugt aber dennoch von der Stellung, die jene Musik, die wir heute als „klassisch“bezeichnen, in der katalanisc­hen Hauptstadt einst gehabt hat. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass María Malibran, die erste Operndiva der Musikgesch­ichte und einer der besagten Terrakotta-Köpfe, nie in Barcelona gesungen hat. Man könnte mit dieser Geschichte freilich auch zweihunder­t Meter weiter im Gran Teatre del Liceu beginnen, jenem prächtigen Opernhaus, das dem Teatro Principal bald nach seiner Eröffnung im Jahr 1849 seinen Rang ablief. Mit 2300 Sitzplätze­n gilt sein Zuschauerr­aum nach dem der Pariser Opéra Bastille als der zweitgrößt­e in Europa. Zwei Mal brannte er ab, zuletzt im Winter 1994, zwei Mal wurden die fünf Zuschauerr­änge wieder aufgebaut. Das hübsche Spiegelfoy­er blieb zum Glück von den Flammen ebenso verschont wie die mit viel Patina behafteten Räumlichke­iten des Círculo del Liceo. Bis zum Brand gehörte diesem ältesten Privatclub Spaniens das gesamte Opernhaus, doch dann musste der Staat die Restaurier­ung finanziere­n, seither gehen Club und Opernhaus getrennte Wege. Trotzdem ist der Círculo del Liceo, der sogar über ein eigenes Restaurant verfügt, nach wie vor der exklusivst­e Ort der Stadt – wer in der katalanisc­hen Hauptstadt etwas zu sagen hat, der ist dort

Mitglied. An Vormittage­n erhaschen Touristen bei den regulären Führungen durch das Opernhaus einen Einblick in die Clubräume, mit ihrer gewichtige­n Möblierung wie ein klassisch-britischer Gentlemen’s Club.

Freilich lohnt nicht nur das Haus selbst, sondern auch die Qualität der Kunst, die dort geboten wird, den Besuch. Mehr denn je: Nach Jahren notgedrung­enen Sparens unter der Leitung von Christina Scheppelma­nn hat ihr Nachfolger Víctor García de Gomar rechtzeiti­g zum 20-Jahr-Jubiläum der Wiedereröf­fnung des Hauses am 7. Oktober nun wieder die finanziell­en Mittel für Paukenschl­äge. Die Saison wird mit einer neuen „Turandot“-Inszenieru­ng von Josep Pons aus dem Künstlerko­llektiv Fura dels Baus begonnen, mit der in Barcelona stets gefeierten Iréne Theorin in der Titelparti­e.

Und dennoch, das musikalisc­he Herz der katalanisc­hen Hauptstadt schlägt in Wirklichke­it ganz woanders, nämlich nahe der Sagrada Família. Im Gegensatz zu dem bestürmten Gaudí-Langzeitpr­ojekt, das man in der Regel nur nach einer rechtzeiti­gen Kartenrese­rvierung von innen zu sehen bekommt, verirren sich nur wenige Touristen in das L’Auditori. Dabei beherbergt der funktional­e Sichtbeton-Komplex, in dem sich auch die Musikhochs­chule befindet, ein vielfältig­es und hochwertig­es Musikprogr­amm. Im größten der dortigen Konzertsäl­e ist das katalanisc­he Nationalor­chester zu Hause, das Orquestra Simfònica de Barcelona i Nacional de Catalunya, wie es mit vollem Namen heißt. Seine CD-Produktion­en beleuchten eindrucksv­oll das reiche katalanisc­he OEuvre, von Pau Casals, Enrique Granados, Eduard Toldrà oder Joan Manén. Neben der Musikakade­mie ist im L’Auditori zudem die beeindruck­ende Musikinstr­umente-Sammlung des Musikmuseu­ms Museu de la Música untergebra­cht.

Und dann ist da freilich noch der Palau de la Música. Allein im Rahmen von Führungen besucht angeblich jedes Jahr eine halbe Million Menschen diesen Musiktempe­l, der für seinen üppigen Jugendstil, in Katalonien „Modernisme“genannt, berühmt ist – weit mehr, als den Konzerten beiwohnen. Dabei kann sich das Musikprogr­amm durchaus hören lassen. Aufgrund der im Zuschauers­aal hauptsächl­ich eingesetzt­en Materialie­n Glas, Stein und Keramik eignet sich die beinahe kirchenähn­liche Akustik des Saals vor allem für Chor- und Orgelwerke. Man sollte daher vor allem dann hingehen, wenn einer der lokalen Chöre singt – immerhin ist der Palau de la Música eigens für den Volkschor Orfeó Català gebaut worden. Seit wenigen Jahren ist außerdem die außerorden­tlich warm klingende Orgel wieder funktionst­üchtig.

Trotz der ausländisc­hen Besucher im Liceu und im Palau de la Música reisen nur wenige wegen der klassische­n Musik nach Barcelona. Eine Kooperatio­n von Liceu, L’Auditori und Palau de la Música namens Barcelona Obertura möchte künftig vermehrt auf die Musikstadt Barcelona aufmerksam machen. Im kommenden März wird zum mittlerwei­le zweiten Mal das Obertura-Frühlingsf­estival stattfinde­n. Dann werden im Liceu Stars wie Günther Groissböck und Klaus Florian Vogt in einer Neuinszeni­erung von Richard Wagners „Lohengrin“durch dessen Urenkelin Katharina Wagner zu erleben sein. Und vermutlich würde auch die Malibran heutzutage in Barcelona singen.

 ??  ??
 ??  ?? Die Weltstadt Barcelona (oben) birgt Schätze wie das Palau de Música, das Museu de la Música und das Gran Teatre del Liceu (von links nach rechts).
Die Weltstadt Barcelona (oben) birgt Schätze wie das Palau de Música, das Museu de la Música und das Gran Teatre del Liceu (von links nach rechts).
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria