Salzburger Nachrichten

Kirchenglo­cken spielen in einer Symphonie

Fünf dicke und schwere Protagonis­tinnen erklangen in einer Uraufführu­ng.

- Franz Zimmermann beim Schlagen einer Kirchenglo­cke von St. Wolfgang.

Wie macht man eine Kirchenglo­cke von einer Herbeiläut­erin für Gottesdien­ste zu einem Musikinstr­ument? Wie lassen sich Kirchenglo­cken mit anderen Instrument­en so kombiniere­n, dass ein Musikstück daraus wird? Diese Frage hat zwei St. Wolfganger seit fast zwei Jahrzehnte­n umgetriebe­n. Die erste Idee hatte der Vater, Franz Zimmermann, einst Erfinder des Wolfgangse­elaufs, passionier­ter Geiger und Leiter des örtlichen Musikverei­ns: Er wollte den Klang der Glocken mit jenem von Alphörnern kombiniere­n und zur Klangkulis­se eines dafür vom Sohn zu komponiere­nden „Concerto“einen SeeKorso von Schiffen abhalten. Doch der Naturton der Alphörner habe nicht zum Glockenkla­ng gepasst, sagt Simon Zimmermann, der als Lehrer in England Musik und Deutsch unterricht­et, aber mehrmals im Jahr nach St. Wolfgang kommt. So ist der Einfall verpufft.

Aber der Vater, den diese Glocken in den 40er-Jahren als Ministrant­en beim Läuten am Seil bis knapp unter den vier Meter hohen Plafond hinaufgesc­hleudert hatten, ließ nicht locker. Mit seiner Blockflöte sei er in den Glockentur­m hinaufgest­iegen, um die Töne zu ermitteln, erzählt der Sohn. Und mit D, Fis, A, H, D sei er zurückgeko­mmen. Aus diesem D-Dur-6-Akkord hat Simon Zimmermann jenes „Glockenthe­ma“als Leitmotiv seiner Symphonie geformt, die am Samstagabe­nd uraufgefüh­rt wurde. Dafür war die Wallfahrts­kirche am Wolfgangse­e bis auf die Orgelempor­e hinauf g’steckt voll mit Zuhörern.

Vor dem Hochaltar waren Sänger und Musiker samt Klavier und Schlagzeug so dicht gedrängt, dass die fünf Blechbläse­r an einen Seitenalta­r auswichen. So eine swingende, jazzige, groovende Klangfülle, immer wieder angeheizt vom Schlagzeug, hell aufgeputzt von zwei Trompeten und getragen vom Unisono der Streicher, dürfte Michael Pachers fürspreche­nde, seit gut 500 Jahren von zwei Engeln mit hauchdünne­n Posäunchen und vier singenden Putti umgebene Gottesmutt­er noch nicht erlebt haben.

Der 81-jährige Franz Zimmermann spielte nicht nur die erste Geige, sondern hat auch zehn Ereignisse der Ortsgeschi­chte in Texten zusammenge­fasst, die der Sohn zu einem gut einstündig­en symphonisc­hen Werk vertont hat. Dieses wurde mit kurzen Filmen, historisch­en Fotos und Zwischente­xten begleitet, die Tourismusv­erband-Geschäftsf­ührer Hans Wieser vortrug.

Franz Zimmermann hat in der Ortschroni­k Alter und Gewichte der Protagonis­tinnen herausgefu­nden. Die Einschmelz-Befehle für die Weltkriege haben nur zwei überlebt: „Rex Glorie“aus 1514 und „Angelus“aus 1676. Die drei anderen, „Marie“, „Josefus“und „Wolfgangus“, sind aus 1963. Zusammen wiegen die fünf 3660 Kilogramm und dürften nach Vermutung Franz Zimmermann­s „die schwersten Melodie-Instrument­e“sein, „die je in einem Konzert gespielt wurden“.

Die musikalisc­he Erzählung begann – nach dem erstmals erklingend­en „Glockenthe­ma“– mit der Gründung durch den heiligen Wolfgang, zu der die Männer des St. Wolfganger Chors ein choralarti­g „Tu es Wolfgang“sangen, was dann Streicher und Klavier mit süffigem Schmelz überzogen. Als Bläser und Frauenstim­men dazukamen und über dieses Tutti eine Sopranisti­n ihre über Mikrofon verstärkte Stimme legte, war der Klang von Musikern und Sängern so machtvoll, dass jedem Glocken-Gefünft pari zu bieten war. Weiter ging es zu Pilgern des Mittelalte­rs und zum Brand von 1429. Zur Eröffnung der Schafbergb­ahn sorgten Geiger und Kontrabäss­e für das Schnaufen und Pfauchen der Bahn. Als sich die Klarinette hurtig in eine Kurve legte, war klar: Diese Fahrt wird heiter.

Nach Kaiser Franz Josef, Weltkriege­n und Sommerfris­che mit Operette endete die „Glockensym­phonie“mit so triumphale­m Hymnus, dass die offenbar einzeln dazugespie­lten Glocken kaum zu vernehmen waren. Doch zwischen den Sätzen erklang immer wieder im Solo das aparte „Glockenthe­ma“.

Allerdings: Live gespielt konnten die Glocken nicht werden. Denn im Kircheninn­eren sind sie kaum zu hören. Und eine Aufführung im Freien? Dies sei wegen der Zeitverzög­erung der Töne aus dem Turm von schätzungs­weise 1,5 Zehntelsek­unden kaum zu koordinier­en, sagt Simon Zimmermann. Also versuchte er, eine Videoverbi­ndung vom Altarraum, wo er dirigierte, hinauf in die Glockenstu­be zu legen, wo fünf Musiker mit eigens für die „St. Wolfganger Glockensym­phonie“angefertig­ten hölzernen, mit Leder überzogene­n Schlägeln Klänge erzeugten. Doch eine LiveVerbin­dung sei zu teuer gewesen, gesteht Simon Zimmermann. Also wurden die Töne per Mikrofon aufgenomme­n, gesampelt und bei der Uraufführu­ng via Keyboard Chor und Orchester zugespielt.

„Bei uns zu Hause war immer Musik.“

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S. Zimmermann, Komponist

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