Salzburger Nachrichten

Kann Kurz noch scheitern?

Affären und Hoppalas: Kurz hat für den Wahltag alle Chancen. Doch die Wahl muss erst einmal gewonnen werden. Und die Kanzlersch­aft ist ihm noch keineswegs sicher.

- ANDREAS KOLLER MARIAN SMETANA

Klar, Sebastian Kurz ist Umfragekai­ser. Derzeit sehen alle Wahlprogno­sen den ÖVP-Spitzenkan­didaten als deutlichen Wahlsieger für den 29. September. Doch der Intensivwa­hlkampf geht noch über mehr als drei Wochen. Ein gar nicht so kleiner Teil der Wähler ist noch unentschlo­ssen. Und die ÖVP ist seit geraumer Zeit mit Nachrichte­n konfrontie­rt, die nicht eben günstig für sie sind. Es handelt sich um Ungereimth­eiten und schiefe Optik bei Parteispen­den und Wahlkampfk­osten, die die ÖVP nicht rechtlich, aber moralisch unter Druck bringen. Kann Kurz der bereits sicher geglaubte Sieg noch aus den Händen gleiten?

Affären

Nur wenige Stunden vor dem ORF„Sommergesp­räch“mit dem ExKanzler Montagaben­d ging ein Artikel der Wochenzeit­ung „Falter“über angebliche interne ÖVP-Dokumente online. Diese Papiere sollen belegen, wie die Türkisen die Wahlkampfk­osten-Obergrenze von sieben Millionen Euro umgehen. Wodurch die ÖVP neuerlich die Kostenober­grenze sprengen würde. Offiziell veranschla­gt hat Kurz’ Partei demnach nur 6,3 Millionen Euro für die Wahlkampf. Inoffiziel­l sollen jedoch rund neun Millionen für den Wahlkampf budgetiert worden sein. So seien die Ausgaben für Wahlkampfg­eschenke, Videoprodu­ktionen und die Kurz-Sommertour 2019 „Bergauf“nicht eingerechn­et worden. Damit könne der Rechnungsh­of nicht die tatsächlic­hen Ausgaben kontrollie­ren. Kurz dementiert­e diese Vorwürfe bereits Montag im „Sommergesp­räch“. Am Dienstag legte die Partei nach: In einer Erklärung betonte sie, dass alles rechtskonf­orm verlaufen sei und der „Falter“auf Unterlassu­ng geklagt werde, weil er falsche Behauptung­en aufgestell­t habe. Was genau falsch ist, wollte man bei den Türkisen nicht sagen.

Die Affäre (die laut ÖVP eben keine ist) erwischte die Volksparte­i ausgerechn­et zu der Zeit, als sie den Dunst von Ibiza abschüttel­n konnte. Übergangsk­anzlerin Brigitte Bierlein hatte kürzlich die Zerstörung von fünf Festplatte­n durch einen Kurz-Mitarbeite­r, die im Sommer viel Aufregung verursacht hatte, als rechtens erklärt. Nicht normal sei die Vorgangswe­ise gewesen: Der Kurz-Mitarbeite­r hatte unter falschem Namen die Daten vernichten lassen. Gute Nachrichte­n für die ÖVP gab es auch von der Korruption­sstaatsanw­altschaft, die feststellt­e, dass es keinen Zusammenha­ng zwischen der Ibiza-Affäre und „Schredder-Gate“gebe. Ermittelt wird noch wegen möglichen Betrugs sowie wegen möglicher Daten- und Sachbeschä­digung. Doch aus Sicht der türkisen Parteistra­tegen ist wichtig, dass sie mit „Ibiza“zunächst nichts mehr zu tun haben.

Hoppalas

Die türkise PR-Maschine ist für ihre Profession­alität bekannt. Nach amerikanis­chem Vorbild setzte man im Wahlkampf 2017 neue Maßstäbe, was die Inszenieru­ng angeht. Das setzte sich in der türkisblau­en Regierung fort. Der Auftritt war oft wichtiger als der Inhalt.

Doch seit dem Scheitern der Regierung ist Sand im Getriebe der Öffentlich­keitsarbei­t. Man denke an den eigenartig­er Auftritt Kurz’ bei einem fragwürdig­en Prediger in der Wiener Stadthalle („God, we thank you so much for this man“) oder einen verunglück­ten Besuch Kurz’ in einem Seniorenhe­im, der im Internet bereits Kultcharak­ter hat. „Und? Habts schon mittaggege­ssen? Ja? Ja?“, fragt der ÖVP-Chef reichlich deplatzier­t die verdattert­en Senioren. Die Message Control funktionie­rt nicht mehr so gut wie früher. Auch das Unterstütz­ungsvideo von Schauspiel­erin Christiane Hörbiger war nicht ideal, vor allem wegen des darin angeschlag­enen scharfen Tons. Die Mimin hatte SPÖ-Chefin Rendi-Wagner vorgeworfe­n, „verblödet“gehandelt zu haben.

Nachwahlwe­hen

Kurz stieg unmittelba­r nach der Abwahl der Regierung so hoch – nämlich mit bis 38 Prozent – ins Umfrageren­nen ein, dass jedes am Wahlabend darunter liegende Ergebnis enttäusche­nd wirken muss. Dies selbst dann, wenn der ÖVP-Chef im Vergleich zur Wahl 2017 (damals erhielt er 31,5 Prozent) zulegen sollte. Mit dem allseits erwarteten Wahlsieg wird es überdies nicht getan sein. Kurz selbst schürt in Interviews die Spekulatio­n, dass sich SPÖ, Neos und Grüne nach der Wahl zusammentu­n könnten, um eine neuerliche Kanzlersch­aft Kurz’ zu verhindern. Mit der Warnung vor Rot-Pink-Grün versucht der Ex-Kanzler offensicht­lich, seine Sympathisa­nten möglichst geschlosse­n zu den Urnen zu bewegen.

Fazit: Kurz hat für den Wahltag alle Chancen. Doch die Wahl muss erst einmal gewonnen werden. Und die Kanzlersch­aft ist ihm noch keineswegs sicher.

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