Kann Kurz noch scheitern?
Affären und Hoppalas: Kurz hat für den Wahltag alle Chancen. Doch die Wahl muss erst einmal gewonnen werden. Und die Kanzlerschaft ist ihm noch keineswegs sicher.
Klar, Sebastian Kurz ist Umfragekaiser. Derzeit sehen alle Wahlprognosen den ÖVP-Spitzenkandidaten als deutlichen Wahlsieger für den 29. September. Doch der Intensivwahlkampf geht noch über mehr als drei Wochen. Ein gar nicht so kleiner Teil der Wähler ist noch unentschlossen. Und die ÖVP ist seit geraumer Zeit mit Nachrichten konfrontiert, die nicht eben günstig für sie sind. Es handelt sich um Ungereimtheiten und schiefe Optik bei Parteispenden und Wahlkampfkosten, die die ÖVP nicht rechtlich, aber moralisch unter Druck bringen. Kann Kurz der bereits sicher geglaubte Sieg noch aus den Händen gleiten?
Affären
Nur wenige Stunden vor dem ORF„Sommergespräch“mit dem ExKanzler Montagabend ging ein Artikel der Wochenzeitung „Falter“über angebliche interne ÖVP-Dokumente online. Diese Papiere sollen belegen, wie die Türkisen die Wahlkampfkosten-Obergrenze von sieben Millionen Euro umgehen. Wodurch die ÖVP neuerlich die Kostenobergrenze sprengen würde. Offiziell veranschlagt hat Kurz’ Partei demnach nur 6,3 Millionen Euro für die Wahlkampf. Inoffiziell sollen jedoch rund neun Millionen für den Wahlkampf budgetiert worden sein. So seien die Ausgaben für Wahlkampfgeschenke, Videoproduktionen und die Kurz-Sommertour 2019 „Bergauf“nicht eingerechnet worden. Damit könne der Rechnungshof nicht die tatsächlichen Ausgaben kontrollieren. Kurz dementierte diese Vorwürfe bereits Montag im „Sommergespräch“. Am Dienstag legte die Partei nach: In einer Erklärung betonte sie, dass alles rechtskonform verlaufen sei und der „Falter“auf Unterlassung geklagt werde, weil er falsche Behauptungen aufgestellt habe. Was genau falsch ist, wollte man bei den Türkisen nicht sagen.
Die Affäre (die laut ÖVP eben keine ist) erwischte die Volkspartei ausgerechnet zu der Zeit, als sie den Dunst von Ibiza abschütteln konnte. Übergangskanzlerin Brigitte Bierlein hatte kürzlich die Zerstörung von fünf Festplatten durch einen Kurz-Mitarbeiter, die im Sommer viel Aufregung verursacht hatte, als rechtens erklärt. Nicht normal sei die Vorgangsweise gewesen: Der Kurz-Mitarbeiter hatte unter falschem Namen die Daten vernichten lassen. Gute Nachrichten für die ÖVP gab es auch von der Korruptionsstaatsanwaltschaft, die feststellte, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Ibiza-Affäre und „Schredder-Gate“gebe. Ermittelt wird noch wegen möglichen Betrugs sowie wegen möglicher Daten- und Sachbeschädigung. Doch aus Sicht der türkisen Parteistrategen ist wichtig, dass sie mit „Ibiza“zunächst nichts mehr zu tun haben.
Hoppalas
Die türkise PR-Maschine ist für ihre Professionalität bekannt. Nach amerikanischem Vorbild setzte man im Wahlkampf 2017 neue Maßstäbe, was die Inszenierung angeht. Das setzte sich in der türkisblauen Regierung fort. Der Auftritt war oft wichtiger als der Inhalt.
Doch seit dem Scheitern der Regierung ist Sand im Getriebe der Öffentlichkeitsarbeit. Man denke an den eigenartiger Auftritt Kurz’ bei einem fragwürdigen Prediger in der Wiener Stadthalle („God, we thank you so much for this man“) oder einen verunglückten Besuch Kurz’ in einem Seniorenheim, der im Internet bereits Kultcharakter hat. „Und? Habts schon mittaggegessen? Ja? Ja?“, fragt der ÖVP-Chef reichlich deplatziert die verdatterten Senioren. Die Message Control funktioniert nicht mehr so gut wie früher. Auch das Unterstützungsvideo von Schauspielerin Christiane Hörbiger war nicht ideal, vor allem wegen des darin angeschlagenen scharfen Tons. Die Mimin hatte SPÖ-Chefin Rendi-Wagner vorgeworfen, „verblödet“gehandelt zu haben.
Nachwahlwehen
Kurz stieg unmittelbar nach der Abwahl der Regierung so hoch – nämlich mit bis 38 Prozent – ins Umfragerennen ein, dass jedes am Wahlabend darunter liegende Ergebnis enttäuschend wirken muss. Dies selbst dann, wenn der ÖVP-Chef im Vergleich zur Wahl 2017 (damals erhielt er 31,5 Prozent) zulegen sollte. Mit dem allseits erwarteten Wahlsieg wird es überdies nicht getan sein. Kurz selbst schürt in Interviews die Spekulation, dass sich SPÖ, Neos und Grüne nach der Wahl zusammentun könnten, um eine neuerliche Kanzlerschaft Kurz’ zu verhindern. Mit der Warnung vor Rot-Pink-Grün versucht der Ex-Kanzler offensichtlich, seine Sympathisanten möglichst geschlossen zu den Urnen zu bewegen.
Fazit: Kurz hat für den Wahltag alle Chancen. Doch die Wahl muss erst einmal gewonnen werden. Und die Kanzlerschaft ist ihm noch keineswegs sicher.