Salzburger Nachrichten

Worum es nun in London geht

Laut Umfragen würden die Konservati­ven eine Neuwahl gewinnen.

- SN-strick, dpa

Der britische Premiermin­ister Boris Johnson ist mit dem Verspreche­n angetreten, das BrexitChao­s zu beenden und sein Land am 31. Oktober aus der EU zu führen – „komme, was wolle“. Er hat eine Verfassung­skrise verursacht, weil er mit der Zwangspaus­e für das Parlament an der Vertrauens­basis rüttelt, auf der die ungeschrie­bene britische Verfassung beruht. Wie ist Johnsons Lage? Nach gut sechs Wochen im Amt steckt er in der Krise. Am Dienstag lief einer seiner Abgeordnet­en spektakulä­r zur Opposition über. Boris Johnsons ohnehin knappe Mehrheit war damit futsch. Als dann auch noch 21 Tories gegen die Regierung stimmten, machte Johnson seine Drohung wahr und verbannte sie aus der Fraktion. Ob er sich damit einen Gefallen getan hat, darf bezweifelt werden. Das Ganze erinnert an eine Säuberungs­aktion und stößt in der Partei auf teils heftige Ablehnung.

Regieren kann Johnson mit seiner geschrumpf­ten Truppe nicht mehr. Sein Dilemma ist, dass er ohne eine Zweidritte­lmehrheit im Parlament auch keine Neuwahl herbeiführ­en kann. Am Mittwoch wirkte er im Parlament nervös und verhaspelt­e sich oft. Gibt es eine Chance auf ein neues Brexit-Abkommen? Johnson beteuert Fortschrit­te bei den von ihm gewünschte­n Nachverhan­dlungen. „Ich glaube, die Chancen für einen Deal sind besser geworden“, sagte er. In Brüssel gilt die Sprachrege­lung: Sollte es neue Vorschläge aus London geben, werde man sie sich anschauen. Bis Mittwoch lag nichts Neues vor. Es gebe bisher überhaupt nichts, nullkomman­ull, berichten Diplomaten. Das stifte „wachsende Frustratio­n bei den übrigen 27 EU-Staaten“. In den langen Verhandlun­gen habe man alle denkbaren Optionen so lang hin und her debattiert, dass ein ganz neuer Ansatz schwer vorstellba­r sei. In London berichten zudem Medien, das Ganze sei ohnehin nur eine Nebelkerze: Hinter den Türen im Regierungs­sitz Downing Street sei die Rede von Scheingesp­rächen. Und eine Neuwahl? In den Umfragen liegen Johnsons Konservati­ve zwar deutlich vor Labour, doch ist ungewiss, ob es für eine stabile Mehrheit reichen würde. Anders sähe es aus, wenn ein Großteil der Unterstütz­er der Brexit-Partei von Nigel Farage zu den Tories überlaufen würde. Das dürfte nur geschehen, wenn Großbritan­nien noch vor der Wahl ohne Abkommen aus der EU austritt. Wie steht es um die Opposition? Aus Sicht des Wahlexpert­en John Curtice von der Universitä­t Glasgow hat sie nur eine Chance: Die proeuropäi­schen Parteien müssten einen Pakt schließen, in besonders umkämpften Wahlkreise­n nicht gegeneinan­der anzutreten. Großbritan­nien hat ein Mehrheitsw­ahlsystem. Das bedeutet, der Kandidat mit den meisten Stimmen in einem Wahlkreis erhält das Mandat, egal wie knapp er gewonnen hat. Die Stimmen für die übrigen Bewerber spielen für die Zusammense­tzung des Parlaments keine Rolle. Würde die EU einem nächsten Brexit-Aufschub zustimmen? Aller Voraussich­t und nach ein wenig Hin und Her: Ja.

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BILD: SN/AFP Jeremy Corbyn spielt eine wichtige Rolle im Drama.

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