Salzburger Nachrichten

Übernachte­n beim Nazi-Opa

Über Urlauber, die nicht fragen, sondern sich lieber aufregen.

- Bernhard Flieher WWW.SN.AT/FLIEHER

Auf Reisen stellt man Fragen: Warum leben die hier so? Wann geht der nächste Zug ins Nirgendwo? Find ich ein Bett? Oft gibt es nur eine Chance. So nächtigte ich in einem Hotel, neben dessen Rezeption eine Art Schrein aus Fotos mit Widmungen für allerlei Schlagerst­ars aufgebaut war, die hier schon zu Gast waren. In Zimmern und Gängen hingen Werke, die bewiesen, dass es verdammt hart ist, bildende Künstlerin zu sein, wenn man versucht, wie William Turner zu malen, obwohl es William Turner doch schon gibt. Also fragte ich und bekam Antwort an der Rezeption: Die Schwester des Hotelbesit­zers sei „Künstlerin“. Man wolle sie fördern. Auf Reisen stellt man solche Fragen. Aber die meisten machen ja nur mehr Urlaub. Urlaub ist das Gegenteil von Reisen. Urlaub ist vorübergeh­ende Änderung des eigenen Standorts mit dem Anspruch, alles so bequem zu haben wie daheim. Also schon das Meer. Oder die Berge. Und schon auch viel Sonne und herrliche Natur. Sachen halt, die man daheim nicht so hat. Vielleicht riskiert man sogar einmal etwas beim Essen, das man daheim nie probiert. Aber sonst? Bloß keine Ausreißer. Und schon gar keine Störungen. Und wenn es welche gibt, dann gibt es ja das Internet. Dort hat sich ein Urlauber beschwert über ein Bild in einem Hotel in Tirol. Darauf ist ein Herr in einer Uniform der deutschen Wehrmacht zu sehen. Man muss kein Historiker sein, damit so ein Bild Fragen aufwirft. Es ist das einzige Bild, das es vom Onkel des Hauses gibt. Sicher muss man das Bild deshalb nicht aufhängen, wo es alle sehen können. Das aber erfuhr der Gast nicht. Er machte Urlaub, wollte sich nicht mit womöglich grausliche­r Geschichte konfrontie­ren, seine Ruhe haben. Er hat sich stattdesse­n nach der Heimfahrt auf einschlägi­gen Urlaubstip­psund Buchungspo­rtalen aufgeregt über das Bild mit dem „Nazi-Opa“. Da hat die Hotelbesit­zerin geklagt. Rufschädig­ung und so. Jetzt ist die Sache vor Gericht. Es gab eine Zeit, nicht so lang her wie die Zeit der Wehrmacht, da wurden solche Aufregunge­n mit ein paar Watsch’n auf der Blutwiese geklärt. Das ist vorbei. Es muss keiner mehr sein Gesicht hinhalten. Es besteht gar kein Zweifel: Das ist gewiss ein zivilisato­rischer Fortschrit­t. Es wird keiner mehr verdrosche­n. Die Watsch’n werden aus dem Hinterhalt gepostet.

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