Herausforderung Demografie
Die Bevölkerungsstruktur ändert sich
Wohnraum, Kosten, Größen, Erreichbarkeit: Viele dieser Faktoren spielen beim Thema Wohnen eine Rolle und werden immer wichtiger. Deshalb laufen derzeit auf verschiedenen Ebenen Diskussionen, wie, wo und auf welche Weise Wohnraum neu entstehen soll beziehungsweise wie man mit vorhandenen Flächen umgeht. Die „stille“Herausforderung liegt dabei in der Demografie. Denn es ist nicht nur der Zuzug in die größeren Ballungszentren, die diese vor riesige Aufgaben stellt, es ist auch die gravierende Veränderung innerhalb der Bevölkerungsstruktur, die völlig neue Lösungen erfordert.
„Österreich hat derzeit 8,9 Millionen Einwohner, Tendenz steigend“, sagte Wohnbauforscher Wolfgang Amann bei der Präsentation des „Österreichischen Wohnhandbuchs“anlässlich der St. Wolfganger Tage der Arge Eigenheim: „Bis 2050 wird diese Zahl auf 9,67 Millionen steigen.“Dem stehen 3,9 Millionen Haushalte gegenüber, in denen die Menschen wohnen. Diese Zahl dürfte bis zum Jahr 2050 4,5 Millionen erreichen.
Das sind für den Wohnungssektor noch die am einfachsten zu bewältigenden Zahlen. Allerdings: Bis 2050 wird auch die Zahl der älteren Menschen über 65 Jahre von derzeit rund 19 Prozent auf 27 Prozent steigen. Damit sind für die Wohnungswirtschaft schon wesentlich größere Herausforderungen verbunden. „Dem steht eine relativ stabile Entwicklung bei den unter 60-Jährigen gegenüber“, sagt Amann.
Ein weiterer starker Treiber der demografischen Dynamik ist die zunehmende Lebenserwartung, wobei sich die der Männer jener der Frauen annähert. Innerhalb von hundert Jahren hat sich die Lebenserwartung in Österreich fast verdoppelt und liegt bei 2018 Geborenen bei über 80 Jahren.
Es ist zudem mit einem Wandel in der Familienstruktur zu rechnen. „Ehepaare mit Kindern sind zwar nach wie vor die häufigste Familienform, allerdings lebt kaum noch jeder vierte Haushalt in Österreich in dieser traditionellen Struktur“, betont der Experte. Lebten 1971 nur rund 52.000 Paare, das entsprach rund drei Prozent aller Familien, ohne Trauschein in einem Haushalt zusammen, waren es 2018 fast 400.000 Paare oder 16 Prozent der Familien. Während seit 1971 die Zahl der Ehepaare mit Kindern im Sinken ist, steigt jene von Ehepaaren ohne Kinder kontinuierlich an. Interessant: Die Zahl der alleinerziehenden Elternteile hat sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten nur wenig verändert.
Was jedoch auf den Wohnungsmarkt besondere Auswirkungen hat, ist die Zahl der allein lebenden Menschen. Bis 2030 wird erwartet, dass Einpersonenhaushalte 39 Prozent aller Haushalte in Österreich ausmachen.
Konkret bedeutet das, dass derzeit in 1,45 Mill. Haushalten nur eine Person lebt, in 1,18 Mill. zwei, in 583.700 drei. 2050 könnten schon 1,84 Mill. Haushalte nur von einer Person bewohnt sein bei einer Gesamtzahl von 4,48 Millionen.
All das hat direkte Auswirkungen auf den Wohnmarkt und dessen zukünftige Struktur. Amann: „Der Bedarf an zusätzlichen Wohnungen entsteht nicht nur durch Bevölkerungswachstum, sondern auch durch die Verkleinerung der durchschnittlichen Haushaltsgrößen, Abriss oder Zusammenlegung von Wohnungen, steigende Leerstandsraten sowie ein geändertes Konsumverhalten, Stichwort: Zweitwohnsitz, Stichwort: Wohnung als Geldanlage.“
Für den Experten ergibt sich nach den vorliegenden Zahlen ein jährlicher Wohnungsbedarf von 55.000 neuen Einheiten. Das folgt einer Entwicklung, die es schon seit Jahrzehnten gibt. Seit den 1960er-Jahren hat sich der gesamte Wohnungsbestand in Österreich verdoppelt und liegt aktuell bei 4,65 Millionen, davon sind 3,91 Millionen Hauptwohnsitzwohnungen. Die Eigentumsquote in Österreich beträgt 54 Prozent, der Wert liegt deutlich unter dem europäischen Durchschnitt von 69 Prozent. Gleichzeitig ist der Mietsektor relativ stark, was vor allem auch auf die besondere Struktur in der Bundeshauptstadt Wien zurückzuführen ist. Übertraf bis in die 1990er-Jahre der Anteil privater Mietwohnungen noch jenen aus dem sozialen Wohnbau, so machen heute Mietwohnungen der gemeinnützigen Bauträger und kommunale Mietwohnungen einen Anteil von 24 Prozent des gesamten Wohnungsbestands aus.
Die Tätigkeit der Gemeinnützigen in Österreich habe also über Jahrzehnte einen dämpfenden Effekt auf den heimischen Wohnmarkt gehabt, sei es im Eigentum, sei es im Mietsektor, betont Christian Struber, Geschäftsführer der Salzburg Wohnbau und Obmann der Arge Eigenheim, eines Zusammenschlusses gemeinnütziger bürgerlicher Wohnbauvereinigungen: „Die Wohnkosten, egal ob Miete oder Eigentum, belasten einen durchschnittlichen Haushalt in Österreich monatlich mit 18 Prozent des Einkommens inklusive Betriebskosten.“Bei der Miete seien es 26 Prozent mit steigender Tendenz, beim Eigentum elf Prozent mit sinkender Tendenz. Auch hier liegt Österreich unter dem europäischen Durchschnitt von 22 Prozent.
Gerade beim Thema Miete gegenüber Eigentum sind in Österreich die politischen Fronten zwischen SPÖ und ÖVP aber seit Jahren verhärtet. Während die SPÖ vor allem auf Miete setzt, sind bei der ÖVP die Befürworter von Eigentum stärker vertreten. „Wer in Eigentum wohnt, ist von der steigenden Mietpreisentwicklung nicht betroffen“, sagt auch Struber: „Eigentum schützt außerdem vor Altersarmut und man kann der nächsten Generation etwas mitgeben.“Das ändere aber nichts an der Grundaufgabe aller Gemeinnützigen, günstigen Wohnraum für die Menschen zur Verfügung zu stellen, und zwar in beiden Varianten.
Dem Problem der günstigen Baugründe für neue Objekte könne man gerade in Ballungszentren wie Wien durchaus auch mit einem „Wohnhochhaus“begegnen, ergänzt Michael Pech, Aufsichtsratsvorsitzender des Österreichischen Verbands gemeinnütziger Bauvereinigungen (GBV): „Es ist natürlich begrüßenswert, wenn gerade Familien so wohnen können, dass die Kinder sozusagen die Bodenhaftung nicht verlieren. Aber gerade angesichts der Veränderung in der Wohnstruktur ist ein Wohnhochhaus durchaus zu überlegen.“Zielgruppen könnten junge Paare, Singles oder auch ältere Menschen sein. „Das Wohnhochhaus ist eine von mehreren Antworten auf die Liegenschaftsknappheit in den Ballungszentren und ist als vertikales Stadtquartier zu verstehen. Durch den Bau von Hochhäusern kann ein wesentlicher Faktor für die Lebensqualität einer Stadt sowie der Grün- und Freiraum erhalten werden“, betont Pech.
Wohnen erfordert 18 Prozent des Haushaltseinkommens. Christian Struber, Arge Eigenheim Die Zahl der über 65-Jährigen steigt bis 2050 auf 27 Prozent. Wolfgang Amann, Wohnforscher