Umfragen zur Wahl ist nicht zu trauen
Der Wahlkampf bleibt turbulent, doch die Umfragen sind stabil. Entschieden ist noch nichts.
Ein kleiner Auszug dieses Wahlkampf-Wochenendes: Die nicht amtsführende Wiener Stadträtin Ursula Stenzel (FPÖ) hält vor Identitären eine Rede, alle Parteien mit Ausnahme der ihren rufen nach Rücktritt. Eine autorisierte und sehr schmeichelhafte Biografie über Sebastian Kurz bringt ihm Häme ein. FPÖ-Chef Norbert Hofer will das Rauchverbot wieder kippen, und Werner Kogler verspricht, dass die Steuerlast mit Grün nicht steigt.
Es ist wohl keine gewagte Prognose: Auch diese Ausrutscher und Ankündigungen werden kaum Bewegung in die Wahlumfragen bringen. Denn seit Monaten zeichnen diese ein sich kaum veränderndes Bild: Die ÖVP wird demnach bei der Nationalratswahl weit vorn liegen, FPÖ und SPÖ werden sich um Platz zwei matchen, die Grünen wieder ins Parlament einziehen, die Neos ein achtbares Resultat einfahren, die Liste Jetzt wird aus dem Nationalrat fliegen. Doch es sind nicht nur die Parteien, die warnen, dass schon alles klar sei. Es sind die Umfrage-Profis. Denn wie Hillary Clinton, das BrexitReferendum oder die erste Runde der Bundespräsidentenwahl in Österreich gezeigt haben, sind Umfrageergebnisse keine Wahlresultate. Warum es nicht genauer geht? Nicht zuletzt deshalb, weil die meisten der rund sechs Millionen Wahlberechtigten noch gar nicht entschieden haben, wem sie in drei Wochen ihre Stimme geben.
WIEN. Die PR-Abteilungen der politischen Parteien bewegen sich wenige Wochen vor der Wahl auf einem schmalen Grat, was Wahlumfragen angeht. Einerseits will man stark und siegessicher wirken. Andererseits will man sich auch nicht zu selbstsicher geben, sonst – so die Sorge – würden die Wähler vielleicht zu Hause bleiben.
Immer wieder hört man deshalb aus den Parteien, dass die angestrebte Platzierung gar nicht so sicher sei – allen voran von der ÖVP, die mit ihrem Spitzenkandidaten Sebastian Kurz als Favorit in die Nationalratswahl geht. Doch auch Grünen-Chef Werner Kogler betont – trotz ausgezeichneter Chancen, wieder in den Nationalrat zu kommen – immer wieder, dass die Wahl noch nicht geschlagen sei.
Für die Meinungsforscherin Eva Zeglovits vom Institut IFES beruht diese Taktik jedoch auf einem Bauchgefühl und weniger auf Fakten. Denn die Frage, welchen Mobilisierungseffekt Umfragen haben können, ist schwierig zu beantworten. „Es wird vermutet, dass der Effekt nicht so groß ist, wie oft angenommen wird“, sagt die Meinungsforscherin. Warum? „Weil eine solche Mobilisierung vor allem strategische Wähler betreffen würde.“Strategisches Wählen bedeutet zum Beispiel: Jemand würde eigentlich A seine Stimme geben, wählt aber B, um C zu verhindern. „Dazu müsste man sich aber schon sehr intensiv mit Politik auseinandersetzen.“
Derzeit schaut die politische Großwetterlage laut Umfragen jedenfalls so aus: Die ÖVP liegt seit Monaten unangefochten mit etwa 35 Prozent Stimmenanteil an der Spitze. Es folgen – mit großem Abstand – SPÖ und FPÖ, die je um die 20 Prozent liegen. Wobei die spannende Frage ist: Welche der beiden Parteien macht das Rennen um Platz zwei? Dann kommen laut Meinungsforschern die Grünen, die bei elf, zwölf Prozent stehen. Gefolgt von den Neos, denen acht bis neun Prozent zugetraut werden. Abgeschlagen und offenbar ohne Chance auf einen Wiedereinzug in den Nationalrat liegt die Liste Pilz. Hier sieht Zeglovits auch den einzigen Mobilisierungseffekt, den Umfragen tatsächlich bewirken können. Sie nennt es den „Fallbeileffekt“. Was martialisch klingt, ist vor allem für kleine politische Bewegungen ein Riesenproblem: „Wenn über Parteien ständig geschrieben wird, dass sie nicht reinkommen, wollen die Wähler ihre Stimme nicht an sie verschwenden und machen woanders ihr Kreuz.“Diesen Effekt sieht sie stärker als einen möglichen Solidarisierungseffekt.
Wobei es auch Ausnahmen gibt. „Das hat sich nach der Nationalratswahl 2017 beim Ausscheiden der Grünen gezeigt. Hätten die Grünen gesagt, dass sie womöglich rausfliegen, wären sie vermutlich im Parlament geblieben“, sagt Zeglovits. Viele Wähler hätten es für wichtig befunden, dass sie weiterhin im Nationalrat vertreten sind.
Aber kann es sein, dass das Wahlergebnis am Wahlabend dennoch komplett anders aussieht, als es die Umfragen derzeit glauben machen? Das sei undenkbar, sagt OGM-Chef Wolfgang Bachmayer. Auch deshalb, weil man ja auch zuletzt bei der EU-Wahl bei der Reihung der Parteien ziemlich richtig gelegen sei und die Daten bereits seit Monaten in eine Richtung zeigen würden. Für Bachmayer ist der Wahlkampf auch „der langweiligste“seit Langem. „Es gibt ja nicht einmal ein Kanzlerduell“, sagt er.
Fest steht aber, dass sich auch die Meinungsforscher irren können. Mitunter sogar sehr. Als jüngstes Waterloo für die Branche gilt die erste Runde der Bundespräsidentschaftswahl im April 2016: In den letzten großen Umfragen kurz vor der Wahl war Alexander Van der
„Sechs Millionen Wähler treffen individuelle Entscheidung.“Eva Zeglovits, Meinungsforscherin
Bellen vorn gewesen – dicht gefolgt von Norbert Hofer. Am Wahlabend war dann aber FPÖ-Kandidat Hofer der große Wahlsieger – und zwar mit einem Riesenvorsprung zum zweitplatzierten Van der Bellen. Hofer erhielt 35 Prozent der Wählerstimmen, während der einstige Grünen-Chef und nunmehrige Bundespräsident im ersten Durchgang bei 21 Prozent lag.
Nicht so dramatisch, aber ähnlich war es beim „Duell um Wien“, das bei der Wien-Wahl 2015 nicht nur von den Parteien ausgerufen worden war, um ihre Wähler zu mobilisieren. Auch die meisten Umfragen sahen damals ein Kopf-anKopf-Rennen zwischen dem amtierenden roten Bürgermeister Michael Häupl und Wiens FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Davon war am Wahlabend aber keine Spur: Fast zehn Prozentpunkte lagen zwischen der erstplatzierten SPÖ und der FPÖ. Zumindest in dem Fall konnten die Sozialdemokraten durch das Narrativ „Kampf um Wien“gestützt durch Umfragedaten aber sehr wohl mobilisieren – und auch potenzielle Wähler anderer Parteien abspenstig machen.
Aus den Fehlern von damals, vor allem beim ersten Durchgang der Hofburgwahl, hat man jedenfalls gelernt: „Die Branche hat begriffen, dass man verschiedene Menschen unterschiedlich gut erreicht. Also müssen wir einen Methoden-Mix anwenden“, sagt Zeglovits. „Per Online-Umfrage klammere ich etwa ältere Wähler aus, bei Telefonumfragen Jüngere.“Die Kriterien seien schlicht besser geworden.
Wolfgang Bachmayer betont auch, dass man angesichts des ersten Durchgangs der Hofburgwahl, der „unangenehm für die gesamte Meinungsforschung“gewesen sei, sagen müsse, dass Persönlichkeitswahlkämpfe stets schwieriger einzuschätzen seien als Nationalratswahlkämpfe. Denn da könne man auch abfragen, welche Partei wer zuletzt gewählt habe, und das sei schon eine gute Grundlage. Bei der Hofburgwahl habe man das nicht.
Die Frage, wer wo das berühmte Kreuzerl macht, ist jedenfalls immer ein Blick in die Glaskugel, der mit Vorsicht zu genießen ist. Eva Zeglovits sagt: „Wir müssen immer bedenken, dass in drei Wochen rund sechs Millionen Menschen eine individuelle Entscheidung treffen. Bis dahin kann sich noch viel tun.“Die Meinungsumfragen seien immer Momentaufnahmen und viele Wähler noch unentschlossen. „Zweiter Aspekt neben dem Zeitpunkt ist immer die Schwankungsbreite. Wen habe ich befragt, wen kann ich überhaupt befragen?“, sagt Zeglovits. „Die Diskussionen über einen Prozentpunkt rauf oder runter bei der Sonntagsfrage sind jedenfalls nicht seriös. Die Schwankungsbreite ist einfach zu groß.“
Neben den Umfragen selbst sei auch deren Interpretation wichtig. „Auch die Medien sollten sich seriöser damit beschäftigen. Aber aus der Erkenntnis, Partei X könnte 32 Prozent, aber vielleicht auch 38 Prozent bekommen, lässt sich nur schwer eine Schlagzeile machen“, sagt sie.