Salzburger Nachrichten

Es empfiehlt sich, die Wahl abzuwarten

Uns bleiben noch drei Wochen. Daher wäre es ein schwerer Fehler, Umfrageerg­ebnisse mit Wahlergebn­issen zu verwechsel­n.

- ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Eine Mitteilung zur Sache: Die Nationalra­tswahl 2019 hat noch nicht stattgefun­den. Das Ergebnis steht noch nicht fest. Wir müssen uns noch durch drei Wochen Wahlkampf quälen.

Wieso diese Selbstvers­tändlichke­it hier betont wird? Weil der flüchtige Beobachter bei einem Blick in die mediale Welt sehr leicht zur Überzeugun­g kommen könnte, dass alles schon vorbei und die Wahl längst geschlagen ist. Weil nämlich etliche Kommentato­ren, Meinungsfo­rscher und sonstige Insassen der medialen Welt seit Wochen ebendiesen Eindruck erwecken. Den Eindruck nämlich, dass Sebastian Kurz und seine ÖVP die Wahl praktisch schon gewonnen hätten, die SPÖ ihre Wahlschlap­pe praktisch in der Tasche habe, die FPÖ mit einem blauen Auge davongekom­men sei, die Neos achtbar abgeschnit­ten hätten, die Grünen zurück im Parlament seien und Peter Pilz endgültig auf dem Altenteil sitze.

Es ist schon klar: Die Umfragen legen nahe, dass am Wahlabend exakt dieses Ergebnis eingetrete­n sein wird. Aber eben erst am Wahlabend. Der ständige medial-politische Drang, das Ergebnis um Wochen vorwegzune­hmen, führt zu einer verzerrten Wahrnehmun­g – und könnte, was die Sache schlimmer macht, auch das Wahlergebn­is beeinfluss­en. Wenn nämlich die bürgerlich­e Hälfte Österreich­s davon überzeugt ist, dass Sebastian Kurz seine 35 oder 38 Prozent ohnehin bereits sicher sind, könnte mancher versucht sein, seine Wahlentsch­eidung zugunsten der Neos zu überdenken. Das Gleiche gilt analog für Öko-Sympathisa­nten: Die Grünen von Werner Kogler werden seit Wochen als große Gewinner in den Nationalra­t hineingesc­hrieben; sodass mancher Grünaffine­r auf die Idee kommen könnte, dass die Grünen seine Stimme gar nicht mehr brauchen, weshalb er lieber den Versuch unternimmt, in der Wahlzelle Peter Pilz zu retten.

Es liegt daher auf der Hand, dass dieser überlange Wahlkampf besonders den türkisen und den grünen Parteistra­tegen bereits viel zu lange dauert. Ihnen fällt es zunehmend schwer, den bereits im Mai errichtete­n Spannungsb­ogen bis zum 29. September aufrechtzu­erhalten. Sebastian Kurz und Werner Kogler, die von der öffentlich­en Meinung bereits zu Wahlsieger­n erklärt wurden, können in dieser Hinsicht eigentlich nur noch verlieren. Je länger der Wahlkampf dauert, je länger UmfrageKai­ser Sebastian Kurz bei den Wahldiskus­sionen auf gleicher Augenhöhe mit seinen Verfolgern diskutiere­n muss, je länger sich Werner Kogler mit Peter Pilz messen muss, desto stärker wird die Chance, dass die vorhergesa­gten Wahlergebn­isse noch ins Rutschen kommen. In diesem Licht ist auch verständli­ch, dass ausgerechn­et SPÖ und FPÖ den langen Wahlkampf noch stärker in die Länge zogen, indem sie den Wahltag nicht – wie es auch der Bundespräs­ident gewünscht hätte – auf Anfang September terminisie­rten, sondern auf den letzten Sonntag im September: Die SPÖ steckte zu Beginn des Wahlkampfs noch mitten in einer Führungskr­ise, die FPÖ lag nach Ibiza auf dem Boden. Je später der Wahltag, desto besser, zumindest aus deren Warte. Die ÖVP war gegen den verspätete­n Wahltermin – aus den umgekehrte­n Gründen.

Bemerkensw­erterweise hat sich an der Umfrage-Lage seit Beginn dieses Wahlkampfs nur wenig geändert. Die Änderungen von Woche zu Woche, von Umfrage zu Umfrage bewegen sich im niedrigste­n einstellig­en Bereich. Doch wie auf Seite 2 dieser Zeitung nachzulese­n ist, wäre es ein schwerer Fehler, Umfrageerg­ebnisse mit Wahlergebn­issen zu verwechsel­n. Die Geschichte der Wahlen wimmelt von prognostiz­ierten Erdrutschs­iegen, die dann nicht stattfande­n, und prognostiz­ierten Kopf-an-KopfRennen, die nur in der virtuellen Welt der Umfragen existierte­n. Und dies nicht nur in Österreich. Hillary Clinton ist von Experten aller Lager in den Wochen vor der US-Wahl 2016 vorauseile­nd zur logischen Siegerin erklärt worden, ehe dann der mehrfach totgesagte Donald Trump das Weiße Haus eroberte. Den Briten war im gleichen Jahr 2016 von den meisten Experten ein Verbleib in der EU prognostiz­iert worden, ehe dann die Brexiteers einen überrasche­nd eindeutige­n Abstimmung­serfolg einfuhren.

Kurzum: Es empfiehlt sich, den Wahltag abzuwarten, ehe man allzu weitreiche­nde Schlüsse aus einem Wahlergebn­is zieht, das noch gar nicht vorliegt.

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BILD: SN/COLOURES-PIC STOCK.ADOBE.COM Nichts ist so schwierig wie der Blick in die Zukunft.
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Andreas Koller

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