Austausch von Gefangenen nährt Hoffnungen
Russland und die Ukraine setzten einen symbolträchtigen Akt. Nicht alle sind zufrieden.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kämpfte mit den Tränen, Samstag auf dem Rollfeld des Kiewer Flughafens Boryspil. Es war sein großer Augenblick für sein Land, dem er bei seiner Wahl im April versprochen hatte, Gefangene freizubekommen. Vor allem die 24 Marinesoldaten, die im November 2018 vor der von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim wegen Grenzverletzung von Russland festgesetzt worden waren. Symbolträchtiger ist die Rückkehr von Filmregisseur Oleg Senzow, der in einem fragwürdigen Verfahren wegen angeblichen Terrorismus zu 20 Jahren schwerer Lagerhaft verurteilt worden war und in ein Lager am Polarkreis gesteckt wurde.
Insgesamt 35 von Russland freigelassene Gefangene waren in Kiew nach und nach aus dem Flugzeug gestiegen. Selenskyj hatte jedem die Hand gegeben, fast alle umarmt. Kinder waren zu ihren Vätern gerannt, die sie teils fünf Jahre lang nicht gesehen hatten, lang hielten Männer ihre Frauen, Töchter, Mütter im Arm.
Inzwischen war auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo ein Flugzeug aus Kiew gelandet. 35 aus der Ukraine freigelassene Gefangene waren an Bord. Das Empfangskomitee fiel hier nüchterner aus. Die Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa begrüßte die Freigelassenen, Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte später, man freue sich, dass russische Bürger heimgekehrt seien. Namen nannte er nicht.
Brisant war vor allem die Überstellung von Wladimir Zemach. Seinetwegen verzögerte sich der Austausch, der für 30. August geplant gewesen war. Mehrere russische und ukrainische Medien hatten berichtet, dass die Russen seinen Namen erst vor Kurzem auf die Liste gesetzt hatten.
Mit der Freilassung Zemachs ging der ukrainische Präsident einen schweren Kompromiss ein. Der einstige Luftabwehrkommandant der Aufständischen im Donbass gilt als wichtiger Zeuge, wenn nicht gar als Verdächtiger für den Abschuss der malaysischen Passagiermaschine MH17 in der Ostukraine im Sommer 2014, bei dem alle 298 Passagiere, in der Mehrzahl Niederländer, getötet wurden. Der Rebellenführer soll damals das Kommando über die Luftabwehr gehabt haben und beim Abtransport des Buk-Geschützes beteiligt gewesen sein. Vor allem in den Niederlanden hatte die Freilassung Zemachs für schwere Bedenken gesorgt. Selenskyj hatte sich dennoch auf die „komplizierte Angelegenheit“eingelassen und feierte so seinen ersten außenpolitischen Erfolg. Zuvor hatten niederländische Ermittler Zemach noch befragen können.
Der Austausch ist ein symbolträchtiger wie politischer Schritt im schwer zerrütteten Verhältnis zwischen den beiden Nachbarn. Selenskyj zeigt damit, dass er – im Gegensatz zu seinem stets martialisch auftretenden Vorgänger Petro Poroschenko – tatsächlich etwas bewirken kann. Russland dagegen sucht nach Wegen, um aus der politischen Isolation herauszukommen.