Unterwegs auf eigene Faust
„Lillian“, das Spielfilmdebüt des Salzburgers Andreas Horvath, handelt von einer großen Reise.
In den 1920er-Jahren entschied sich die osteuropäische Einwanderin Lillian Alling, aus New York nach Russland heimzukehren, doch sie konnte sich kein Schiffsticket leisten. Also wollte sie zu Fuß nach Sibirien gehen, quer durch die USA und Kanada, weiter über die Beringstraße. Ob ihr die Rückkehr gelungen ist, ist unbekannt, ihre Spur verliert sich irgendwann.
Ihre Wanderung war Anlass für den Film „Lillian“, mit dem der Salzburger Dokumentarfilmregisseur Andreas Horvath sein Spielfilmdebüt vorlegt. Er verlegt Lillians Reise in die Gegenwart. Im Mai feierte „Lillian“in Cannes Weltpremiere, nun läuft der Film im Kino. SN: Wie wurde die historische Figur der Lillian Alling Anlass für Ihren ersten Spielfilm? Andreas Horvath: Ich hab vor fünfzehn Jahren zufällig von dieser Geschichte gehört und war sofort fasziniert. Für einen Film hat mich weniger interessiert, der wahren Geschichte auf den Grund zu gehen, sondern etwas Eigenes zu machen. Es hat dann lang gedauert, bis wir das finanzieren konnten. SN: Wie haben Sie die Route gelegt? Haben Sie chronologisch gearbeitet? Die Route im Film geht länger durch die USA als bei der historischen Lillian. Die ist früher schon nach Kanada, einfach diagonal gegangen. Aber ich denke, dass die USA für uns Europäer und wahrscheinlich auch für die Amerikaner interessanter sind, ich wollte Mount Rushmore im Film, die Deadlands, die Black Hills. Im Film geht sie also länger Richtung Westen und dann erst in den Norden. Das haben wir weitgehend chronologisch gedreht, neun Monate lang. Wir haben im Februar in New York begonnen und in Alaska im November aufgehört. Die Jahreszeiten spielen auch eine wesentliche Rolle, wir konnten also nicht zurückfahren, um etwas nachzudrehen. SN: Das Motiv der Reise quer durch die USA ist in Literatur und Film oft Anlass für ein zeitgenössisches Porträt des Landes, ob bei Jack Kerouacs „On the Road“oder Ruth Beckermanns „American Passages“. Haben Sie Vorbilder mitgedacht? „American Passages“kenne ich gar nicht. Es sind vor allem Filme aus den Siebzigerjahren, die mich beeinflusst haben, etwa Nicolas Roegs „Walkabout“, wo zwei Geschwisterkinder in der australischen Wüste auf sich allein gestellt sind, auch da ist die Reise das Entscheidende und nicht der Anlass. Es gibt auch Gemeinsamkeiten mit „Wanda“von Barbara Loden und mit Haskell Wexlers „Medium Cool“, der hat eine Sequenz mit seiner Figur zur Zeit der Studentenproteste in Chicago während der Unruhen gefilmt, so wie wir das gemacht haben, wie wir am 4. Juli eine Parade ausgenutzt haben – und unsere Geschichte dabei weitererzählt. SN: Wie sehr haben Sie die aktuelle Wirklichkeit und den Zufall in „Lillian“zugelassen? Das ist Ihnen ja von Ihrer Arbeit als Dokumentarfilmer vertraut. Sehr, ich wusste ursprünglich nicht, dass wir nach Wisconsin kommen werden; dort haben wir eben den 4. Juli gedreht. Ich wusste nicht, dass es über den Mississippi eine Fähre gibt, ursprünglich hätte das eine Brücke sein sollen. Ich hatte immer zwei, drei Wochen, bevor das Team wiedergekommen ist, und in der Zeit hab ich recherchiert, mit der lokalen Bevölkerung geredet, solche Sachen herausgefunden. Einen Abstecher haben wir relativ kurzfristig nach North Dakota gemacht, weil sich zu der Zeit die Standing-Rock-Proteste (gegen den Bau einer Ölpipeline durch Lakota-Gebiet, Anm.) erhitzt hatten, und die wollte ich im Film haben. SN: Hat Ihre Hauptdarstellerin Patrycja Płanik an der Figur mitgearbeitet? Ja, viel mehr als ursprünglich gedacht. Wir sind auch zu zweit gereist, wenn das Team nicht da war, nicht beim ersten Block, aber dann immer mehr. Sie hat sich beim Kostüm eingebracht, wenn wir irgendwo hingekommen sind und das Equipment aufgebaut haben, ist sie als Erste aus dem Auto gesprungen, in den Wald gelaufen und ist mit irgendeiner Feder im Haar zurückgekommen. Sie ist viel mehr als eine Schauspielerin, sie ist ja selbst Filmemacherin und Fotografin. SN: Ab wann war Ulrich Seidl als Filmproduzent involviert? Ein Produzent aus Kanada wollte das lange machen, die Navigator Film hat es auch probiert, aber das ganze Budget ist nie zustande gekommen. Und dann hab ich beim Heimatfilmfestival in Freistadt einen Produzenten aus Litauen kennengelernt, der den Film machen wollte. Er hat mir aber gesagt: „Wir brauchen unbedingt einen österreichischen Koproduzenten“– und da hab ich Ulrich Seidl genannt, mit dem ich gern zusammenarbeiten würde, damals noch ohne zu wissen, ob er überhaupt Filme anderer Leute produziert. Aber drei Tage nach unserer Anfrage hat Seidl mich angerufen und gesagt, er möchte mich gern kennenlernen. Er hat mir dann gesagt: „Sie wissen, was Sie wollen. Ich werde das Geld aufstellen.“Und so war es auch, er hat sich nicht eingemischt.