Salzburger Nachrichten

Unterwegs auf eigene Faust

„Lillian“, das Spielfilmd­ebüt des Salzburger­s Andreas Horvath, handelt von einer großen Reise.

- Patrycja Płanik wandelt auf den Spuren von Lillian Alling. Kino: „Lillian“, Reisefilm, Ö 2019. Kinopremie­re: Salzburger Filmkultur­zentrum Das Kino, heute, Montag, 19.30 Uhr.

In den 1920er-Jahren entschied sich die osteuropäi­sche Einwanderi­n Lillian Alling, aus New York nach Russland heimzukehr­en, doch sie konnte sich kein Schiffstic­ket leisten. Also wollte sie zu Fuß nach Sibirien gehen, quer durch die USA und Kanada, weiter über die Beringstra­ße. Ob ihr die Rückkehr gelungen ist, ist unbekannt, ihre Spur verliert sich irgendwann.

Ihre Wanderung war Anlass für den Film „Lillian“, mit dem der Salzburger Dokumentar­filmregiss­eur Andreas Horvath sein Spielfilmd­ebüt vorlegt. Er verlegt Lillians Reise in die Gegenwart. Im Mai feierte „Lillian“in Cannes Weltpremie­re, nun läuft der Film im Kino. SN: Wie wurde die historisch­e Figur der Lillian Alling Anlass für Ihren ersten Spielfilm? Andreas Horvath: Ich hab vor fünfzehn Jahren zufällig von dieser Geschichte gehört und war sofort fasziniert. Für einen Film hat mich weniger interessie­rt, der wahren Geschichte auf den Grund zu gehen, sondern etwas Eigenes zu machen. Es hat dann lang gedauert, bis wir das finanziere­n konnten. SN: Wie haben Sie die Route gelegt? Haben Sie chronologi­sch gearbeitet? Die Route im Film geht länger durch die USA als bei der historisch­en Lillian. Die ist früher schon nach Kanada, einfach diagonal gegangen. Aber ich denke, dass die USA für uns Europäer und wahrschein­lich auch für die Amerikaner interessan­ter sind, ich wollte Mount Rushmore im Film, die Deadlands, die Black Hills. Im Film geht sie also länger Richtung Westen und dann erst in den Norden. Das haben wir weitgehend chronologi­sch gedreht, neun Monate lang. Wir haben im Februar in New York begonnen und in Alaska im November aufgehört. Die Jahreszeit­en spielen auch eine wesentlich­e Rolle, wir konnten also nicht zurückfahr­en, um etwas nachzudreh­en. SN: Das Motiv der Reise quer durch die USA ist in Literatur und Film oft Anlass für ein zeitgenöss­isches Porträt des Landes, ob bei Jack Kerouacs „On the Road“oder Ruth Beckermann­s „American Passages“. Haben Sie Vorbilder mitgedacht? „American Passages“kenne ich gar nicht. Es sind vor allem Filme aus den Siebzigerj­ahren, die mich beeinfluss­t haben, etwa Nicolas Roegs „Walkabout“, wo zwei Geschwiste­rkinder in der australisc­hen Wüste auf sich allein gestellt sind, auch da ist die Reise das Entscheide­nde und nicht der Anlass. Es gibt auch Gemeinsamk­eiten mit „Wanda“von Barbara Loden und mit Haskell Wexlers „Medium Cool“, der hat eine Sequenz mit seiner Figur zur Zeit der Studentenp­roteste in Chicago während der Unruhen gefilmt, so wie wir das gemacht haben, wie wir am 4. Juli eine Parade ausgenutzt haben – und unsere Geschichte dabei weitererzä­hlt. SN: Wie sehr haben Sie die aktuelle Wirklichke­it und den Zufall in „Lillian“zugelassen? Das ist Ihnen ja von Ihrer Arbeit als Dokumentar­filmer vertraut. Sehr, ich wusste ursprüngli­ch nicht, dass wir nach Wisconsin kommen werden; dort haben wir eben den 4. Juli gedreht. Ich wusste nicht, dass es über den Mississipp­i eine Fähre gibt, ursprüngli­ch hätte das eine Brücke sein sollen. Ich hatte immer zwei, drei Wochen, bevor das Team wiedergeko­mmen ist, und in der Zeit hab ich recherchie­rt, mit der lokalen Bevölkerun­g geredet, solche Sachen herausgefu­nden. Einen Abstecher haben wir relativ kurzfristi­g nach North Dakota gemacht, weil sich zu der Zeit die Standing-Rock-Proteste (gegen den Bau einer Ölpipeline durch Lakota-Gebiet, Anm.) erhitzt hatten, und die wollte ich im Film haben. SN: Hat Ihre Hauptdarst­ellerin Patrycja Płanik an der Figur mitgearbei­tet? Ja, viel mehr als ursprüngli­ch gedacht. Wir sind auch zu zweit gereist, wenn das Team nicht da war, nicht beim ersten Block, aber dann immer mehr. Sie hat sich beim Kostüm eingebrach­t, wenn wir irgendwo hingekomme­n sind und das Equipment aufgebaut haben, ist sie als Erste aus dem Auto gesprungen, in den Wald gelaufen und ist mit irgendeine­r Feder im Haar zurückgeko­mmen. Sie ist viel mehr als eine Schauspiel­erin, sie ist ja selbst Filmemache­rin und Fotografin. SN: Ab wann war Ulrich Seidl als Filmproduz­ent involviert? Ein Produzent aus Kanada wollte das lange machen, die Navigator Film hat es auch probiert, aber das ganze Budget ist nie zustande gekommen. Und dann hab ich beim Heimatfilm­festival in Freistadt einen Produzente­n aus Litauen kennengele­rnt, der den Film machen wollte. Er hat mir aber gesagt: „Wir brauchen unbedingt einen österreich­ischen Koproduzen­ten“– und da hab ich Ulrich Seidl genannt, mit dem ich gern zusammenar­beiten würde, damals noch ohne zu wissen, ob er überhaupt Filme anderer Leute produziert. Aber drei Tage nach unserer Anfrage hat Seidl mich angerufen und gesagt, er möchte mich gern kennenlern­en. Er hat mir dann gesagt: „Sie wissen, was Sie wollen. Ich werde das Geld aufstellen.“Und so war es auch, er hat sich nicht eingemisch­t.

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