Salzburger Nachrichten

Strauss-Forscher steuern Salzburg an

Die Richard-Strauss-Gesellscha­ft hat ihren Sitz von Wien nach Salzburg verlegt. Hier soll ein Netzwerk entstehen.

- Matthew Werley, Strauss-Forscher

SALZBURG. 1964 ist ein kulturpoli­tisches heißes Jahr in Österreich. Herbert von Karajan legt nach zahlreiche­n Disputen seine Ämter an der Wiener Staatsoper zurück. In Salzburg könnte er eine neue Heimat für seine musikalisc­hen Visionen finden. Mit Spannung verfolgt die Musikwelt die Salzburger Festspiele, die ganz im Zeichen des 100. Geburtstag­s von FestspielG­ründervate­r Richard Strauss stehen – mit einem reinen Strauss-Programm der Wiener Philharmon­iker unter Karajans Leitung als abschließe­nder Höhepunkt.

Oswald Panagl entführt die Zuhörer in die spannungsg­eladene Stimmung dieses Sommers, der aus heutiger Sicht eine Zeitenwend­e darstellt. Unter den Strauss-Jubiläen seien „die 64er-Festspiele die stärksten“gewesen, führt der Musikwisse­nschafter aus. Am Ende dieses Sommers steht die Berufung Karajans in das Festspiel-Direktoriu­m. Eine neue Ära beginnt.

Richard Strauss und Herbert von Karajan, diese Beziehung stand am Wochenende im Zentrum einer wissenscha­ftlichen Tagung an der Universitä­t Salzburg. Ein Leben lang habe sich der Dirigent mit der Musik des Festspiel-Gründervat­ers beschäftig­t, sagte Matthias Röder vom Karajan-Institut: „Richard Strauss war sehr wichtig für Herbert von Karajan, und beide waren wichtig für Salzburg.“Dominique Šedivý vom Richard-Strauss-Institut Garmisch-Partenkirc­hen zitierte einen Strauss-Enkel mit den Worten: „Was Bayreuth für Wagner, das ist Salzburg für Strauss.“

Das Treffen internatio­naler Strauss-Forscher bildete die erste Veranstalt­ung der Richard-StraussGes­ellschaft an ihrem neuen Hauptsitz Salzburg. „Richard Strauss hat mit Salzburg gleich viel zu tun wie mit Wien“, sagt Präsident Oswald Panagl. Während der Komponist in Wien als Staatsoper­ndirektor fungierte, hatte er in Salzburg großen Anteil an der Gründung der Salzburger Festspiele. Die „geradezu ideale“Zusammenar­beit mit den Festspiele­n sei laut Panagl auch ein Grund des Ortswechse­ls der Gesellscha­ft gewesen. Die 1952 gegründete Institutio­n wird nunmehr von einer Doppelspit­ze geführt: Oswald Panagl als Präsident sowie Matthew Werley als Generalsek­retär. Werley ist ein bedeutende­r Strauss-Forscher, der unter anderem eine Übersetzun­g des Briefwechs­els zwischen Richard Strauss und Stefan Zweig in englischer Sprache veröffentl­icht hat. Die Arbeit am Buch führte Werley auch nach Salzburg, mittlerwei­le unterricht­et er an der Universitä­t Salzburg. Der Musikologe sucht den Kontakt zur StefanZwei­g-Gesellscha­ft, auch das Salzburger Landesthea­ter und die Universitä­t Mozarteum sind neu in die Richard-Strauss-Gesellscha­ft eingetrete­n. In Salzburg solle ein Netzwerk entstehen, das auch die weiteren zentralen Wirkungsst­ätten des Komponiste­n miteinbind­e: „Salzburg ist geografisc­h gesehen in der Mitte zwischen München, Garmisch und Wien.“Als Zeichen wachsenden Interesses könne zudem gewertet werden, dass die Richard-Strauss-Gesellscha­ft am neuen Standort rasch auf 150 Mitglieder angewachse­n sei.

Viele davon kamen am Wochenende in den Genuss einer breiten Vielfalt an Vorträgen von Musikologe­n aus aller Welt. Neben der Zeitreise Oswald Panagls in den Festspiel-Sommer 1964 prägten Interpreta­tionsvergl­eiche und Aufnahmean­alysen das Vortragspr­ogramm: So nahm sich Peter Revers von der Kunstunive­rsität Graz wenigen Takten von „Im Abendrot“aus den „Vier letzten Liedern“an. Karajan erwies sich zwischen den Polen der raschesten Lesart von Sir Georg Solti und dem extrem gedrosselt­en Tempo eines Christian Thielemann im Mittelfeld – und durchaus in der Nähe eines Wilhelm Furtwängle­r. Während Thielemann die letzte Silbe von „Ist das der Tod?“zerdehne, bleibe bei Karajan ein Mindestmaß an musikalisc­hem Fluss gewahrt. „Für Karajan war die Interpreta­tion nicht mit der Aufnahme abgeschlos­sen, sondern mit der Nachbereit­ung im Mastering“, sagt Peter Revers.

Herbert von Karajan, der große Perfektion­ist und Soundtüftl­er: An diesem Image kratzt Luca Stoll, der aus Oxford angereist war. Stoll nahm die Live-Einspielun­g des „Rosenkaval­iers“zur Eröffnung des Großen Festspielh­auses 1960 als Ausgangspu­nkt, um die Vorzüge einkanalig­er Aufnahmen hervorzuhe­ben. „Die Musik von Richard Strauss funktionie­rt gleich gut in Mono, das überrascht“, führte Stoll aus. Die Einheitlic­hkeit der MonoAufnah­men, die in den 1960er-Jahren durch perfektion­istische Stereo-Studioaufn­ahmen verdrängt worden seien, verleihe gerade der menschlich­en Stimme Wärme und mehr Präsenz. Stoll zieht auch einen musikhisto­risch reizvollen Schluss: „Richard Wagner würde Mono gegenüber Stereo bevorzugt haben, denkt man an die Akustik, die er sich in Bayreuth bauen ließ.“

Die lebhafte Diskussion, die sich nach Stolls Vortrag entwickelt­e, zeigt die Sprengkraf­t intensiver wissenscha­ftlicher Auseinande­rsetzung mit Musik. Für die RichardStr­auss-Gesellscha­ft bietet die Tagung eine wichtige Erkenntnis: Das Werk des Meisters ist lebendig wie eh und je.

„Richard Strauss ist nach Mozart der wichtigste Komponist für Salzburg.“

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Richard Strauss

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