Taliban haben den Bogen überspannt
US-Präsident sagt nach einer Anschlagserie weitere Geheimverhandlungen mit den Gotteskriegern ab. Die setzen auf einen neuen Verbündeten.
Abdul Hakim Mudschahid hat heute als Mitglied des afghanischen Friedensrats nur noch sporadischen Kontakt zu den radikalislamischen Taliban. Aus seiner Zeit als Vertreter der Gotteskrieger bei den Vereinten Nationen vor dem Jahr 2001 kennt er ihr Innenleben aber noch bestens. „Der größte Fehler, den die USA mit ihrer Verhandlungsstrategie begehen“, warnte er im Juli, „ist die Aufwertung. Weil Washington bereit ist, allein mit ihnen zu reden, fühlen die Taliban sich stärker denn je.“
Am Wochenende sagte US-Präsident Donald Trump per Twitter ein geplantes Geheimtreffen mit Führern der Gotteskrieger und Afghanistans Präsident Ashraf Ghani ab, weil die Taliban beim letzten einer Serie von Anschlägen in Kabul unter anderem einen US-Soldaten getötet hatten. Die radikalislamischen Milizen hatten versucht, mit den Attentaten ihre Stärke zu beweisen.
„Die Taliban sind eine sehr disziplinierte und ideologische Truppe“, erklärte in Kabul Wahid Mozhda, ebenfalls ein guter Kenner der afghanischen Islamistenszene, „sie befolgen die Befehle der Führung. Es ist sicher, dass die Attentate von der Spitze angeordnet wurden.“
Schon in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre musste der deutsche Diplomat Norbert Holl, damals UNSonderbeauftragter am Hindukusch, erfahren, wie schwierig Verhandlungen mit den Taliban sind. Nach jeder Gesprächsrunde wurden Vereinbarungen über den Haufen geworfen, sobald die Teilnehmer den Sitzungssaal verlassen hatten. Die Taliban fühlten sich stark und sahen keine Notwendigkeit zum Einlenken.
Gegenwärtig sind sie erneut in bester Stimmung. „Die USA sind dabei, wegen uns aus Afghanistan wegzulaufen“, triumphierte deren Führung vor einigen Wochen noch während der Verhandlungen mit den USA in einer Mitteilung an ihre Kämpfer. Die Gotteskrieger kontrollieren derzeit etwa zwei Drittel des afghanischen Territoriums.
„Die Taliban haben viel Zeit“, sagte Wahid Mozhda, „sie haben seit 2001 durchgehalten und glauben, auch in Zukunft die Oberhand zu behalten.“Ihre Gegenseite, das wissen deren Unterhändler, werde dagegen von Ungeduld getrieben.
Schon bei Beginn der Gespräche vor neun Monaten erklärte Trumps Unterhändler Zalmay Khalilzad bei Besuchen in Kabul, dass sein Chef ihm nur begrenzte Zeit für erfolgreiche Gespräche lassen würde. USAußenminister Mike Pompeo bestätigte den Zeitdruck, als er im Sommer bei einem Besuch in der afghanischen Hauptstadt verkündete, die Verhandlungen sollten Anfang September beendet werden.
Die Absage des Geheimtreffens durch Trump bedeutet freilich kein endgültiges Ende der Verhandlungen. Die Taliban müssen nun erkennen, dass sie ihr Blatt überreizt haben. Beobachter hoffen, dass diese Erkenntnis sich auch in Pakistan, mit dessen Hilfe die Gruppe Mitte der 90er-Jahre gegründet wurde, durchsetzt. Islamabad hielt seine schützende Hand auch nach 2001 über die Milizen, obwohl das Land sich offiziell am US-geführten Krieg gegen den Terror beteiligte.
Allerdings verfügen die Taliban inzwischen über ein weiteres Standbein. Der Iran intensivierte seine Kontakte zu den Milizen. Während der vergangenen Jahre lieferte Teheran sogar Waffen. Als sich der Konflikt zwischen Washington und dem Iran im Sommer zuspitzte, schmiedeten nach Informationen aus gut informierten Kreisen die Revolutionsgarden und die Taliban sogar gemeinsame Pläne, um im Bedarfsfall US-Einrichtungen am Hindukusch zu attackieren. Gegenwärtig ist unklar, wie Teheran zu einer möglichen Vereinbarung zwischen den Milizen und Washington über einen teilweisen Abzug westlicher Truppen steht.
In Teilen der politischen Klasse Afghanistans dürfte nach dem geplatzten Termin in den USA eine gewisse Erleichterung herrschen. Sie verhehlten ihre Skepsis gegenüber den Gesprächen nie. Schließlich weigerten die Taliban sich offiziell immer noch, mit der afghanischen Regierung zu verhandeln. Die Begegnung von Trump, Präsident Ghani und Talibanvertretern hätte diese harte Linie zwar durchkreuzt. Aber das Misstrauen gegenüber den Milizen und ihren pakistanischen Hintermännern bleibt groß.
Dennoch hoffen viele Beobachter, dass die Gespräche fortgesetzt werden. Schließlich handelt es sich seit dem Einmarsch westlicher Truppen am Hindukusch im Jahr 2001 um die aussichtsreichsten Versuche, den Krieg in Afghanistan zu beenden. Nicht nur Washington, auch seine Verbündeten wie Deutschland wären froh, wenn sie ihre Soldaten endgültig abziehen könnten.
Das Erfolgsrezept des ehemaligen Talibandiplomaten Mudschahid: „Den Taliban muss klargemacht werden, dass sie sich nicht in einer Position der Stärke befinden. Und man braucht viel Zeit und Geduld für solche Gespräche.“
„Die Taliban haben viel Zeit. Die Gegenseite hat wenig Geduld.“Wahid Mozhda, Taliban-Experte