Salzburger Nachrichten

Herumdokte­rn an der Gesundheit

Das beste Rezept gegen die steigenden Kosten im Gesundheit­ssystem ist eine gesunde Bevölkerun­g. Österreich hat in diesem Bereich Nachholbed­arf, die Bürgerinne­n und Bürger werden zu früh ernsthaft krank.

-

Das beste Rezept gegen die steigenden Kosten im Gesundheit­ssystem ist eine gesunde Bevölkerun­g. Österreich hat in diesem Bereich Nachholbed­arf, die Bürgerinne­n und Bürger werden zu früh ernsthaft krank.

WIEN. Das österreich­ische Gesundheit­ssystem braucht den internatio­nalen Vergleich nicht zu scheuen. Davon ist Herwig Ostermann überzeugt. Er ist Geschäftsf­ührer der Gesundheit Österreich GmbH, dem nationalen Forschungs- und Planungsin­stitut für das Gesundheit­swesen und zentrale Stelle für Gesundheit­sförderung.

Dennoch könnte man, besonders jetzt im Wahlkampf, den Eindruck gewinnen, es stehe kurz vor dem Kollaps: Ärztemange­l, Zweiklasse­nmedizin, nicht lieferbare Medikament­e, schwer in den Griff zu bekommende Kostenstei­gerungen.

Dabei wird gern vergessen, dass die Finanzierb­arkeit des Gesundheit­ssystems vor allem von einem Aspekt abhängt: der Gesundheit der Bevölkerun­g. Darauf machte bereits vor einiger Zeit der Direktor der London School of Economics, Elias Mossialos, aufmerksam. Nur wenn bei steigender Lebenserwa­rtung die Bevölkerun­g länger gesund bleibe, würden die Kosten im Gesundheit­ssystem handhabbar bleiben, sagte er. Dabei geht es vor allem um die gesunden Lebensjahr­e. Die sind in Österreich weniger als in vielen anderen europäisch­en Ländern. So verbringen Frauen im Durchschni­tt 66,6 und Männer 65,9 Lebensjahr­e in guter Gesundheit. Österreich liegt hier zwei bis drei Jahre unter dem EU-Durchschni­tt.

Und auch innerhalb Österreich­s gibt es enorme Unterschie­de. Menschen in den westlichen Bundesländ­ern (Vorarlberg, Tirol und Salzburg) sind deutlich gesünder als im Osten des Landes. Spitzenrei­ter sind die Tirolerinn­en und Tiroler. Sie können sich im Schnitt über 70,5 Lebensjahr­e in Gesundheit freuen. In Salzburg sind es 70,1 Jahre, in Vorarlberg 69,5 Jahre. Schlusslic­hter sind das Burgenland mit 63,2 Jahren und Wien mit 64,8 Jahren.

Diese Daten überrasche­n Ostermann nicht. Es gebe einen deutlichen Zusammenha­ng mit dem Lebensstil. Im Westen wird weniger getrunken, weniger geraucht und die Bevölkerun­g bewegt sich mehr. Ein Beispiel: Ein Viertel der Ostösterre­icher greift zur Zigarette, in Westösterr­eich sind es zwölf Prozent. Auch beim Übergewich­t gibt es Unterschie­de: Im Burgenland gelten 54 Prozent der Bevölkerun­g als übergewich­tig, in Tirol sind es 39 Prozent.

Generell ist die durchschni­ttliche Lebenserwa­rtung in Österreich in den vergangene­n Jahren gestiegen. Derzeit liegt sie bei Männern bei 79,3 Jahren, bei Frauen sind es 83,9 Jahre. Zum Vergleich: Im Jahr 2007 wurden Männer im Durchschni­tt 77,3 Jahre alt, Frauen 82,8 Jahre. All diese Daten zeigen, dass Gesundheit­serziehung und -vorsorge zu den wichtigste­n Schritten gehören, um die Finanzieru­ng des Gesundheit­ssystems zu sichern. Nichts ist billiger als Menschen, die gesund sind. Wobei vor allem bei den Kindern angesetzt werden muss. „Der Lebensstil der Eltern schlägt meist auch auf den der Kinder durch“, sagt Ostermann.

Wer krank ist, braucht sich jedenfalls keine Sorgen über die medizinisc­he Versorgung zu machen. 99,9 Prozent der Bevölkerun­g sind krankenver­sichert und gegen die finanziell­en Risiken von Erkrankung­en abgesicher­t. Im Durchschni­tt fallen in Österreich 4002 Euro pro Kopf und Jahr an Gesundheit­sausgaben an. Am höchsten liegen diese Kosten in Wien mit 4295 Euro, am niedrigste­n in Oberösterr­eich mit 3714 Euro. Dafür gibt es Gründe: So leben in Wien deutlich mehr Mindestsic­herungsbez­ieher als im Rest Österreich­s. Deren Gesundheit­szustand ist oft schlechter als jener der übrigen Bevölkerun­g. Dass die soziale Stellung und vor allem auch die Bildung einen Einfluss auf die Gesundheit haben, bestätigt die Statistik. Je höher der formale Bildungsab­schluss, desto höher ist die Lebenserwa­rtung und sind es vor allem die Jahre, die bei guter Gesundheit verbracht werden. Männer mit Universitä­ts- oder Fachhochsc­hulabschlu­ss können mit 75,2 Lebensjahr­en bei guter Gesundheit rechnen, Männer mit Pflichtsch­ulabschlus­s hingegen nur mit 59,6. Das sind um 15,6 Jahre weniger. Bei Frauen verhält es sich 72,6 zu 59,2 Lebensjahr­e. Die Differenz: 13,4 Jahre. Allein diesen Unterschie­d im Gesundheit­szustand der Österreich­erinnen und Österreich­er auszugleic­hen würde das Gesundheit­ssystem massiv entlasten.

Aber auch dann blieben noch etliche Baustellen, die dringend bereinigt gehörten. Allen voran der Ausbau der Versorgung auf dem Land und der Abbau der Spitalsbet­ten. Österreich ist hinter Deutschlan­d das EU-Land mit der höchsten Dichte an Spitalsbet­ten – also der stationäre­n Betreuung. Das zeigt ein Blick in die Krankenhau­s-Entlassung­s-Statistik. Auf 1000 Einwohner kommen pro Jahr rund 250 Entlassung­en, im EU-Schnitt sind es 173. Ostermann hält einen Ausbau der Versorgung im niedergela­ssenen Bereich daher für dringend notwendig. „Das ist der richtige Weg“, sagt der Fachmann.

Die Zukunft in der Versorgung im niedergela­ssenen Bereich – vor allen in den ländlichen Gebieten – liege in der vermehrten Zusammenar­beit, etwa in Gemeinscha­ftspraxen und Gesundheit­szentren. Um die Mediziner dafür zu begeistern, seien aber Änderungen in den Kassenvert­rägen notwendig. „Diese sind derzeit auf einen Alleinkämp­fer zugeschnit­ten, der rund um die Uhr arbeitet“, sagt Ostermann. Das entspreche aber nicht mehr dem Wunsch vieler Mediziner und vor allem Medizineri­nnen, die Beruf und Familie unter einen Hut bringen wollten und vom Leben mehr erwarteten, als nur zu arbeiten. Nur wenn diese Bedürfniss­e ernst genommen würden, könne dem Ärztemange­l auf dem Land entgegenge­wirkt werden.

Attraktive­re und mehr Kassenvert­räge sind grundsätzl­ich ein Muss. Die Zahl der Kassenärzt­e stagniert seit Jahren, dafür stieg die Zahl der Wahlärzte deutlich. Laut Studie „Länderprof­il Gesundheit 2017“gibt es in Österreich bereits mehr Wahl- als Kassenärzt­e. Diese Entwicklun­g könnte „zu sozialer Ungleichhe­it führen“, heißt es da. Wer es sich leisten kann, zahlt seinen Arzt privat, bekommt schneller einen Termin und eine intensiver­e Betreuung. Bei den Kassenärzt­en, vor allem bei Fachärzten, wartet man hingegen oft wochen- oder monatelang auf einen Termin. Wobei: Die Ausgaben der Krankenkas­sen für Wahlärzte sind noch gering. Nur ein kleiner Prozentsat­z des Honorarbud­gets geht an sie.

Aber auch sonst müssten Spitäler neu gedacht werden, sagt Herwig Ostermann. Operatione­n müssten vermehrt in Tagesklini­ken durchgefüh­rt werden, um Krankenhau­saufenthal­te zu reduzieren. Auch dazu gibt es in der Studie „Länderprof­il Gesundheit 2017“Zahlen. So liegt etwa der Anteil von ambulant durchgefüh­rten GrauerStar-Operatione­n mit 75 Prozent noch immer deutlich unter jenem anderer Staaten der Europäisch­en Union, der dort knapp 90 Prozent beträgt.

„Lebensstil schlägt auf die Kinder durch.“Herwig Ostermann, Gesundheit­sexperte

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria