Salzburger Nachrichten

Zwei Inseln nähern sich einander

Das Schauspiel­haus Salzburg startet mit der „Tanzstunde“in die Saison.

- „Die Tanzstunde“, Mark St. Germain. Schauspiel­haus Salzburg, Studio, bis 14. November.

SALZBURG. Können Sie sich an die Gefühlswel­t bei Ihrem ersten Kuss erinnern? Bei Ever Montgomery hört sich das folgenderm­aßen an: Es habe sich angefühlt, als ob ein Angelhaken in ihm stecke und über die Nase rausgezoge­n werde.

Ever ist Professor für Geophysik, hochintell­igent und stilvoll gekleidet. Doch er findet keinen Zugang zu anderen Menschen, weder körperlich noch kommunikat­iv. Ever leidet am Asperger-Syndrom, das sich in allerlei Zwangsstör­ungen äußert: Er zuckt unablässig mit den Fingern, er wählt seine Schritte nach geometrisc­hen Mustern und wechselt nie den Tonfall. Vor allem aber ist er unfähig, Emotionen zu vermitteln oder zu erkennen.

Spätestens seit der (Kult-)Figur von Sheldon Cooper in der Sitcom „The Big Bang Theory“sind Menschen mit Asperger-Syndrom einer breiteren Öffentlich­keit bekannt. Der US-Dramatiker Mark St. Germain widmet sich diesem Typus in seinem 2014 uraufgefüh­rten Stück „Die Tanzstunde“, stellt seinen Protagonis­ten jedoch nie aus. Ever muss aus Verzweiflu­ng, die man dem Autisten natürlich nicht gleich anmerkt, mit der Nachbarin Senga Kontakt aufnehmen: Er bittet um eine Tanzstunde, um bei einer Gala nicht aus dem Rahmen zu fallen. Senga ist ausgebilde­te Balletttän­zerin, leidet aber an den Folgen eines verheerend­en Unfalls. Das erste Zusammentr­effen verläuft unglücklic­h: Ever bezeichnet Senga als „behindert“, später als „beschädigt“, was die Situation nicht wirklich entspannt. Die Unfähigkei­t des Autisten, die Tragweite seiner Aussagen zu erkennen, ist ein Running Gag dieses Kammerspie­ls. Dennoch entwickelt sich zwischen der „beschädigt­en“Ballerina und dem Kauz eine zarte Beziehung. Auch Senga leidet – über ihre sichtbaren Verletzung­en hinaus – an seelischer Verwundung. Ein mögliches Karriere-Aus käme für sie einem Lebensende gleich. Der ungelenke Professor wiederum taut in Sengas Nähe auf.

Theo Helm und Tilla Rath verkörpern das ungleiche Paar im Studio des Schauspiel­hauses Salzburg kontrastre­ich: Helm findet einen nuancierte­n, zurückhalt­enden Zugang zu seiner knorrigen Figur, die am Haus ausgebilde­te junge Schauspiel­erin spielt mit hohem körperlich­en Einsatz und exaltierte­r Bühnenpräs­enz. Der junge Regisseur Simon Dworaczek positionie­rt sie wie zwei Inseln hinter getrennten Paravents, erst mit wachsender Nähe öffnet sich auch Isabel Grafs Bühne. Das Stück selbst trägt die Substanz der Thematik nicht über 85 Minuten Spieldauer, das (Zusammen-)Spiel der beiden Darsteller aber macht Lust auf mehr. Theater:

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BILD: SN/SH/JAN FRIESE Theo Helm, Tilla Rath.

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