Stark duftende Rundreise
Eine Tour de France zum Käse
Die Idee, Frankreich auf den Spuren seiner Käse zu durchqueren, gefällt Claude Querry so gut, dass er im Fort St. Antoine beim Lac de Saint-Point einen Comté-Laib aus dem Regal kippt und mit dem Bohr- und Klopfhämmerchen der Käsetester eine Skizze unserer Route in die Rinde ritzt. Die traditionellen Sorten verraten viel über die Geschichte und die Landschaften, aus denen sie kommen, bestätigt der Chef des Reifungskellers. Große Laibe entstanden als Vorrat in höheren Lagen, wo im Winter nicht genügend Milch vorhanden war. Um einen solchen Hartkäse machen zu können, bekam im Jura früher jeder Bauer reihum auch die Milch seiner Nachbarn. So entstanden im 13. Jahrhundert erste Genossenschaften für landwirtschaftliche „Früchte“. In der modernen Fruitière des Lacs ganz in der Nähe ist das vor allem der Comté. „Aus jedem Kessel schmeckt der Käse anders“, erklärt der Landwirt Jonathan Martin. Jahreszeit, Weideboden, Milchmischung und Reifungskeller lassen jeden Comté zu einer Überraschung werden, die mit einem von dreiundachtzig Aromen, von „fruchtig“bis „geröstet“, umschrieben werden kann. Der nächste Probierteller wartet im Süden des hügeligen Burgunds. In Chissey-lèsMâcon bei Cluny betreiben junge Leute eine Ziegenkäserei mit Hofverkauf. Coralie Champenois zeigt, wie der joghurtähnliche Frischkäse bei feuchter Reifung zu Schimmelkäse oder bei Trockenlagerung zu einem salzig-trockenen Leckerbissen wird – und wie beide mit jedem Tag kleiner und aromatischer werden. Zweihundert Kilometer südwestlich, in der Region Puy-de-Dôme mit ihren uralten Vulkanbergen, quetschen sich die alten Hotels des Kurstädtchens Saint-Nectaire in ein Tal aus eng aneinander liegenden, bewaldeten Hügeln, überragt vom oberen Teil des Ortes mit der schönsten romanischen Kirche der Auvergne. Ein paar Kilometer außerhalb produziert die Familie der Bäuerin Pascale Chassard den beliebten Saint-Nectaire. Zum Reinbeißen sieht der zwischen modernen, feuchten Betonmauern gereifte Käse mit dem grauen Schimmelpelz nicht aus. Aber die fröhliche Pascale demonstriert im Hofladen, dass es sich lohnt, den wunderbar milden Käse samt der – nur leicht abgeschabten – Rinde zu essen, weil die den nussigen Geschmack verstärkt.
Das Hügelstädtchen Salers im südlicher gelegenen Cantal-Massiv könnte mit seinen alten Häusern aus dunklem Vulkangestein den Schauplatz eines Harry-Potter-Films abgeben. Die kompakten, riesigen Laibe des fein säuerlichen Salers-Käses werden teilweise noch in Sennhütten, den „Burons“, hergestellt. Die Weiden von Marie-Jo und Guy Chambon liegen oberhalb der schmalen, aussichtsreichen Passstraße Col de Neronne, in einer Gipfellandschaft aus offenen, kahlen Hügeln, die man bei einem Bilderrätsel irgendwo in den USA vermutet hätte. Die Chambons sind die Letzten, die auf ihrer Buron noch Salers-Kühe nutzen. Das ist aufwendig, weil die klugen Tiere nur ihren Kälbern Milch geben wollen. Der Reihe nach werden die Jungtiere deshalb mit Namen aus einem Gatter gerufen, dürfen trinken und werden dann der Mutterkuh ans Bein gebunden, die Melkmaschine macht weiter.
Zwei Autostunden südwestlich liegt der winzige alte Pilgerort Rocamadour spektakulär am Rand einer Schlucht, die einst vom Wasser in das Kalksteinplateau des Naturparks Causses du Quercy gegraben wurde. Geheimtipp ist das Dorf schon lange nicht mehr, jedoch ein idealer Ausgangspunkt. Wer nur ein paar Hundert Meter weiter ins Alzou-Tal spaziert, hat bald das Gefühl, es ganz für sich zu haben. Kulinarische Besonderheit der Region ist der kleine, flache Ziegenkäse Rocamadour, eine Variante des Cabecou. Schon als milder Frischkäse ist er eine köstliche Angelegenheit, erst recht als cremig-würziger Weichkäse. Zu den besten bäuerlichen Produzenten zählt Alain Lacoste im Weiler Les Alix, den gerade seine Herde auf die Weide begleitet – erstaunlich, wie vorsichtig sich die kleinen Tiere mit den spitzen Hörnern im Gedränge verhalten.
Zu jedem französischen Roadmovie gehört der große Umweg für ein gutes Essen. Diesmal sind es dreihundert Kilometer zu den Pyrenäen, im Namen des Schafkäses, des „Brebis“. Im Ossau-Tal angekommen, stellt sich heraus, dass der bekannte OssauIraty vor Ort nicht überall beliebt ist. Denn der weiße, milde Käse, der fast im Mund zergeht und von den Franzosen gern mit Kirschmarmelade gegessen wird, ist meist ein Industrieprodukt. Außerdem werde der Käse im baskischen Iraty-Massiv ganz anders hergestellt, als hier im Ossau-Tal, betont der Käser Jean-Noël Castaing auf seinem Hof in Izeste. Unstrittig ist, dass auf den Hochweiden der Pyrenäen schon seit 7000 Jahren Schäferei betrieben wird. Auch Castaing, dessen bäuerlicher Brebis schärfer und würziger schmeckt, hat seine Schafe am oberen Ende des Tals. Die Tiere grasen nur ein paar Hundert Meter unterhalb der spanischen Grenze, bewacht von mächtigen weißen Pyrenäen-Hirtenhunden, zum Schutz vor Bären und Wölfen. Für seinen Käse geht dieses Land wirklich bis ans Limit.