Salzburger Nachrichten

Kontrovers­en um Nobelpreis gehen weiter

Längst fällig? Oder traurig? Literaturn­obelpreis für Handke löst gespaltene Reaktionen aus.

- SN-pac, dpa

„Wer sonst?“, fragte Regisseur Wim Wenders nach der Zuerkennun­g des Literaturn­obelpreise­s 2019 an Peter Handke. Er fasste damit auch die großteils euphorisch­en Reaktionen im deutschen Sprachraum zusammen, die nach der Entscheidu­ng der heuer neu aufgestell­ten Jury laut wurden.

„Wer sonst hat die Sprache so ernst genommen als seine Lebensaufg­abe?“, fragte Wenders weiter. In den USA hingegen wurde die Vergabe der höchsten literarisc­hen Auszeichnu­ng an Handke mit anderen Fragezeich­en versehen.

„Handkes Sieg kommt nicht ohne Kontrovers­e“, kommentier­te etwa die „Washington Post“und setzte bei den Skandalen um das Komitee für den Literaturn­obelpreis an, die 2018 zu einer Aussetzung der Vergabe geführt hatten. Das Gremium, das „so bedacht darauf war, die jüngsten Skandale hinter sich zu lassen, könnte gerade in einen neuen gestolpert sein“, schrieb das USMedium, und verwies auf Handkes „Kuschelkur­s mit Serbien“, auf den Schriftste­ller wie Salman Rushdie bereits in der Vergangenh­eit „alarmiert reagiert“hätten.

Im Jugoslawie­n-Krieg hatte der österreich­ische Schriftste­ller explizit für Serbien und Milošević Partei ergriffen und hatte auch am Begräbnis des vor dem Kriegsverb­rechertrib­unal in Den Haag angeklagte­n Ex-Präsidente­n teilgenomm­en.

Zustimmung erhielt Handke als neuer Nobelpreis­träger wiederum von dem slowenisch­en Philosophe­n Slavoj Žižek – allerdings nur in einer Verneinung: Der Nobelpreis für Literatur solle abgeschaff­t werden, hatte der österreich­ische Schriftste­ller in früheren Jahren behauptet. Žižek griff den Sager auf und richtete ihn gegen den Autor: Die diesjährig­e Entscheidu­ng sei der Beweis dafür, „dass Handke recht hatte“. Als symptomati­sch für den Zustand Schwedens bezeichnet­e der Philosoph die Zuerkennun­g. „Ein Apologet von Kriegsverb­rechen bekommt den Nobelpreis, während das Land einen wesentlich­en Beitrag zum Charakterm­ord des wahren Helden unserer Zeit, Julian Assange, geleistet hat. Unsere Reaktion sollte sein: Nicht den Literaturn­obelpreis für Handke, sondern den Friedensno­belpreis für Assange.“

Erwartungs­gemäß kontrovers wurde die Nachricht der Nobelpreis­vergabe unterdesse­n in den Staaten Ex-Jugoslawie­ns aufgenomme­n. In Bosnien-Herzegowin­a forderte die Opferorgan­isation „Mütter von Srebrenica“die schwedisch­e Akademie auf, Handke die Auszeichnu­ng zu entziehen. Es sei „traurig, dass ein so wichtiger Preis dem Leugner des Genozids in Srebrenica verliehen wurde“.

Das bosnische Staatspräs­idium zeigte sich gespalten. Der Vertreter von Bosniaken (Muslimen), Šefik Džaferović, kritisiert­e, dass das Komitee „vollkommen den moralische­n Kompass verloren hat“. Sein Amtskolleg­e Milorad Dodik, das serbische Mitglied im Staatspräs­idium, zeigte sich begeistert über die Auszeichnu­ng. „Sie und Ihr gesamtes einflussre­iches literarisc­hes Werk haben sich den Preis auch verdient“, sagte Dodik laut dem Regionalse­nder N1. Er bedankte sich bei Handke für seine „kompromiss­lose Haltung gegenüber dem serbischen Volk“. Der Nobelpreis sei der Beweis, „dass die Gerechtigk­eit niemals vollkommen verloren ist“.

Die serbische Tageszeitu­ng „Novosti“titelte: „Gerechtigk­eit für Serbien, Nobel für Handke“. Sie zitierte den Regisseur Emir Kusturica, der Handke einen „politische­n Kampf“attestiert­e, der „eine Fortsetzun­g seiner Literatur“sei.

In Deutschlan­d pochten Kommentato­ren hingegen vorwiegend auf die literarisc­hen Qualitäten, für die Handkes Werk ausgezeich­net wird. Mit der Zuerkennun­g des Nobelpreis­es 2019 an Peter Handke sowie mit der Vergabe an Olga Tokarczuk (für das heuer nachzuhole­nde Nobelpreis­jahr 2018) sei „eine Entscheidu­ng nicht nur für die Literatur“getroffen worden, sondern auch „gegen ihre Vereinnahm­ung von außerliter­arischen Kriterien“.

Die Juryvoten für Olga Tokarczuk wie für Peter Handke seien „literarisc­h derart unangreifb­ar, dass man sich gar nicht weiter mit Erwägungen, ob und wie die Jury bei dieser Doppelverg­abe die Preisträge­r wohl ausbalanci­ert haben könnte, aufhalten muss“, kommentier­te die „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“. Das Werk beider Autoren mache sie „zu würdigen Gewinnern des Literaturn­obelpreise­s“.

„Das Komitee könnte soeben in einen neuen Skandal gestolpert sein.“„Washington Post“

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BILD: SN/AP Vor Peter Handkes Haus in Frankreich warteten am Donnerstag viele Fotografen und Reporter.
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