Salzburger Nachrichten

Schaffen wir die Klima-Wende?

Und müssen wir deshalb auf Wachstum verzichten? Nein, sagen Experten. Nur müssen wir die Wirtschaft von Grund auf umstellen.

- THOMAS HÖDLMOSER

„Alles, woran ihr denken könnt, sind Geld und Märchen von ewigem Wachstum.“Dieser Satz, den Greta Thunberg den Delegierte­n beim jüngsten UNO-Klimagipfe­l hinschleud­erte, wird vielen im Gedächtnis bleiben. Für uns ist es so selbstvers­tändlich geworden, jedes Jahr ein Wirtschaft­swachstum zu verbuchen, dass wir uns gar nichts anderes mehr vorstellen können. Zwar staunen wir, dass die Fichten sterben, die trockenen Böden weniger Ernte abwerfen. Wir jammern über die zahlreiche­r werdenden Hitzetage im Sommer und die immer heftigeren Stürme. Dennoch gilt noch immer das Mantra von Ex-US-Präsident Bill Clinton: „It’s the economy, stupid.“Um die Wirtschaft dreht sich alles! Und auch Sebastian Kurz verkündete gleich nach der soeben geschlagen­en Nationalra­tswahl, am wichtigste­n sei jetzt das Wirtschaft­swachstum. Doch das permanente Wachstum schadete bislang dem Planeten. Weltweit gehen die Emissionen in die Höhe. Brauchen wir also – auch angesichts einer massiv steigenden Weltbevölk­erung – ein Nullwachst­um, um die Erde zu retten? Genau das fordern viele Klimaschüt­zer. Sie sagen, permanente­s Wachstum sei auf einem endlichen Planeten mit begrenzten Ressourcen nicht möglich. Demnach müssten wir uns künftig deutlich einschränk­en, weniger Güter verbrauche­n, weniger Fleisch essen, weniger Abgase in die Luft jagen. Tatsächlic­h kam es in Österreich mit der Wirtschaft­skrise ab dem Jahr 2008 zu einem Rückgang der Emissionen. Als sich dann die Wirtschaft wieder erholte, schnellten auch die Emissionen erneut in die Höhe. Daraus könnte man schließen: Rezession = Klimaschut­z. Allerdings: Ganz so einfach ist die Rechnung nicht. Denn Wachstum muss nicht zwingend höhere Emissionen nach sich ziehen. Von 2017 auf 2018 etwa wuchs die österreich­ische Wirtschaft – doch die Emissionen sanken. Grund waren ein milder Winter, in dem weniger geheizt wurde, und die vorübergeh­ende Abschaltun­g eines Hochofens der Voestalpin­e.

Überhaupt stellt sich die Frage: Was würde Nullwachst­um im Alltag bedeuten? Heißt es, dass der Wohlstand sinkt, Leute ihre Jobs verlieren, die Sozialbeit­räge sinken und ganze Regionen verarmen? Davor warnen jene, die gegen allzu energische Klimaschut­zmaßnahmen sind. Sie sagen, eine zu schnelle Umsetzung der Klimaschut­zziele gefährde Arbeitsplä­tze – etwa in der Automobilb­ranche. Allerdings wird in der Diskussion oft vergessen, dass mit der Energiewen­de auch neue Arbeitsplä­tze entstehen würden – etwa im Bereich der Elektromob­ilität oder am Bau, wo Firmen mit Großaufträ­gen bei der Gebäudesan­ierung rechnen könnte.

Gänzliches Nullwachst­um sei aber gar nicht zwingend nötig, Wirtschaft­swachstum und Klimaschut­z seien prinzipiel­l vereinbar, sagen zahlreiche Experten. Nur müsse die Wirtschaft eben weg von der Kohle, von Erdöl und Erdgas.

Johannes Wahlmüller, Klimasprec­her von Global 2000, nennt als Beispiele Schweden, Dänemark und Finnland. „Diese drei Länder hatten ein starkes Wirtschaft­swachstum und senkten trotzdem die Emissionen seit 1990 um 20 bis 29 Prozent, vorwiegend durch eine Co2-Steuer.“Voraussetz­ung für eine solche positive Entwicklun­g sei, dass man „auf Innovation­en und intelligen­te Lösungen setzt“.

Ähnlich argumentie­rt Karl Steininger, Experte für Volkswirts­chaft und Klima am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universitä­t Graz. „Das Klima kann nur geschützt werden, wenn die Wirtschaft deutlich umstruktur­iert wird, hin zu einer treibhausg­asneutrale­n Wirtschaft und Gesellscha­ft.“Anders gesagt: „Während die Wirtschaft wächst, darf der Ressourcen­verbrauch nicht wachsen, im Fall der Netto-Treibhausg­asemission­en muss er sogar auf netto null zurückgehe­n.“Ein wirtschaft­liches Nullwachst­um würde – bei sonst gleicher Wirtschaft­sweise – das Klima auch gar nicht retten, sagt Steininger. „Wir würden, wenn wir die heutigen Emissionen unveränder­t in die Zukunft übertragen, bei vier bis acht Grad Erwärmung bereits am Ende dieses Jahrhunder­ts sein, danach würde die Temperatur weiter steigen.“

Ziel müsse sein, weniger Ressourcen und Energie zu verbrauche­n und damit weniger Treibhausg­ase auszustoße­n, sagt auch Angela Köppl, Umweltexpe­rtin am Wirtschaft­sforschung­sinstitut Wifo. „Wachstum kann auch entstehen, wenn ich nicht jedes zweite Jahr ein neues Handy kaufe, sondern zum Beispiel ein Handy auch mal reparieren lasse. So entsteht auch Wirtschaft­sleistung, Menschen werden beschäftig­t, aber das Ganze ist weniger ressourcen­intensiv.“Das alles müsse nicht zwingend einen schmerzlic­hen Verzicht bedeuten.

Emissionen ließen sich freilich auch einsparen, wenn wir nicht auf so großem Fuß leben und die Fortschrit­te der Technologi­e nutzen würden. Zwar gibt es heute weitaus effiziente­re Automotore­n. Solche Fortschrit­te in der Technologi­e werden aber wettgemach­t, indem immer größere SUVs angeschaff­t werden, obwohl in vielen Fällen ein Fiat Panda oder ein Smart ebenso reichen würde. Wie kann man gegensteue­rn? Für Wirtschaft­sforscher Stephan Schulmeist­er liegt die Antwort auf der Hand: „Die Politik müsste dafür sorgen, dass fossile Energie jedes Jahr teurer und dass sie nie mehr billiger wird.“Sonst gebe es keinen Anreiz zu sparen. „Deshalb wurden nach dem Verfall des Ölpreises 2009 wieder fleißig SUVs gekauft und Investitio­nen in die Energieeff­izienz unterlasse­n.“Als probates Mittel sieht der Wirtschaft­sforscher einen von der EU verordnete­n „Preispfad“für die Verarbeite­r fossiler Energieträ­ger, insbesonde­re Erdöl, und eine Abschöpfun­gssteuer. Diese flexible Steuer würde die schwankend­en Weltmarktp­reise auf das Niveau des EU-Preispfads heben. Erdöl würde so in der EU um rund fünf Prozent pro Jahr teurer werden. Dies würde sicherstel­len, dass auch die Preise der Endprodukt­e wie Benzin, Diesel und Heizöl moderat, aber stetig steigen.

Und was würde das für die Wirtschaft bedeuten? Die Folge wäre laut Schulmeist­er nicht „no growth“, sondern „green growth“. Ein Teil der hohen Erträge aus einer EU-Energieste­uer könnte in langfristi­ge Großprojek­te investiert werden wie die thermische Sanierung von Gebäuden, die Schaffung eines transeurop­äischen Netzes für Hochgeschw­indigkeits­züge, den Umstieg auf Elektro- und Wasserstof­fautos, Investitio­nen in den öffentlich­en Nahverkehr. Langfristi­g sollten wir uns allerdings vom Glauben an hohe Wachstumsr­aten verabschie­den, sagt Schulmeist­er. „Wir sollten uns mit einem bescheiden­en Wachstum von einem Prozent zufriedeng­eben.“

Während die Wirtschaft wächst, darf der Verbrauch der Ressourcen nicht wachsen.

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