Schaffen wir die Klima-Wende?
Und müssen wir deshalb auf Wachstum verzichten? Nein, sagen Experten. Nur müssen wir die Wirtschaft von Grund auf umstellen.
„Alles, woran ihr denken könnt, sind Geld und Märchen von ewigem Wachstum.“Dieser Satz, den Greta Thunberg den Delegierten beim jüngsten UNO-Klimagipfel hinschleuderte, wird vielen im Gedächtnis bleiben. Für uns ist es so selbstverständlich geworden, jedes Jahr ein Wirtschaftswachstum zu verbuchen, dass wir uns gar nichts anderes mehr vorstellen können. Zwar staunen wir, dass die Fichten sterben, die trockenen Böden weniger Ernte abwerfen. Wir jammern über die zahlreicher werdenden Hitzetage im Sommer und die immer heftigeren Stürme. Dennoch gilt noch immer das Mantra von Ex-US-Präsident Bill Clinton: „It’s the economy, stupid.“Um die Wirtschaft dreht sich alles! Und auch Sebastian Kurz verkündete gleich nach der soeben geschlagenen Nationalratswahl, am wichtigsten sei jetzt das Wirtschaftswachstum. Doch das permanente Wachstum schadete bislang dem Planeten. Weltweit gehen die Emissionen in die Höhe. Brauchen wir also – auch angesichts einer massiv steigenden Weltbevölkerung – ein Nullwachstum, um die Erde zu retten? Genau das fordern viele Klimaschützer. Sie sagen, permanentes Wachstum sei auf einem endlichen Planeten mit begrenzten Ressourcen nicht möglich. Demnach müssten wir uns künftig deutlich einschränken, weniger Güter verbrauchen, weniger Fleisch essen, weniger Abgase in die Luft jagen. Tatsächlich kam es in Österreich mit der Wirtschaftskrise ab dem Jahr 2008 zu einem Rückgang der Emissionen. Als sich dann die Wirtschaft wieder erholte, schnellten auch die Emissionen erneut in die Höhe. Daraus könnte man schließen: Rezession = Klimaschutz. Allerdings: Ganz so einfach ist die Rechnung nicht. Denn Wachstum muss nicht zwingend höhere Emissionen nach sich ziehen. Von 2017 auf 2018 etwa wuchs die österreichische Wirtschaft – doch die Emissionen sanken. Grund waren ein milder Winter, in dem weniger geheizt wurde, und die vorübergehende Abschaltung eines Hochofens der Voestalpine.
Überhaupt stellt sich die Frage: Was würde Nullwachstum im Alltag bedeuten? Heißt es, dass der Wohlstand sinkt, Leute ihre Jobs verlieren, die Sozialbeiträge sinken und ganze Regionen verarmen? Davor warnen jene, die gegen allzu energische Klimaschutzmaßnahmen sind. Sie sagen, eine zu schnelle Umsetzung der Klimaschutzziele gefährde Arbeitsplätze – etwa in der Automobilbranche. Allerdings wird in der Diskussion oft vergessen, dass mit der Energiewende auch neue Arbeitsplätze entstehen würden – etwa im Bereich der Elektromobilität oder am Bau, wo Firmen mit Großaufträgen bei der Gebäudesanierung rechnen könnte.
Gänzliches Nullwachstum sei aber gar nicht zwingend nötig, Wirtschaftswachstum und Klimaschutz seien prinzipiell vereinbar, sagen zahlreiche Experten. Nur müsse die Wirtschaft eben weg von der Kohle, von Erdöl und Erdgas.
Johannes Wahlmüller, Klimasprecher von Global 2000, nennt als Beispiele Schweden, Dänemark und Finnland. „Diese drei Länder hatten ein starkes Wirtschaftswachstum und senkten trotzdem die Emissionen seit 1990 um 20 bis 29 Prozent, vorwiegend durch eine Co2-Steuer.“Voraussetzung für eine solche positive Entwicklung sei, dass man „auf Innovationen und intelligente Lösungen setzt“.
Ähnlich argumentiert Karl Steininger, Experte für Volkswirtschaft und Klima am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz. „Das Klima kann nur geschützt werden, wenn die Wirtschaft deutlich umstrukturiert wird, hin zu einer treibhausgasneutralen Wirtschaft und Gesellschaft.“Anders gesagt: „Während die Wirtschaft wächst, darf der Ressourcenverbrauch nicht wachsen, im Fall der Netto-Treibhausgasemissionen muss er sogar auf netto null zurückgehen.“Ein wirtschaftliches Nullwachstum würde – bei sonst gleicher Wirtschaftsweise – das Klima auch gar nicht retten, sagt Steininger. „Wir würden, wenn wir die heutigen Emissionen unverändert in die Zukunft übertragen, bei vier bis acht Grad Erwärmung bereits am Ende dieses Jahrhunderts sein, danach würde die Temperatur weiter steigen.“
Ziel müsse sein, weniger Ressourcen und Energie zu verbrauchen und damit weniger Treibhausgase auszustoßen, sagt auch Angela Köppl, Umweltexpertin am Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo. „Wachstum kann auch entstehen, wenn ich nicht jedes zweite Jahr ein neues Handy kaufe, sondern zum Beispiel ein Handy auch mal reparieren lasse. So entsteht auch Wirtschaftsleistung, Menschen werden beschäftigt, aber das Ganze ist weniger ressourcenintensiv.“Das alles müsse nicht zwingend einen schmerzlichen Verzicht bedeuten.
Emissionen ließen sich freilich auch einsparen, wenn wir nicht auf so großem Fuß leben und die Fortschritte der Technologie nutzen würden. Zwar gibt es heute weitaus effizientere Automotoren. Solche Fortschritte in der Technologie werden aber wettgemacht, indem immer größere SUVs angeschafft werden, obwohl in vielen Fällen ein Fiat Panda oder ein Smart ebenso reichen würde. Wie kann man gegensteuern? Für Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister liegt die Antwort auf der Hand: „Die Politik müsste dafür sorgen, dass fossile Energie jedes Jahr teurer und dass sie nie mehr billiger wird.“Sonst gebe es keinen Anreiz zu sparen. „Deshalb wurden nach dem Verfall des Ölpreises 2009 wieder fleißig SUVs gekauft und Investitionen in die Energieeffizienz unterlassen.“Als probates Mittel sieht der Wirtschaftsforscher einen von der EU verordneten „Preispfad“für die Verarbeiter fossiler Energieträger, insbesondere Erdöl, und eine Abschöpfungssteuer. Diese flexible Steuer würde die schwankenden Weltmarktpreise auf das Niveau des EU-Preispfads heben. Erdöl würde so in der EU um rund fünf Prozent pro Jahr teurer werden. Dies würde sicherstellen, dass auch die Preise der Endprodukte wie Benzin, Diesel und Heizöl moderat, aber stetig steigen.
Und was würde das für die Wirtschaft bedeuten? Die Folge wäre laut Schulmeister nicht „no growth“, sondern „green growth“. Ein Teil der hohen Erträge aus einer EU-Energiesteuer könnte in langfristige Großprojekte investiert werden wie die thermische Sanierung von Gebäuden, die Schaffung eines transeuropäischen Netzes für Hochgeschwindigkeitszüge, den Umstieg auf Elektro- und Wasserstoffautos, Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr. Langfristig sollten wir uns allerdings vom Glauben an hohe Wachstumsraten verabschieden, sagt Schulmeister. „Wir sollten uns mit einem bescheidenen Wachstum von einem Prozent zufriedengeben.“
Während die Wirtschaft wächst, darf der Verbrauch der Ressourcen nicht wachsen.