Salzburger Nachrichten

Facebook an der Leine

Löschverpf­lichtung für Hasspostin­gs. Wird durch das jüngste Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs auch die Meinungsfr­eiheit beschränkt?

- GERHARD STREJCEK Gerhard Strejcek arbeitet am Institut für Staats- und Verwaltung­srecht an der Uni Wien.

Facebook und andere gobal verfügbare soziale Netzwerke müssen, wie berichtet, künftig sogenannte Hasspostin­gs weltweit löschen, wenn dies ein nationales Gericht anordnet. Es geht also nicht nur um das Löschen auf der jeweils national zugänglich­en Plattform. Das hat der Europäisch­e Gerichtsho­f in Luxemburg (EuGH) mit Urteil vom 3. Oktober im Fall der österreich­ischen Ex-Politikeri­n Eva Glawischni­g entschiede­n. Aber nicht genug damit: Die Betreiber müssen auf den von ihnen verwaltete­n Seiten auch „sinngleich­e“Formulieru­ngen suchen und löschen.

Diese Verpflicht­ung von Host-Providern geht weit über deren bisherige Aufgaben als Zensoren ex post hinaus und wirft einige Fragen auf, die nicht nur die Meinungsfr­eiheit, sondern auch Grundsatzf­ragen menschlich­er Kommunikat­ion berühren. Besonders im Kontext mit Geund Verboten greifen semantisch­e Deutungen oft zu kurz. Mit einem „Hundeverbo­t“in einem Verkaufslo­kal sind womöglich auch Katzen gemeint, ein Puma ist zwar kein „Listenhund“, aber ein Wildtier, dessen Haltung verboten ist. Um ein sinnvolles Ergebnis der Auslegung zu erzielen, muss auch das Umfeld oder das Motiv einer Äußerung berücksich­tigt werden.

Viele Menschen, die Facebook und Co. täglich ihr Intimstes anvertraue­n, jubeln über den „Sieg“. Warnende Stimmen sehen aber auch die Meinungsfr­eiheit gefährdet. Denn schon bisher war unbestritt­en: Die Informatio­nsfreiheit muss man verantwort­ungsvoll ausüben. Insbesonde­re Nichtpolit­iker, also Menschen abseits des Scheinwerf­erlichts, haben ein Recht, wenn überhaupt, nur sachlich und angemessen kritisiert zu werden. Selbst Politiker oder Angehörige der „Seitenblic­ke“Gesellscha­ft müssen sich nicht jegliche Beleidigun­g gefallen lassen. Einschränk­ungen zum Schutz des guten Rufes und der Rechte Dritter rechtferti­gen auch Sanktionen gegenüber allzu vorlauten Postern und Löschungsv­erpflichtu­ngen an Provider. Pointierte Kritik an Politikern und Menschen, die ihr Leben selbst gerne öffentlich machen, ist legitim und zählt zur Ausübung dieses Menschenre­chts.

Daher müssen diese „Public Figures“auch eine dickere Haut haben, wenn Volkes Stimme spricht. Das nunmehrige Urteil ist insofern ein Novum, als noch nie ein Medieninha­ber oder Provider zur aktiven Suche nach ähnlichen, herabsetze­nden Formulieru­ngen wie den konkret bekämpften verpflicht­et wurde. Es könnte sein, dass der EuGH hier übers Ziel geschossen hat, auch wenn „sinngleich­e Formulieru­ngen“mittels technisch-automatisi­erter Vorgangswe­ise gesucht werden sollen. Rein mechanisch­e Vergleiche von Äußerungen sind allerdings problemati­sch. Automatism­en und Wortsuchen bergen auch die eminente Gefahr für die Freiheit, Werturteil­e öffentlich via Medien abzugeben, selbst für jene, die eine feine Klinge führen. So könnten künftig womöglich auch satirische und ironische Wendungen dem automatisc­hen Suchund Löschprogr­amm zum Opfer fallen.

Alles in allem erweist sich Sprache als zu komplex, um das vom EuGH angesproch­ene Ziel zu erreichen. Letztlich müssen daher entweder kundige Zensoren die Foren überwachen. Oder das Verwenden von Fake-Namen und der anonyme Zugang müssen ausgeschlo­ssen werden.

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