Der ZickzackMann
Skipapst Kruckenhauser revolutionierte den Skilauf. Er war ein Meister der Beobachtung und der Fotografie. Beides verhalf ihm als Skilehrer zu großem Ruhm.
Im Februar 1951 standen Franz Hoppichler und ich mit noch 20 Sportstudenten oben auf dem Übungshang in St. Christoph. Wir sollten dem gestrengen Professor Stefan Kruckenhauser „vorfahren“, damit er uns in Gruppen aufteilen könne. Hoppichler meisterte den Hang in französischer Doppelstock-Technik prima. Kruckenhauser lachte hingegen hellauf: „Was fährt denn der da zusammen!“Hoppichler und ich hatten uns einen Monat lang in Innsbruck auf den Arlberg vorbereitet – mit dem Skilehrbuch des Franzosen Émile Allais: Parallelschwung mit Rotation und Ruade (ganz leichter Sprung). Wir hatten eben keine Ahnung, wie „Wedeln“geht.
Das brachten uns nun Kruckenhausers Skilehrer bei – so gründlich, dass er uns beide als Hilfsskilehrer in St. Christoph behielt. Sehr schnell wurde uns nun klar, warum Österreichs Skischulleiter Herrn Kruckenhauser anfeindeten: Sie fuhren und unterrichteten „französisch“und hielten „Wedeln“für eine akademische Blödelei – obwohl damals Österreichs Skiteam alles gewann mit einer Technik, die man „Gegenschulter“nannte: den Rücken an der Slalomstange „kratzen“. Genau das nahm man aber falsch wahr – nicht jedoch Kruckenhauser.
Der 1905 in München geborene „Skipapst“hatte Sport und Biologie studiert und daher einen ausnehmend scharfen Blick für Bewegungsabläufe. Seit 1946 Leiter der staatlichen Skilehrerausbildung in St. Christoph, war ihm aufgefallen, warum ein paar österreichische Slalomkanonen im Stangenwald weit schneller als der „Rest der Welt“waren. Er filmte sie in Zeitlupe und fand den Trick heraus: „Kurzschwung“– nicht mehr Auslösen des Schwunges durch Drehung der Schultern, sondern aus den Beinen. Das gelingt, wenn der Oberkörper leicht gegendreht. Ergebnis war eine viel schnellere und dichtere Schwungfolge.
Aber wie lehrt man das? Dazu experimentierte „der Kruck“mit seinen Skilehrern in St. Christoph: Schrägfahrt und „Fersenschub“, der einen Schwung zum Hang auslöst. Wie kommt man aber per „Fersenschub“von „zick“nach „zack“?
Nach unendlichem Üben glückte es: langsam einen flachen Hang hinunterfahren. Einen Fersenschub nach links und gleich hinterher einen nach rechts und so fort. Dabei lernten wir, dass man die Ski flach hält und jeweils auf die Innenkanten stellt. Das Unternehmen „Wedeln“gedieh prächtig, es funktionierte auch im Steilgelände und sogar im Tiefschnee.
Das musste jeder Kandidat bei der Skilehrerprüfung beherrschen, nicht aber die Prüfungsfrage des Arztes über Erste Hilfe: „Was sind die Symptome des Todes?“Zögerliche Antwort: „Das Auge bricht.“Nachfrage des Prüfers: „Und wenn der Glasaugen hat?“Antwort: „Dann wird der sicher nicht mit mir Ski fahren.“Der Prüfer: „Nicht genügend!“Der Prüfling beschwerte sich bei Kruck, der holte den Prüfer, sagte ihm, dass er die Leute nicht schikanieren solle und schickte ihn nach Hause.
Kruckenhauser hat das Wedeln nicht erfunden, vielmehr entdeckt er auf Zeitlupenaufnahmen, was Spitzenfahrer im Slalom – zumal in Vertikaltoren – machen und entwickelte daraus ein Lehrsystem. Und das schlug weltweit ein: Es gab nicht genug österreichische Skilehrer, um den internationalen Bedarf zu decken. Nun wurde Kruck daheim nicht mehr angefeindet, immerhin erschlossen seine „Wedel-Missionare“der österreichischen Skiindustrie den Weltmarkt. Und das freute den neue Skipapst vom Arlberg zu Recht: „Ein kurzer Schwung geht um die Welt.“
Schon als Schüler beschäftigte sich Kruckenhauser mit Fotografieren – mit ziemlich unförmigen Kameras für das Filmformat 9 x 12 Zentimeter und daher teuren Filmen. Ein Zufall brachte ihn mit der deutschen Firma Leitz in Kontakt, die mit der Kleinbildkamera Leica im Filmformat 24 x 36 mm experimentierte. Kruckenhauser experimentierte erfolgreich mit. Schon als 29-Jähriger wurde er 1934 mit der Leitung des Bundessportheims St. Christoph in knapp 2000 Metern Höhe betraut, einem idealen Standort für Winterfotografie. Ein Beiprodukt entstand 1937: „Du schöner Winter in Tirol“. Diesem folgte 1938 das Meisterwerk „Verborgene Schönheit“, das bis 1964 sieben Auflagen erlebte. Den Zweiten Weltkrieg machte er stilgerecht als „Kriegsfotograf“mit.
Sein professionelles „Geheimnis“gab Kruck ab 1950 in Fotokursen während des Sommers in St. Christoph weiter. Dafür seine Grundregeln: Klarheit darüber, was ich fotografisch einfangen möchte, daher Bildformat mit der Hauptsache füllen, Seitenlicht bis Gegenlicht bringt mit Schatten „Plastik“in das Bild und Einsatz von Teleobjektiven, damit der Hintergrund auch noch in die Bildkomposition passt. Sein treffendes Motto: „Ein Bildermacher sagt mehr als ein Sprüchemacher.“
Kruckenhausers Meisterschaft als Fotograf dokumentiert auch sein „Österreichischer Skilehrplan“von 1956. Weil man „laufende Bilder“nicht abdrucken kann, entwickelte er die Serienbilder: Von „laufenden Filmbildern“kopierte er jene heraus, die sich zum richtigen Bewegungsablauf zusammenfügen ließen. So ergaben dann 20 (oder mehr) entsprechend aneinandergereihte Bilder den exakten Ablauf eines Parallelschwungs – und zwar so, dass der Betrachter erkennen konnte, wann der „Fersenschub“die Richtungsänderung einleitet und dass der Oberkörper das durch eine Gegenbewegung physikalisch ermöglicht. Das hieß dann inoffiziell „Verwindungsschwingen“ als Gegensatz zum französischen Rotationsschwingen.
Sein Auge für gute Foto-Objekte kam dem Skifilmer Kruckenhauser sehr zugute. Wann immer er in St. Christoph das Licht für „krachend“befand, schulterte er die Filmkamera plus Stativ und schickte zwei oder drei seiner mittlerweile von Versuchskaninchen zu Lipizzanern gereiften Skilehrer mit einer bestimmten Aufgabe einen unverspurten Hang hinauf. Und auf ein unüberhörbaren „Los!“fuhren die Lipizzaner los. Stürzte einer von ihnen zufällig einmal, dann stieg „dem Kruck“zwar die Galle hoch, aber er schluckte sie hinunter. Verständlicher Ärger: Ein Film war futsch und der Hang wegen des „Sturzlochs“ebenfalls. Aber die Winter auf dem Arlberg dauerten lange und unverspurte Hänge fand man immer.
Professor Stefan Kruckenhauser löste zwei Revolutionen aus: das Wedeln und das Fotografieren mit der Kleinbildkamera. Beide bleiben über seinen Tod 1988 hinaus als Marksteine in der Geschichte bestehen, weil: Ein Bildermacher sagt eben mehr als ein Sprüchemacher.