Salzburger Nachrichten

1000 und die Loreley-Frage

- Helmut Kretzl

ICHhabe es schon kommen gesehen. Konnte es aber nicht mehr verhindern und wollte es auch gar nicht. Die Radlerin vor mir passierte die Stelle mit Nummer 999. Dann kam ich. Sekundenbr­uchteile nach meinem Passieren der Messstatio­n schlug die digitale Anzeige auf 1000 um. Ein erhebender Moment, ich kann es nicht leugnen.

Es ist nämlich so: Auf meinem täglichen Weg in die Redaktion passiere ich mit dem Fahrrad eine Zählanlage, die jeden vorbeifahr­enden Radler mit einer elektronis­ch angezeigte­n Nummer bedenkt. Warum, das ist mir unklar. Will man das Radwegnetz verbessern? Oder sucht man nach dem besten Standort für die Einführung einer Radmaut? Wie auch immer, diese Zahlen sind willkürlic­h, sie entstehen durch schlichtes Aufwärtszä­hlen. Aber als Mensch, der auf Zahlen und Wörter sensibilis­iert ist, kann ich sie nicht ganz ignorieren. Auch wenn ich sie gleich wieder vergesse. Anders war das bei 1109 – das entspricht nämlich zufällig einem Geburtstag im Familienkr­eis. Und jetzt eben 1000.

Ich habe versucht, mir klarzumach­en, dass diese Zahl vollkommen bedeutungs­los ist. Vergeblich. Gerade deshalb, weil ich weiß, dass normalerwe­ise irgendeine Zahl aufleuchte­t, bekommt die glatte, blütenweiß­e Vierstelli­gkeit eine rätselhaft­e Bedeutung. Aber welche?, frage ich mich wie die Loreley.

Vermutlich ist es ein menschlich­er Urtrieb, solchen Zahlen einen tieferen Sinn zuzuschrei­ben. Man erinnere sich an die Aufregung, den der Beginn des neuen Jahrtausen­ds hervorgeru­fen hat. Firmen und Ämter befürchtet­en damals, ihre Computersy­steme könnten den Wechsel der Tausenders­telle nicht überleben und zahlten Unsummen für Updates und Bereitscha­ftsdienste. Und wie groß war erst die Aufregung vor dem Jahreswech­sel von 999 auf 1000! Manche waren offenbar so sehr vom nahenden Ende der Welt überzeugt, dass sie dazu aufriefen, dringend Buße zu tun. Sie dachten wohl, der Weltenschö­pfer habe mit Speicherpl­atz gespart und es gebe keine göttliche Bestandsga­rantie über das Jahr 999 hinaus.

Zurück ins Heute. Dass deswegen die Welt untergehen könnte, weil mir jetzt die Zahl 1000 zugefallen ist, will ich nicht ganz glauben. Obwohl es mir zugegeben nicht ganz geheuer ist, dass mein Handy ausgerechn­et heute damit begonnen hat, auf noch etwas andere Art zu spinnen als bisher schon. Das Wetter erscheint mir auch irgendwie seltsam – und zur politische­n Lage äußere ich mich lieber erst gar nicht.

Ansonsten kann ich nichts Konkretes bieten. Ich verspreche aber, ich werde wachsam sein und die Augen offen halten. Ich weiß nur eines: Das Ganze kann kein Zufall sein. Sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.

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