Viele Ausreden auf dem weiten Weg zur Koalition
Vier Gründe, warum die Bildung einer neuen Bundesregierung in Österreich ihre Zeit braucht.
Die Bildung einer Regierung ist bei uns eine besondere Prozedur. Zunächst beauftragt der Bundespräsident den Wahlsieger damit. Der steigt nicht gleich in Koalitionsverhandlungen mit einer anderen Partei ein, sondern beginnt zunächst mit sogenannten Sondierungsgesprächen. Es sieht so aus, als müssten sich die Kandidatinnen und Kandidaten erst einmal näher kennenlernen, um zu wissen, ob sie überhaupt zu ernsthaften Gesprächen über eine Zusammenarbeit bereit und dazu auch in der Lage sind. Und das, obwohl sie sich längst kennen und vor allem in den vergangenen vier Wahlkampfmonaten mehr Zeit miteinander verbracht haben als mit ihren jeweiligen Partnerinnen und Partnern.
Man kann diese Phase des plaudernden Nichtstuns auch als Abkühlphase nach einem hitzigen Wahlkampf betrachten. Die Zeit heilt viele Wunden. Mit noch blutigem Gesicht kann man schlecht am Verhandlungstisch sitzen.
Ausrede Nummer eins, warum wir wohl bis ins Jahr 2020 auf eine neue Regierung warten müssen, ist also der Hinweis auf das notwendige Kennenlernen der Kandidatinnen und Kandidaten und deren Vorstellungen. Alle schieben einander über den Tisch Zettel mit Wünschen und Forderungen zu, die wir schon aus der Zeit vor der Wahl kennen.
Ausrede Nummer zwei, mit der das politische Zeitschinden begründet wird, ist der Hinweis auf nahende Landtagswahlen. Am kommenden Sonntag ist Vorarlberg dran, Ende November schreiten die Steirer zur vorgezogenen Wahl, im Burgenland steht der 26. Jänner als Wahltag fest. Wir können davon ausgehen, dass es bis dahin keine Regierung gibt, die mit ihren bundespolitischen Plänen die regionalen Wahlen stören könnte. Das eine hat zwar mit dem anderen nichts zu tun und die Bürger fragen sich, warum es keine Bundesregierung geben darf, bloß weil in einem Bundesland gewählt wird, aber so sieht eben die österreichische Parteitaktik aus. Alles wird dem möglichst guten Abschneiden bei einer künftigen Wahl untergeordnet.
Dem Regierungspartner das Feld überlassen
Ausrede Nummer drei, warum wir noch lang keine neue Regierung haben werden, ist ähnlich gelagert. Es geht um Befürchtungen, man könnte mit einer bestimmten Koalitionsvariante die eine oder andere Wählergruppe vergrämen. Bei den Grünen heißt es, sie würden spätestens bei der Landtagswahl in Wien schwer verlieren, wenn sie mit den Türkisen in eine Regierung gehen. Bei den Türkisen wird darüber gerätselt, wie man die vielen FPÖÜberläufer zufriedenstellen kann, ohne gleich in das radikale Eck gedrängt zu werden.
Ausrede Nummer vier ist die typisch österreichische Schnittmengentheorie. Sie besagt, dass nur Parteien, die möglichst viele Übereinstimmungen in den Programmen haben, auch miteinander regieren können. Das ist fast so wie bei Dating-Plattformen, wo vorwiegend Männer und Frauen miteinander verkuppelt werden, bei denen möglichst viele Eigenschaften deckungsgleich sind. Im politischen Leben muss diese Matching-Philosophie („Sie haben 100 Prozent Übereinstimmungspunkte“) aber nicht unbedingt funktionieren. Man hat das ja bei der türkis-blauen Regierung gesehen, in der sich die beiden vertretenen Parteien in vielen Bereichen sehr ähnlich waren.
Gegen eine mögliche Regierung aus Türkisen und Grünen wird eingewandt, dass die Schnittmenge der Inhalte maximal 20 Prozent betrage und dass dies viel zu wenig sei für eine gute Zusammenarbeit. Doch genauso gut kann das Gegenteil der Fall sein. Zwei Parteien, die sich nicht aufs Haar gleichen, können eine viel größere Abdeckung der breiten gesellschaftlichen Interessen schaffen als politisch eineiige Zwillinge.
Kompromisse in jedem einzelnen Themenfeld sind bei solchen Kooperationen eher hinderlich und wahrscheinlich auch gar nicht zu erzielen. Der Kompromiss könnte eher darin liegen, dem Gegenüber seine Kompetenzfelder in Eigenverantwortung zu belassen. Die Grünen könnten die Umweltpolitik machen, die Türkisen die Wirtschaftspolitik, die SPÖ, falls sie doch noch zum Zug kommen sollte, die Sozialpolitik.
Wenn wir mit der Regierungsbildung warten, bis sich deckungsgleiche Partner zusammenfinden, die noch dazu über eine Mehrheit verfügen, können wir lang warten. Die gibt es nicht.