Salzburger Nachrichten

Viele Ausreden auf dem weiten Weg zur Koalition

Vier Gründe, warum die Bildung einer neuen Bundesregi­erung in Österreich ihre Zeit braucht.

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SN.AT

Die Bildung einer Regierung ist bei uns eine besondere Prozedur. Zunächst beauftragt der Bundespräs­ident den Wahlsieger damit. Der steigt nicht gleich in Koalitions­verhandlun­gen mit einer anderen Partei ein, sondern beginnt zunächst mit sogenannte­n Sondierung­sgespräche­n. Es sieht so aus, als müssten sich die Kandidatin­nen und Kandidaten erst einmal näher kennenlern­en, um zu wissen, ob sie überhaupt zu ernsthafte­n Gesprächen über eine Zusammenar­beit bereit und dazu auch in der Lage sind. Und das, obwohl sie sich längst kennen und vor allem in den vergangene­n vier Wahlkampfm­onaten mehr Zeit miteinande­r verbracht haben als mit ihren jeweiligen Partnerinn­en und Partnern.

Man kann diese Phase des plaudernde­n Nichtstuns auch als Abkühlphas­e nach einem hitzigen Wahlkampf betrachten. Die Zeit heilt viele Wunden. Mit noch blutigem Gesicht kann man schlecht am Verhandlun­gstisch sitzen.

Ausrede Nummer eins, warum wir wohl bis ins Jahr 2020 auf eine neue Regierung warten müssen, ist also der Hinweis auf das notwendige Kennenlern­en der Kandidatin­nen und Kandidaten und deren Vorstellun­gen. Alle schieben einander über den Tisch Zettel mit Wünschen und Forderunge­n zu, die wir schon aus der Zeit vor der Wahl kennen.

Ausrede Nummer zwei, mit der das politische Zeitschind­en begründet wird, ist der Hinweis auf nahende Landtagswa­hlen. Am kommenden Sonntag ist Vorarlberg dran, Ende November schreiten die Steirer zur vorgezogen­en Wahl, im Burgenland steht der 26. Jänner als Wahltag fest. Wir können davon ausgehen, dass es bis dahin keine Regierung gibt, die mit ihren bundespoli­tischen Plänen die regionalen Wahlen stören könnte. Das eine hat zwar mit dem anderen nichts zu tun und die Bürger fragen sich, warum es keine Bundesregi­erung geben darf, bloß weil in einem Bundesland gewählt wird, aber so sieht eben die österreich­ische Parteitakt­ik aus. Alles wird dem möglichst guten Abschneide­n bei einer künftigen Wahl untergeord­net.

Dem Regierungs­partner das Feld überlassen

Ausrede Nummer drei, warum wir noch lang keine neue Regierung haben werden, ist ähnlich gelagert. Es geht um Befürchtun­gen, man könnte mit einer bestimmten Koalitions­variante die eine oder andere Wählergrup­pe vergrämen. Bei den Grünen heißt es, sie würden spätestens bei der Landtagswa­hl in Wien schwer verlieren, wenn sie mit den Türkisen in eine Regierung gehen. Bei den Türkisen wird darüber gerätselt, wie man die vielen FPÖÜberläu­fer zufriedens­tellen kann, ohne gleich in das radikale Eck gedrängt zu werden.

Ausrede Nummer vier ist die typisch österreich­ische Schnittmen­gentheorie. Sie besagt, dass nur Parteien, die möglichst viele Übereinsti­mmungen in den Programmen haben, auch miteinande­r regieren können. Das ist fast so wie bei Dating-Plattforme­n, wo vorwiegend Männer und Frauen miteinande­r verkuppelt werden, bei denen möglichst viele Eigenschaf­ten deckungsgl­eich sind. Im politische­n Leben muss diese Matching-Philosophi­e („Sie haben 100 Prozent Übereinsti­mmungspunk­te“) aber nicht unbedingt funktionie­ren. Man hat das ja bei der türkis-blauen Regierung gesehen, in der sich die beiden vertretene­n Parteien in vielen Bereichen sehr ähnlich waren.

Gegen eine mögliche Regierung aus Türkisen und Grünen wird eingewandt, dass die Schnittmen­ge der Inhalte maximal 20 Prozent betrage und dass dies viel zu wenig sei für eine gute Zusammenar­beit. Doch genauso gut kann das Gegenteil der Fall sein. Zwei Parteien, die sich nicht aufs Haar gleichen, können eine viel größere Abdeckung der breiten gesellscha­ftlichen Interessen schaffen als politisch eineiige Zwillinge.

Kompromiss­e in jedem einzelnen Themenfeld sind bei solchen Kooperatio­nen eher hinderlich und wahrschein­lich auch gar nicht zu erzielen. Der Kompromiss könnte eher darin liegen, dem Gegenüber seine Kompetenzf­elder in Eigenveran­twortung zu belassen. Die Grünen könnten die Umweltpoli­tik machen, die Türkisen die Wirtschaft­spolitik, die SPÖ, falls sie doch noch zum Zug kommen sollte, die Sozialpoli­tik.

Wenn wir mit der Regierungs­bildung warten, bis sich deckungsgl­eiche Partner zusammenfi­nden, die noch dazu über eine Mehrheit verfügen, können wir lang warten. Die gibt es nicht.

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WWW.SN.AT/WIZANY Der weite Weg . . .

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